Überführung (27.09. – 19.10.)

Agios Nikolaos

Am 27. September bekommt die ‘Orion’ endlich wieder eine Crew – einen Monat später als geplant und in unerwarteter Zusammensetzung. Statt eines schönen, geruhsamen Herbsttörns im Dodekanes gen Norden müssen wir die Strecke bis Lesvos nun in kürzestmöglicher Zeit zurücklegen – wie es so ist, wenn das Leben mal wieder andere Pläne hat.

Zunächst aber sind einige Vorbereitungsarbeiten angesagt: die Segel müssen wieder angeschlagen und das Boot verproviantiert werden, vor allem aber warten die im Juli noch angekommenen Lithium-Zellen auf ihren Einbau – und der hat es in sich, die Elektronik will nämlich nicht so, wie sie sollte, und zu allem Überfluss sind die Bedingungen sehr widrig: es ist nämlich unerträglich – und für diese Jahreszeit untypisch – heiß auf Kreta, und besonders unten im Bauch der ‘Orion’. Aber nach drei ziemlich quälerischen Tagen funktioniert es zwar noch immer nicht so wie gewünscht, aber die Batterien sind benutzbar, und dem Aufbruch steht nichts mehr im Wege.

Nachtfahrt nach Astypalaia
Kreta bleibt hinter uns zurück

Am Vormittag des 1. Oktober verlassen wir die Marina von Agios Nikolaos mit Kurs Nordnordost; unser Ziel ist Astypalaia in gut 90 Seemeilen Entfernung, welches wir nur über Nacht erreichen können. Zunächst weht sehr wenig Wind, aber am folgenden Tag soll sich das sehr gründlich und nachhaltig ändern, so dass wir uns sagen: jetzt oder nie (jedenfalls nicht so bald) und etliche Motorstunden in Kauf nehmen.

Nächtliche Begegnung mit der ‘Rhapsody of the Seas’ bei Mondschein

Schon bald sichten wir Delfine, und nach wenigen Stunden stellt sich sogar sanfter Ostwind ein, so dass wir mit Großsegel und Code Zero anständig Fahrt machen können; mit der Sonne verschwindet aber auch der Wind, und den größeren Teil der Nacht läuft wieder der Motor. Erst nach 3 Uhr haben wir wieder genug Wind, nun aus Süd; in den nächsten Stunden dreht dieser wie angekündigt südwestlicher und nimmt zu, aber nur ganz langsam; nach Sonnenaufgang aber, als wir Astypalaia schon in Sicht haben, geht es dann ganz schnell, und auf einmal haben wir 6 Beaufort und machen mit zweifach gerefftem Groß und Klüver über 7 Knoten Fahrt – sehr schön!

Astypalaia begrüßt uns stürmisch

Schon im Einflussbereich der Insel legt es dann aber noch weiter zu als angekündigt, und die Böen fallen mit 8 Beaufort über uns her, so dass der Zielanlauf noch recht sportlich wird. Um Viertel vor 11 Uhr sind wir aber längsseits fest an der Fischerpier von Maltezana und können uns nun erst mal von den Strapazen der letzten Tage erholen – der (inzwischen Nord-)Wind wird nämlich die nächsten Tage nicht mehr weniger, und so haben wir einen längeren Zwangsaufenthalt vor uns.

Ausflug nach Agios Ioannis

Der Meltemi scheint kein Ende nehmen zu wollen: Tag um Tag pfeift es über den gut geschützten Liegeplatz hinweg. Zunächst gibt es noch einiges am Boot zu erledigen, so will etwa der vor 9 Monaten bestellte und auf Kreta endlich gelieferte Propeller montiert werden; dann aber sind die Arbeiten durch, und wir mieten ein Auto, um uns auf der Insel umzuschauen und die Zeit zu vertreiben.

Die Chora leuchtet weiß vor der stürmischen See

Dabei können wir immer wieder einen Blick auf die See gen Norden werfen, deren Anblick einen von allen Gedanken, so schlimm sei es doch gar nicht, augenblicklich kuriert. Aber Astypalaia ist schließlich nicht der schlechteste Ort, um etwas zu verweilen …

Astypalaia – Kalymnos

Schließlich werden es ganze 7 Tage, bis wir am Morgen des 9. Oktober die Leinen loswerfen. Für den Tag sind noch 6 bis 7 Windstärken angesagt, aber wir können auch nicht länger warten, denn das darauf folgende, ruhigere Wetter soll nur sehr kurz anhalten …

Sonnenuntergang auf Kalymnos

Glücklicherweise sind es dann aber nur 5 bis 6 Beaufort, und hoch am Wind können wir die Südspitze von Kalymnos anpeilen. Mit zwei Reffs im Groß und Kuttersegel kommen wir gut voran – doch überflüssig zu erwähnen, dass es eine recht feuchte Angelegenheit wird, und die See, die sich in einer Woche Starkwind aufgebaut hat, ist auch nicht zu verachten. Damit es nicht langweilig wird, schlägt unterwegs in den hohen Wellen die Mutter vom Steuerrad los, so dass wir die ‘Orion’ noch eben auf Pinnensteuerung umrüsten; das geht auch sehr gut, nur die Windfahne kann so nicht zum Einsatz kommen, und wir steuern von Hand. Aber nach 44 Seemeilen erreichen wir eine wunderschöne Ankerbucht im Nordwesten der Insel, wo wir die Sonne neben Telendos gerade noch untergehen sehen; hier liegen wir perfekt geschützt an einer zu einer Taverna gehörenden Muring, so dass wir uns bald erschöpft in die Kojen fallen lassen können.

Kalymnos – Chios
Unter Vollzeug kreuzen wir auf

Lange hält die Ruhe aber nicht an, am nächsten Morgen geht es gleich weiter, und diesmal wieder zu einer Nachtfahrt – wir haben nämlich unsere zwei Tage ruhigeren Wetters zugeteilt bekommen, und diese wollen bzw. müssen wir nutzen, um die Meerenge zwischen Ikaria und Samos zu passieren, die bei starkem Nordwind eine Weiterfahrt unmöglich macht.

Abenddämmerung über Patmos …

Wie kaum anders zu erwarten war, gibt es nun zu wenig Wind statt wie zuvor zu viel; wir fahren Vollzeug, und dennoch muss auch immer mal wieder der Motor ran, wenn wir einzuparken drohen. Der wenige Wind kommt auch logischerweise von vorne, und so kreuzen wir den ganzen Tag an Leros, Leipsoi, Arkoi, Patmos und Phournoi vorbei, bis wir in der Nacht die IkariaSamos-Straße passieren.

… und Morgendämmerung über Samos

Am Dienstag gibt es erst recht keinen Wind mehr; am Vormittag versuchen wir noch tapfer zu segeln, aber später muss der Motor ran, damit wir noch bei Tageslicht nach insgesamt 113 Seemeilen Chios erreichen können; hier finden wir einen Platz in der unfertigen Marina – und ein köstliches Abendessen in einem hinreißenden Lokal in der Altstadt 🙂

Chios – Lesvos

Auch Mittwochmorgen geht es gleich weiter – der letzte lange Schlag bis nach Lesvos steht an. Wieder sind wir mit wenig (Gegen-)Wind unterwegs, und spontan beschließen wir, die Fahrt etwas zu verkürzen, indem wir erst mal Plomari, den für uns nächstgelegenen Hafen auf der Insel ansteuern. So gewinnen wir etwas Zeit, die wir in langsames Segeln investieren können, um nicht die ganze Zeit nur motoren zu müssen. Nach  39 Seemeilen in 10 Stunden (von denen immerhin ‘nur’ 2/3 der Zeit der Motor lief) erreichen wir wieder mit Sonnenuntergang Plomari – und freuen uns, auf Lesvos angekommen zu sein!

In Plomari

Da die Rückflüge inzwischen für den 20. gebucht sind, können wir uns nun etwas mehr Zeit lassen und am Donnerstagmorgen erst mal Plomari anschauen. Der Ort ist übersichtlich, zentrale Attraktion ist der Fischerhafen mit seinen vielen, farbenfroh gestrichenen Booten; außerdem gibt es die Ouzodestillerien zu besuchen, denn die Stadt gilt als der Geburtsort des griechischen Nationalgetränks, aber so lange bleiben wir nun auch wieder nicht.

Statt dessen machen wir uns auf den Weg nach Mytilini, wobei wir nach 12 Seemeilen nochmal einen Ankerstopp im Einfahrtsbereich des Kolpos Geras einlegen, um nochmal ein paar Runden im inzwischen ‘nur’ noch 21 Grad warmen Wasser schwimmen zu können; am nächsten Vormittag fahren wir dann die letzten 11 Seemeilen bis Mytilini – wieder unter Motor bei spiegelglatter See.

Insgesamt haben wir 311 Seemeilen in 8 Tagen auf See zurückgelegt – allerdings lief dabei der Motor im Schnitt 4 Stunden pro Tag, so dass wir nur die Hälfte der Strecke gesegelt sind. Es gab entweder zu viel Wind oder zu wenig – aber das ist nicht überraschend, wenn man versucht, in der Ägäis möglichst schnell von Süden nach Norden zu segeln.

Die ‘Orion’ bereitet sich in der Marina Mytilini auf den Winter vor

Es verbleiben fünf Tage, um das Boot für einen Aufenthalt unbestimmter Dauer vorzubereiten – was sich als nicht zu viel erweist, es sind doch über das Offensichtliche – wie das Abschlagen der Segel – hinaus noch eine Menge Kleinigkeiten zu tun, und die vor drei Wochen erst montierte Batterieelektronik muss ja zwecks Fehlersuche auch wieder mit nach Deutschland fahren.

Mittwochmittag ist dann alles geschafft, nur die Taschen müssen noch gepackt werden, damit es am Donnerstag in aller Frühe nach Hause gehen kann; die ‘Orion’ ist bestmöglich vorbereitet und wartet die nächsten Monate drauf, wieder segeln zu dürfen …