An Siziliens Südküste (03.09. – 20.09.)

Am Mittwochvormittag bleiben wir erst mal noch etwas am Ankerplatz, während eine kleine Front durchzieht, um uns dann auf deren Rückseite auf den Weg zur Überfahrt nach Sizilien zu machen, der größten Insel im Mittelmeer; gut 160 Seemeilen liegen vor uns, und laut der auf den aktuellen GRIB-Daten basierenden Berechnung soll die Reise gut 50 Stunden dauern, ganz ohne Motoreinsatz – man darf gespannt sein …

Malerischer Abendhimmel auf dem Weg nach Sizilien

Die ersten Stunden entsprechen schon einmal nicht der Wettervorhersage: während wir eigentlich wenig Wind haben sollten, sind wir zügig unterwegs, und parallel zu uns bewegt sich eine drohend-dunkle Wolkenwand. Die eigentlich durchgezogen geglaubte Front hat wohl noch mal Verstärkung geholt … es wird aber nicht unangenehm, und wir freuen uns über die unverhofft gute Fahrt. Am späten Nachmittag reißt dann auch der Himmel komplett auf, der Wind lässt deutlich nach, und am Abend bekommen wir mal wieder einen hinreißenden Sonnenuntergang – auf See ist der Himmel einfach immer am schönsten!

In der Nacht und am ganzen folgenden Donnerstag versuchen wir, die beobachteten Windrichtungen und -stärken (besser sollte man von ‘Windschwächen’ reden) mit der Wettervorhersage in Einklang zu bringen – vergeblich: eigentlich sollte der Wind eine Drehung über Südwest auf Nordwest durchlaufen und nie unter 7-8 Knoten fallen, tatsächlich bleibt er aber bei Süd, bis er sich in Nichts auflöst. Entsprechend versuchen wir unzählige Male die Segelstellung anzupassen und tauschen mehrfach die gesamte Garderobe durch, aber letztendlich muss dennoch der Motor gestartet werden, wenn wir nicht auch noch eine dritte Nacht für die eigentlich übersichtliche Passage aufwenden wollen.

Erst am Donnerstagabend setzt wieder Wind ein – aus Nordost … aber besser am Wind segeln als motoren! Nach Sonnenuntergang bietet sich uns ein besonderes Schauspiel: der östliche Horizont wird zunächst völlig schwarz, Himmel und Meer sind nicht mehr auseinanderzuhalten, als auf einmal mitten in dieser Schwärze eine blutrote Glut aufflammt, und darüber ein paar Wolkenstreifen beginnen, orangerot zu brennen! Bricht da auf Sizilien gerade ein Vulkan aus? Nein, obwohl es wirklich so aussieht: der Vollmond geht auf!

Der Wind legt immer weiter zu – auch das war nicht vorhergesagt. Wir reduzieren die Segel, bis wir schließlich mit zweitem Reff im Groß und Kuttersegel bei bis zu 25 Knoten am Wind gen Osten eilen. Im ersten Tageslicht sehen wir Land: die Sizilien vorgelagerten Ägadischen Inseln liegen vor uns.

Der Wind lässt auch etwas nach, so dass wir schon kurz nach 10 Uhr problemlos den Hafen von Marsala ansteuern können. Dort bekommen wir einen Liegeplatz in der Marina Mothia und können uns erst mal etwas von dieser Überfahrt erholen, deren Windverhältnisse höchstens im Mittelwert etwas mit der Vorhersage zu tun hatten.

Marsala
Die Kathedrale von Marsala

Die westlichste Stadt Siziliens ist eine karthagische Gründung und trug zunächst den Namen Lilybaion; als Folge des Ersten punischen Krieges wurde sie 241 v. Chr. – trotz jahrelanger Belagerung unerobert – an das Römische Reich abgetreten. Den heutigen Namen erhielt sie erst 1000 Jahre später durch die Araber (مرسى علي, ‘Marsā ʿAliyy‘), und bekannt geworden ist sie durch den gleichnamigen Likörwein, den wir in Deutschland gerne mal nach dem Essen beim Italiener ausgeschenkt bekommen.

Grüne Oase in einem Innenhof

Selbstredend decken wir uns hier mit dieser Spezialität ein, aber auch einen Rundgang durch die Stadt lassen wir uns nicht entgehen: viele prachtvoll restaurierte historische Gebäude säumen stimmungsvolle Straßen und Plätze, dazwischen finden wir Ausgrabungsstätten mit antiken Gemäuern. Auf der anderen Seite fällt aber auch auf, wie schnell sich das Stadtbild abseits der hergerichteten Straßen verändert: hier sieht es eher heruntergekommen aus, viele ehemals durchaus sehenswerte Bauten sind dem Verfall preisgegeben. Marsala ist wohl kein typisches Touristenziel, und das sieht man halt …

Spiaggia di Mazara

Am Samstagmorgen schleppen wir zunächst 80 Liter Diesel von einer nahegelegenen Straßentankstelle heran – es gibt zwar auch eine Bootstankstelle, aber die verlangt einen Aufpreis von stolzen 32 Cent pro Liter! Mit € 1,28 ist es so schon nicht gerade geschenkt – ach, wie schön wäre es doch gewesen, in Tunesien tanken zu können, dort soll der Diesel um die 50 Cent kosten …

Kurz darauf verlassen wir die Marina; mit etwa 17 Seemeilen entlang der sizilianischen Küste liegt zwar kein langer Weg vor uns, aber viel Wind gibt es auch nicht, und die Flaute kommt auch noch – wie sollte es anders sein – von vorne. Die vorbeiziehende Küste bietet einen eher unspektakulären Anblick (die hohen Vulkane Siziliens finden sich eher am gegenüberliegenden Ende der großen Insel und sind von hier natürlich nicht zu sehen), aber wir genießen das entspannte Leichtwindsegeln ohne große Streckenvorgabe bei allerschönstem Sonnenschein.

Abendhimmel überm Capo Feto

Als Übernachtungsplatz haben wir uns den Strand vor der Fischereistadt Mazara del Vallo ausgeschaut; dieser bietet zwar keinen nennenswerten Schutz, aber diese Eigenschaft teilt er sich mit dem gesamten Rest der 160 Seemeilen langen Südwestküste … wir bekommen noch einen tollen Abendhimmel geboten, der Lärm von den Strandbars hält sich auch in erträglichen Grenzen, und windmäßig ist die Nacht auch völlig ruhig – wäre da nur der Schwell nicht, der die ‘Orion’ die ganze Nacht von der einen Seite auf die andere rollen lässt 🙁

Selinunte

Entsprechend übermüdet machen wir uns am nächsten Morgen wieder auf den Weg weiter die Küste entlang; es weht wenig Wind, und der kommt uns natürlich entgegen, aber wir nehmen es sportlich und kreuzen gegen die Flaute auf, so dass doch etliche Seemeilen durchs Wasser zusammenkommen, bis wir am frühen Abend vorm Strand von Selinunte ankern. Überm Strand ragen die Ruinen alter Tempel auf: die Siedlung ist eine Gründung dorischer Griechen aus dem 7. Jahrhundert v. Chr. und wuchs sehr schnell an Größe und Bedeutung; mit dazu bei trugen die hervorragenden Bedingungen für die Landwirtschaft – bei der heutigen kargen Landschaft schwer vorstellbar, dass Sizilien bis zur Abholzung durch die Römer eine recht fruchtbare Insel war.

Ankern vor der Akropolis von Selinunte

Der Schwell am Ankerplatz ist im Vergleich zur vorhergehenden Nacht nicht besser geworden, im Gegenteil – die Nacht wird sehr unerbaulich, und am nächsten Morgen brechen sich die Wellen so hoch am Strand, dass eine Landung mit dem Dinghi kaum aussichtsreich erscheint. Da wir aber unbedingt die Ausgrabungsstätten ansehen wollen, bleiben wir erst mal den ganzen Montag vor Anker liegen und warten auf bessere Bedingungen.

Die kommen mit dem Dienstag, und wir setzen zum Strand über; nach einem kleinen Umweg durch den Ort (es kommen wohl nur wenige Besucher vom Wasser …) erreichen wir den Eingang zum  Parco Archeologico. Für 6 € Eintritt gibt es eine Menge zu sehen: allein das parkartige und äußerst ausgedehnte Gelände ist schon sehr ansprechend, aber die Vielzahl der darüber verteilten historischen Stätten begeistert uns richtig: nicht nur ein gutes Dutzend Tempel liegen darin verstreut, sondern die Reste einer sehr großen, antiken Großstadt ragen aus dem Sand. Wie umfangreich war diese Stadt, wie städtebaulich durchgeplant angelegt – und das vor mehr als zweieinhalbtausend Jahren! Das zivilisatorische Niveau zur Zeit der griechischen Kolonien von Magna Graecia ist überaus beeindruckend – und fand ein jähes Ende mit der Eroberung durch die Karthager 409 v. Chr.; danach wurde die Stadt zwar teilweise wieder aufgebaut, fand aber nie zu alter Größe zurück, bis sie im Ersten Punischen Krieg 250 v. Chr. von den Römern endgültig zerstört wurde.

Den Rest erledigten dann diverse Erdbeben und von diesen ausgelöste Flutwellen, die auch die monumentalen Tempel in sich zusammenstürzen ließen; den gewaltigen Steinblöcken und -trommeln, aus denen diese errichtet waren, konnte all dies aber nichts anhaben, sie zeugen heute noch vom Glanz längst vergangener Zeiten. Teile einiger Tempel wurden von den Wissenschaftlern im Laufe der letzten 100 Jahre wiedererrichtet, und so ist eine gelungene Mischung aus Originalfundstätten und wiederbelebter Geschichte entstanden – wirklich ein Erlebnis!

Nach der Rückkehr auf die ‘Orion’ verbringen auch den dritten Abend noch vorm Strand vor Selinunte, um noch einmal die Sonne hinter der Akropolis untergehen zu sehen – wahrlich ein besonderer Ankerplatz (wenn nur der Schwell nicht wäre …)!

Sciacca
Im Hafen von Sciacca

Am Mittwoch verlassen wir Selinunte und folgen der Küste weiter bis Sciacca; hier finden wir außerordentlich freundliche (und mit 40 € für hiesige Verhältnisse günstige) Aufnahme an der Steganlage der Lega Navale, einem landesweit operierenden Wassersportverein. Die 40.000 Einwohner zählende Kleinstadt ist – selbstredend – sehr alt, hat aber keinen herausragenden Platz in der Geschichte eingenommen (bemerkenswerte Ausnahme ist die mittelalterliche Geschichte zweier verfeindeter Familien, deren Kämpfe ein Jahrhundert lang die Geschicke der ganzen Stadt maßgeblich bestimmt haben – als hätte sich Shakespeare auf Sizilien inspirieren lassen …).

In der Altstadt von Sciacca

Dennoch – oder gerade deswegen – gefällt es uns hier wirklich gut; auch abseits der historischen Bauten wirkt die Stadt nicht so heruntergekommen wie wir es z.B. in Marsala empfanden. Lediglich der Straßenlärm – hervorgerufen durch tausende Fahrzeuge in verschiedenen Verfallszuständen  mit zwei bis vier Rädern und deren ununterbrochenes Hupkonzert – ist für den gemeinen Nordeuropäer etwas schwer zu ertragen und setzt dem Sightseeing dann doch irgendwann ein Ende.

Eigentlich wollten wir am Donnerstagmittag Sciacca wieder verlassen, aber ein kleiner Unfall beim Ablegen verhindert das erst einmal und bringt uns statt dessen die nähere Bekanntschaft des italienischen Gesundheitssystems ein – eine Erfahrung, auf die man durchaus auch verzichten kann …

Eine Woche später, am Donnerstag den 17., versuchen wir es dann erneut – und diesmal können wir den Hafen von Sciacca (der in den vergangenen 8 Tagen ein kleines Vermögen an uns verdient hat – nein, Wochenpreise gibt es leider nicht) sogar unfallfrei verlassen …

Schneeweiß leuchtet das Capo Bianco gegen die blaue See

Die Wettervorhersage für Donnerstag und Freitag ist eigentlich optimal – tagsüber jeweils frischer Westwind bei sonnigem Wetter; das Problem ist nur die Nacht dazwischen: besagter Wind sorgt für knapp zwei Meter Welle, und die verschwindet leider auch über Nacht, wenn der Wind sich legt, nicht mal eben – und geschützte Ankerplätze gibt es halt keine, ebensowenig wie passend gelegene Häfen. Wohl oder übel müssen wir also gleich eine Nacht durchfahren – und natürlich gibt es auch noch mehr Wind als angesagt … aber wenigstens machen wir gut Strecke, und die ‘Orion’ zieht – zeitweise bei fast 30 Knoten Rückenwind nur unter Kuttersegel mit dennoch 5-6 Knoten Fahrt – ihre Bahn, während die Windsteueranlage das Steuern übernimmt. So erreichen wir am Freitagmittag nach knapp 130 Seemeilen die Bucht von

Portopalo di Capo Passero

Gelegen am äußersten Südostende Siziliens, bietet diese geräumige Bucht den einzigen brauchbaren Ankerplatz an der gesamten Südküste. Sie beherbergt einen kleinen Fischereihafen, und hat wahrscheinlich deshalb noch zwei steinerne Molen spendiert bekommen, die den ohnehin schon guten Schutz noch verbessern. Landschaftlich spektakulär ist die Bucht nicht, aber außer bei Südwind hat man hier endlich mal Ruhe vorm Schwell – was wir erst mal für zwei Pausentage nutzen, während derer sich auch kaum ein Lüftchen regt.

Auf dem höchsten Punkt von Portopalo steht der schmucke Leuchtturm

Am Samstag setzen wir mit dem Dinghi an den Strand über und laufen knapp zwei Kilometer bis zum Ort Portopalo; hierhin scheint sich kaum ein Tourist zu verirren, und wir bekommen ein Stück ‘Echtes’ Sizilien zu sehen: am Strand baden Familien, und vor den (zahlreichen!) Cafés und Bars sitzen die alten Herren im Schatten und tauschen sich über die Neuigkeiten aus. Wir bekommen eine herrlich erfrischende Granita zum untouristischen Preis und können im Dorfsupermarkt nochmal Vorräte ergänzen – ganz wichtig, wir planen nämlich die Überfahrt nach Griechenland!

Mindestens 330 Seemeilen sind es übers Ionische Meer vom Ende Siziliens bis zum nächstgelegenen Punkt auf dem Peloponnes – also vergleichbar weit wie über die Nordsee von Borkum bis Utsira. Die Wettervorhersage verspricht ziemlich gute Bedingungen – nicht zu viel Wind, aber auch nicht zu wenig. Natürlich beobachten wir über das ganze Wochenende, ob und wie sich die Vorhersagen verändern: Sonntag ist es teilweise etwas mehr geworden, teilweise etwas weniger – die Spannung wird immer größer, wie es Montagmorgen aussieht …