Inselhopping in den Kykladen (15.10. – 06.11.)

Hinter uns bleibt Monemvasia zurück

Am Mittwochvormittag verbringen wir noch einige Stunden in Monemvasia, denn wir haben es nicht eilig: es weht ein kräftiger Südwest, und mit dem wollen wir in die Kykladen übersetzen, den in einem großen Kreis verstreut liegenden mehreren Dutzend Inseln und Inselchen mitten in der Ägäis. Die Entfernung zu den nächstgelegenen Zielen beträgt 70 bis 80 Seemeilen, zu viel also, um sie innerhalb der inzwischen schon recht zusammengeschrumpften Tagstunden zurückzulegen, eine Nachtfahrt ist also unumgänglich; umgekehrt ist die Entfernung dafür recht gering, daher wollen wir also nicht so früh los, um nicht vor Tagesanbruch anzukommen – denken wir.

Die ersten 8 Stunden der Reise verlaufen auch der Planung und der Wettervorhersage entsprechend: es weht im Mittel mit 5 bis 6 Windstärken, in Böen auch mal mit 7, und mit zunehmendem Abstand zur Peloponnes baut sich ensprechend mehr Welle auf. Bei strahlendem Sonnenschein beste Bedingungen für die ‘Orion’: die Windfahne übernimmt das Ruder, und nur unter Klüver machen wir noch 4 bis 5 Knoten. Natürlich wäre mehr drin, aber warum sich die Mühe machen das Großsegel zu setzen, es reicht ja auch so – denken wir. Dass nach Sonnenuntergang der Wind etwas nachlässt, irritiert uns noch nicht, das ist hier ja meistens so; da durchgängig noch 15 Knoten Wind für die ganze Nacht angesagt sind, bleibt es also bei der Besegelung.

Sonnenuntergang über der Peloponnes

Dummerweise ist drei Stunden später der Wind komplett weg – nicht aber die Welle: wie ein Korken hüpft das Boot mit schlagendem Segel in der alten See. Mal wieder zeigt sich, dass Flaute ähnlich schlimm sein kann wie Sturm: nach einigen Stunden liegen die Nerven blank, jedes ‘flapp’ dringt durch den ganzen Körper. Aber erst mal ist es etwas abschreckend, mitten in der Nacht den Gennaker zu setzen, und dann wird auch dies immer sinnloser, denn ohne Wind hilft auch das Leichtwindsegel nicht mehr.

Auch mit dem neuen Tag – für den wohlgemerkt immer noch durchgängig 4 Beaufort angesagt sind! – wird es nicht besser; wir dümpeln noch bis zum Mittag mit 1 bis 2 Knoten Fahrt vor uns hin, bis wir schließlich aufgeben und die letzten 15 Seemeilen motoren. Soweit zum Thema Wettervorhersagen …

Psili Ammos / Serifos
Serifos in Sicht!

Gegen 15 Uhr erreichen wir nach 27 Stunden und 90 Seemeilen – von denen wir die Hälfte im ersten Drittel der Zeit zurückgelegt haben – unser Ziel, die Insel Serifos. Aus der Ferne verrät sich die Insel durch ihr Häubchen aus Konvektionswolken, beim Näherkommen sehen wir eine zerklüftete Felsenküste – der Legende nach König Polydektes, der hier durch eine List Perseus mit Hilfe des Hauptes der Medusa zu Stein erstarrt ist.

Der Strand von Psili Ammon

Dieses Schicksal bleibt uns erspart, wir finden mit Psili Ammos eine kaum bebaute Ankerbucht mit sauberem Sandgrund, klarstem Wasser  und einem feinen Strand, an dem eine Reihe Tamarisken wächst. Ein Bad im 26 Grad warmem Wasser wäscht die wenig erbauliche Nacht ab, und als am Abend der ganze Himmel in malerischen Orangetönen strahlt und sich am Horizont überall andere Inseln abzeichnen, fühlen wir uns so richtig angekommen auf den Kykladen.

Ermoupoli / Syros

Am nächsten Tag werden wir für die enttäuschenden Windverhältnisse vom Donnerstag entschädigt: 10 bis 15 Knoten aus Südsüdost sind angesagt, und weil wir dem nicht trauen, machen wir uns schon um 9 Uhr auf den Weg; aber nachdem wir aus der Windabdeckung unserer Ankerbucht heraus sind, kommt schnell brauchbarer Wind auf, und unter Code 0 machen wir zügige 5 bis 6 Knoten Fahrt – das macht Spaß!

Der Himmel ist mal wieder praktisch wolkenlos, und die Ägäis strahlt in intensivstem Kobaltblau; überall am Horizont zeichnen sich Inseln ab, wir sind ja mittendrin im Inselmeer der Kykladen, die Entfernungen zwischen den benachbarten Inseln betragen oft nur 15 bis 25 Seemeilen. Ein geradezu perfektes Segelrevier: immer angenehme Tagesdistanzen, reichlich Ankermöglichkeiten mit Schutz vor jeder Windrichtung auf allen Inseln, und dazwischen das Gefühl richtigen Seesegelns, das alles bei herrlich warmem, aber nicht zu heißem Wind – was will man mehr?

Ermoupoli voraus!

So dauert es auch nicht lange, bis wir die weiter östlich gelegene Insel Syros erreichen, ihre Südspitze runden und nach 30 Seemeilen den Hafen von Ermoupoli ansteuern können. Der Ort ist mit rund 11000 Einwohnern die größte Ansiedlung auf den ganzen Kykladen und Verwaltungssitz der gesamten Region – dies gibt vielleicht einen Eindruck von der Besiedlungsdichte der Inseln. Wir machen fest in der sogenannten Marina – ein großangelegtes Entwicklungsprojekt, dem kurz vor der Fertigstellung das Geld ausgegangen ist; nun rosten die funktionslosen Strom- und Wassersäulen vor sich hin, aber man kann das Boot sicher festmachen, und kostenlos ist es natürlich auch.

Der Rathausplatz in Ermoupoli

Am Samstag ist es eher bedeckt, und es regnet auch ein paar Tropfen (wirklich nicht viele …); wir nutzen den Tag für Einkäufe und bleiben ansonsten an Bord. Am Sonntag dagegen scheint die Sonne wieder häufiger, und wir machen uns auf den Weg, die Stadt zu erkunden.

Soooo viele Stufen!

Der Ort wirkt sehr belebt und quirlig – jedenfalls gemessen an der üblichen Verschlafenheit der Kykladen. Es gibt eine große Werft, die für einen etwas industriellen Eindruck sorgt, und an der man von der Marina kommend zunächst vorbeilaufen muss; hat man aber erst mal das eigentliche Zentrum erreicht, findet man eine sehr charmante Reihe von Einkaufs- und Restaurantzeilen vor. Von dort aus zieht sich ein endlos erscheinendes Gewirr von Treppen und Gassen den Berg hoch bis zur Kathedrale; nach gefühlten 1000 Stufen kann man vor dort einen herrlichen Ausblick über die ganze Bucht genießen.

An der Hafenpromenade

Eine Besonderheit der Stadt ist, dass es neben der griechisch-orthodoxen auch eine römisch-katholische Kathedrale gibt; bis zum massiven Zustrom von Flüchtlingen während des griechischen Unabhängigkeitskrieges waren die Bewohner der Insel nämlich mehrheitlich katholisch – ein Umstand, der bis auf die Zeit des vierten Kreuzzugs zurückgeht und dazu führte, dass Syros im Unabhängigkeitskrieg gegen die Osmanen unter französischem Schutz stand, was wiederum die Insel zur sicheren Zufluchtsstätte machte. Die orthodoxen Kriegsflüchtlinge erst gründeten das heutige Ermoupoli, welches schnell mit der ursprünglichen Siedlung am gleichen Ort – Ano Syros – zusammenschmolz.

Uns gefällt Ermoupoli gut; wir holen uns zur Belohnung für die Höhenmeter eine unbeschreiblich köstliche Bougatsa und genießen diese mit Blick auf den Stadthafen. So kann man es aushalten!

Phinikas / Syros

Montagmorgen müssen wir Ermoupoli verlassen: für die kommenden Tage ist starker Nordwind angesagt, und dafür finden sich in den Anlagen der ‘Marina’ nur wenige geschützte Plätze, und die sind natürlich alle mit Dauerliegern belegt. Aber auf der anderen Inselseite gibt es die Bucht von Phinikas, die perfekten Schutz gegen Nordost bietet und in der man sowohl gut ankern als auch am Gemeindeanleger festmachen kann.

Gut besucht: der Gemeindeanleger von Phinikas

Wie legen bei 15 bis 20 Knoten Nordwind ab und machen gute Fahrt bis zur Südostspitze der Insel; dort kommen wir in deren Windabdeckung, so dass wir letztendlich doch rund dreieinhalb Stunden für die 12 Seemeilen brauchen. In Phinikas angekommen, sehen wir, dass es noch gute Liegeplätze an der Mole gibt und entscheiden uns, hier mit Heckanker und Bugleine anzulegen, es gibt nämlich Wasser und Strom, und außerdem wollen wir unbesorgt Landausflüge machen können, während die Starkwindperiode anhält. Später am Nachmittag füllt sich die Mole dann noch bis auf den letzten Platz; in der großen Mehrheit sind es riesige Charteryachten von 44 bis 50 Fuß Länge (und unbeschreiblicher Breite!), die hier anlegen, praktisch alle von Deutschen gechartert.

Gut geschützt: die Bucht von Phinikas

Die gesamte Ägäis ist berüchtigt für ihren starken, sommerlichen Nordwind, den Meltemi; typischerweise bringt dieser hohen Luftdruck und schönes Wetter mit sich, bläst die Segler aber mit 6 bis 8 Windstärken durch, und das gerne auch schon mal tagelang. Ob man bei unserer momentanen Wetterlage Ende Oktober noch von Meltemi oder einfach von gewöhnlichem Nordwind spricht, wissen wir nicht so genau; jedenfalls pustet es drei Tage lang ohne Pause.

Die Mastixdistel bringt Farbe in die karge Landschaft

Wir nutzen die Zeit für eine ausgedehnte Wanderung – die längste seit Pfingsten auf Mallorca: endlich ist es nicht mehr so heiß, und der frische Wind hilft zusätzlich, die Anstiege ohne Hitzekollaps zu bewältigen. Die Landschaft hier auf Syros ist nun, am Ende des langen, heißen, Sommers, schon sehr ausgedörrt; die ausgedehnten Thymianfelder sind besser an ihrem Duft als an den vertrockneten Blättern zu erkennen.

Am Kap Velostasi

Eine große Anzahl an Meerzwiebeln strecken jedoch ihre blattlosen Blütenstände der Sonne entgegen, Mastixdisteln sorgen für leuchtende Farbtupfen im steinigen Boden, und der Blick von den Höhenzügen an der Südwestspitze der Insel, dem Kap Velostasi, über die See und die Bucht von Phinikas ist ohnehin toll. So vergehen zwei Starkwindtage wie im Fluge, und am Donnerstag kann es weitergehen 🙂

Ormos Agios Ioannou / Paros

Weiter geht es dann auch wirklich – allerdings nicht wirklich mit weniger Wind, als an den vergangenen zwei Tagen wehte: die Wettervorhersagen kündigten zwar nur noch 16-18 Knoten Nordwind an, aber als wir langsam den Schutz der Bucht von Phinikas verlassen, sind es schon deutlich über 20 Knoten, und in den folgenden Stunden nähern wir uns auch den 30 Knoten, je mehr Abstand wir zwischen uns und Syros bringen.

Ordentlich Wind auf See …

Das Tagesziel ist die Insel Paros, gut 25 Seemeilen in Richtung Südost; wir haben also Halbwindkurs, und nur unter Klüver macht die ‘Orion’ sechseinhalb Knoten Fahrt. Später, als wir immer häufiger die Windstärke 7 auf der Anzeige für den wahren Wind sehen, tauschen wir diesen gegen das Kuttersegel – und damit sind es immer noch fünfeinhalb Knoten.

… und herrliche Ruhe in der Ankerbucht

Nun ja, wir hatten uns den Tag etwas weniger sportlich vorgestellt, aber dafür sind wir schneller da: schon kurz nach 15 Uhr stehen wir vor der Einfahrt zur geräumigen Bucht von Naousa auf der Nordseite von Paros. Eigentlich scheint diese Inselseite bei Nordwind ungeeignet, aber die Bucht hat eine derart ausgeprägte Einbuchtung nach Norden, dass man hinter einer Halbinsel perfekten Meltemi-Schutz in idyllisch-einsamer Umgebung findet: ausgewaschene Felsen bilden bizarre Formationen und leuchten in der Sonne, und gleich nebenan steht eine kleine Kapelle (namensgebend für die Ankerbucht, dem Hl. Johannes gewidmet). Der Wind weht unterdessen mit immerhin noch 5 Beaufort weiter, und dabei bleibt es auch über Nacht, aber hier liegen wir prächtig – eigentlich besser als zuletzt im Hafen von Phinikas

Kalantos / Naxos

Am Freitag stellen wir fest, dass sich die Wettervorhersagen inzwischen der Realität angepasst haben. Ursprünglich sollte es kaum noch Wind geben, aber inzwischen hat man auf die 5 Windstärken erhöht, die die ganze Zeit schon wehen; grundsätzlich kommt uns das gelegen, wollen wir doch auch heute ein ganzes Stück segeln, aber zum Verlassen der Bucht von Naousa müssen wir natürlich erst mal gegenan – und gegen die Welle, die inzwischen 4 Tage Zeit hatte, sich aufzubauen: eine feuchte Angelegenheit … aber nach zwei Stunden können wir abfallen und vor dem Wind in die Meerenge zwischen Paros und Naxos einbiegen.

Reger Fährverkehr in der Paros-Naxos-Straße

Diese ist nur zweieinhalb Seemeilen breit und verläuft in Nord-Süd-Richtung, weswegen wir etwas nervös den dort wohl herrschenden Wind- und Seeverhältnissen entgegensehen – wie sich dann zeigt aber unbegründeterweise: es setzt ein kräftiger Strom nach Süd, und der hilft eher, dass die See flacher wird, als dass ein Auflaufen zu beobachten wäre. Der Wind legt auch noch zu, und bald sind es wieder gute 25 Knoten, die uns anschieben; wieder nur unter Klüver, machen wir mit Hilfe des Stroms fast 7 Knoten über Grund. Ein herrliches Gleiten ist das, so genau vor Wind und See; passenderweise hat sich auch die Sonne durchgesetzt, und wir sind nach 28 gesegelten Meilen früh genug an unserem Übernachtungsziel, der Bucht von Kalantos auf der Südseite von Naxos, um noch den Grill anzuwerfen und den – trotz des anhaltenden Nordwindes sommerlichen – Abend angemessen ausklingen zu lassen.

Livadi / Iraklia

Samstag hat es sich mit dem Wind dann auch erledigt – und zwar gleich so gründlich, dass wir keine Chance haben, unter Segeln weiter zu kommen, obwohl unser Ziel nicht gerade weit entfernt liegt: nur 5 Seemeilen südlich von Naxos liegt Iraklia, die erste Insel einer als ‘Kleine Kykladen‘ bekannten Gruppe von 30 Inseln und Inselchen, auf denen insgesamt (!) etwa 600 Menschen leben. Dabei gibt es hier schon sehr lange Menschen, eine Besiedelung bereits im 3. Jahrtausend v. Chr. konnte nachgewiesen werden.

Unsere Ankerbucht auf Iraklia, von der alten Festung aus gesehen

Wir ankern auf der Ostseite vorm langen Sandstrand von Livadi, gleich unter den Ruinen des Kastro, einer aufs 4. bis 2. Jahrhundert v. Chr. datierten Festungsanlage. Die Lage ist wunderbar, der Sand fein und weiß, das Wasser hat noch 25 Grad – und wie immer ist praktisch niemand da. Wie wir bei einem Spaziergang nach Agios Georgios, dem 100 Einwohner starken Hafenort, feststellen können, gibt es einige Ferienappartements, und zwei Tavernas haben geöffnet – damit erschöpft sich das Tourismusangebot auf dieser Insel. Wie immer können wir nur staunen, wie viele menschenleere Strände es hier gibt, hinter denen in Spanien achtstöckige Hotels stehen würden …

In Panagia

Am Sonntag wollen wir mal wieder die Beine benutzen und unternehmen eine fünfstündige Wanderung, über Panagia, die Chora der Insel (welches aber heute nur noch drei Dutzend Einwohner zählt) durch die Berge bis zur Tropfsteinhöhle von Agios Ioannis.

In der Höhle Agios Ioannis

Hier muss man sich durch einen kaum 50 Zentimeter hohen Eingang quetschen, um so in eine Reihe von zusammen etwa 2000 Quadratmeter umfassenden Höhlen zu gelangen. Diese sind sicher nicht so spektakulär wie die von Diros, dafür nicht ‘bewirtschaftet’ und man ist völlig allein. Etwas unheimlich fühlt es sich aber schon an, so ins Innere der Berge vorzudringen …

Die Wanderung selbst ist kräftezehrend, immerhin 400 Höhenmeter sind zu überwinden, und die Sonne brennt heiß vom Himmel; ein paar Cirren machen es aber halbwegs erträglich, und die Aussicht, die sich vom Bergrücken bietet, ist phänomenal: wohin man schaut, rundherum liegen Inseln eingebettet in das blaueste Blau, das man sich nur vorstellen kann!

Panoramablick über Iraklia; am Horizont links Naxos, daneben die Inseln der Kleinen Kykladen
Aligaria / Schinoussa

So gut uns Iraklia gefällt, am Montag ziehen wir dann doch weiter – direkt gegenüber lockt ja die nächste Insel, Schinoussa. Es ist auch schwacher Wind angesagt, und wir lichten hoffnungsvoll unter Segel den Anker, nur um 5 Minuten später hilflos Richtung Felsen zu treiben – es herrscht absolute Flaute. Es sind aber nur 4 Seemeilen bis vor den Strand von Aligari, also muss der Motor nicht allzu lange laufen. Pünktlich mit der Ankunft fängt dann auch der Wind an, sich zu regen … 

Kapelle auf Schinoussa

Wir finden einen schönen Ankerplatz, rundherum stehen einige luxuriöse Villen an Land; die böse Überraschung folgt erst, als wir mit dem Dinghi anlanden: der Strand ist zwar öffentlich, aber das Gelände dahinter nicht, es ist also unmöglich, ihn zu verlassen (und damit auch, ihn von Land zu betreten). Wir probieren mehrere Wege und stehen entweder vor Verbotsschildern oder gleich vor Stacheldraht; schließlich steigen wir wieder ins Dinghi, landen weiter entfernt an einem viel unzugänglicheren Küstenstreifen an und kämpfen uns durch die Wildnis bis zur nächsten Straße. Später finden wir heraus, dass die gesamte Halbinsel, die unsere Bucht einschließt, offenbar einem Entwicklungsprojekt zugehört, welches in einer parkartigen Landschaft mehrere Luxusanwesen errichtet hat – und im Interesse ihrer Besitzer dafür sorgt, dass das gemeine Volk keinen Zugang hat. Gleich drei sogenannte ‘öffentliche’ Strände sind damit vom Zugang abgeschnitten – ein schlechter Scherz, ihnen noch diesen Namen zu geben. Die Einheimischen machen im Internet ihrem Ärger darüber Luft, nutzen tut ihnen dies aber auch nichts. Schade, dass offenbar auch hier mit genug Geld Gesetze bedeutungslos werden …

Die Insel ist viel flacher als Iraklia, der Weg zur Chora bietet also weniger tolle Aussichten, ist damit aber auch weniger anstrengend; der Ort selbst hübsch anzusehen mit seinen strahlend weißen Häusern, viel los ist hier aber auch nicht gerade. Immerhin gibt es einen Minimarkt, in welchem wir etwas Gemüse erstehen können.

Almyros / Schinoussa

Am Dienstag wollen wir uns nur eben auf die andere Seite der Insel verholen, weil am folgenden Tag ein Frontendurchzug aus Südwest droht. Nach dem Erlebnis des Vortages fahren wir diesmal nicht gleich los, sondern warten erst mal auf den Wind – gegen 13 Uhr geben wir dann auf und motoren gleich um die südliche Halbinsel. Obwohl Schinoussa nicht groß ist, bietet die Insel durch ihre vielen ‘Arme’ prächtige Ankerbuchten in großer Auswahl; wir ankern auf einer ausgedehnten Sandfläche mit vier bis 5 Metern Tiefe und Schutz von Ost über Süd und West bis Nord – perfekt für das angedrohte Mistwetter.

Die Ruhe vor dem Sturm in der Bucht von Almyros

Dienstagabend ist aber alles noch still und friedlich, und wir genießen den lauen Abend im Cockpit, bis wir alles reinräumen und das Boot regenfest machen. Am Mittwochmorgen geht es dann auch vor 8 Uhr noch los: am Himmel naht eine scharf abgegrenzte Wolkenwand, Böen von fast 30 Knoten fallen aus dem Nichts ein, und dann schüttet es auch schon aus Kübeln. In einer Ankerbucht wie dieser mit Schutz vor der See, genug Platz in alle Richtungen und Sandgrund kein Grund zur Sorge – den Anker haben wir fast mit Vollgas eingefahren, es schaut gerade noch der obere Rand vom Bügel aus dem Boden, der Schaft und die ersten Meter Kette sind nicht mehr zu sehen, wie wir gestern beim Schnorcheln noch überprüft haben (die Sicht auf fünf Meter Tiefe ist wie immer kristallklar). Wir können es uns also an Bord gemütlich machen und das Mistwetter regelrecht genießen: wie schön, nicht draußen sein zu müssen! Endlich kann man mal wieder die Vorhänge aufziehen, die sonst immer die Sonne und Hitze draußen halten sollen, und sogar die Petroleumlampe anzünden – der erste Herbsttag des Jahres!

Paralia Pori / Pano Kouphonisi

In der Nacht ziehen noch die letzten Regenfelder durch, und am Donnerstagmorgen erwartet uns schönstes Rückseitenwetter: der Südwestwind ist auf etwa 5 Windstärken zurückgegangen, und die Sonne strahlt auf einzelne Wolken, die eilig über den Himmel ziehen. Wir können den Anker lichten und uns gleich vom Klüver aus der Ankerbucht ziehen lassen – immer ein gutes Vorzeichen für den Tag, wenn er ohne Motorgeräusche beginnt 🙂

Unterm Regenbogen zieht Kato Kouphonisi vorbei

Nur unter Vorsegel machen wir gute Fahrt, wenn es auch in der aufgelaufenen See etwas schaukelt, aber auch für die heutige Strecke lohnt es sich nicht, das Großsegel auszupacken: sieben Seemeilen sind es entlang der unbewohnten Insel Kato Kouphonisi bis zur Nachbarinsel Pano Kouphonisi, wo wir in der fast kreisrunden Bucht vor Paralia Pori den Anker in gut 4 Meter tiefem Wasser fallen lassen.

Paralia Pori, unsere Ankerbucht auf Pano Kouphonisi

Da es ja noch früh am Tage ist, können wir mit dem Dinghi übersetzen und eine kleine Wanderung unternehmen. Die Landschaft zieht uns völlig in ihren Bann: unsere Bucht leuchtet in sattem Türkis, und die zerklüftete Felsenküste in allen vorstellbaren Terrakotta- und Umbratönen.

Felsformationen an der Küste

Überall hat die See kleine Einbuchtungen geschaffen und Höhlen ausgespült, in denen sich gurgelnd die Wellen brechen, der Wind hat bizarre Formen aus dem weichen Gestein gearbeitet; die Aussicht Richtung Südost auf die bergigen Nachbarinseln Keros und Amorgos ist hinreißend, und die schnell ziehenden Wolkengebilde krönen das sich uns bietende Bild. Jeder Beschreibung spottet aber der Duft: die überall wachsenden Wildkräuter haben den Regen des vergangenen Tages aufgesogen, und nun, von der warmen Sonne beschienen, geben sie ihre ätherischen Düfte in einer Intensität ab, die man kaum für möglich gehalten hätte.

Unser Zen-Strand

Wir finden einen kleinen Strandabschnitt, der vollständig mit kleinen Kieseln bedeckt ist; die kräftige Brandung kann diese in Bewegung versetzten, und beim Zurückziehen jeder Welle rollen sie mit einem feinen Klickern zurück. Dort verharren wir und lassen das gesamte Sinneserlebnis auf uns wirken: die Farben, der Duft, die Geräusche, alles so intensiv und durchdringend … ein kleines Stück vom Paradies!

Kouphonisi / Pano Kouphonisi
Die weißen Häuser von Kouphonisi; im Hintergrund Naxos mit seiner üblichen Wolkenkrone

Am Freitag ist ein Windloch während der Drehung von Südwest auf den üblichen Nordwind angesagt, und das wollen wir für einen Hafentag nutzen; wir motoren gleich nach dem Aufstehen zwei Seemeilen von unserer Ankerbucht in den einzigen Ort und Hafen der Insel, der auch ebenso wie sie heißt. Im kleinen, aber gut geschützten Hafenbecken liegen eine Handvoll Fischerboote, sonst niemand; es gibt sogar Muringleinen, so dass man nicht im Hafen den Anker ausbringen muss – das wissen wir schon zu schätzen, ebenso wie die Stromanschlüsse auf der Pier. Nach einer Stunde erscheint ein alter Seemann mit Piratentuch auf dem Kopf, erkundigt sich, wie lange wir bleiben wollen und kassiert 10 Euro für eine Nacht inklusive Strom – bar auf die Hand und ohne Quittung, versteht sich. Nun, wir sind mit dem Tarif zufrieden, und die örtliche Fischergilde mit dem Gegenwert einer Flasche Ouzo auch – was geht den Fiskus ein Geschäft unter Freunden an, denkt sich der Grieche 😉

Wir brechen danach zu einer Wanderung über den Teil der Insel auf, den wir gestern nicht gesehen haben, erklimmen dabei den mit gut 100 Metern höchsten Punkt der Insel, wo sich eine phantastische Rundumsicht bietet.

Aussicht von der höchsten Erhebung Kouphonisis

Hübsch anzusehen ist auch der kleine Ort mit seinen strahlend weißen Häusern; es gibt eine Bäckerei und einen kleinen Supermarkt, außerdem natürlich zahlreiche Restaurants, die meisten aber geschlossen – vielleicht für immer, wer weiß, wie kleine Familienbetriebe den Einkommensverlust eines ganzen Jahres verkraften werden …

Zurück an Bord werden wir noch Zeugen eines besonderen Erlebnisses: die ‘Orion’ beginnt unter unseren Füßen merklich zu zittern! Nach kaum einer halben Minute, während wir uns noch fragen, ob wir das geträumt haben, wiederholt sich der Spuk … Recherchen im Internet ergeben, dass sich in der Nähe von Samos – also 150 Kilometer entfernt – ein Erdbeben der Stärke 6.9 ereignet hat, wohl das stärkste Beben in der Ägäis seit Jahren. Erdbeben an sich sind hier aber nicht ungewöhnlich, die Ägäis ist das Gebiet mit der größten Erdbebenhäufigkeit Europas – nun, jetzt wissen wir auch, wie sich das auf dem Wasser anfühlt.

Nikouria / Amorgos
Amorgos liegt voraus und füllt den ganzen Horizont

Am letzten Tag des Oktobers verlassen wir Kouphonisi und halten knapp 20 Seemeilen nach Osten auf Amorgos zu; mal wieder weht eine frische 5 bis 6 aus Nord, wir brauchen nur den Klüver, um 6 Knoten Fahrt zu machen. Unser Ziel ist von Anfang an nicht zu übersehen: etwa 33 Kilometer lang, nur wenige Kilometer breit und über 800 Meter hoch liegt die Insel wie eine riesige Wand quer am Horizont, ein beeindruckender Anblick, darauf zuzusegeln!

Die Einfahrt in die Meerenge zwischen Nikouria und Amorgos

Die besondere Form hat allerdings auch ihre Tücken: Amorgos weist so gut wie keine geschützten Häfen und Ankerbuchten auf, und schon gar nicht an der dem Meltemi abgewandten Südseite. Auf der windzugewandten Nordseite gibt es eine kleine vorgelagerte Insel, Nikouria, die es auch immerhin auf knapp 350 Meter Höhe bringt; bei der Einfahrt in die sich zwischen den Inseln befindliche Bucht sind wir sehr an norwegische Fjorde erinnert, nur dass die Berge viel trockener sind.

Der Vollmond geht über den Bergen auf

Hier finden wir guten Schutz vor der draußen auflaufenden See, der ohnehin schon kräftige Wind wird aber durch die Bergflanken noch verstärkt: direkt überm Wasser erreichen die Fallböen extreme Geschwindigkeiten, heulen laut und peitschen meterhohe Sprühnebel auf – ein abenteuerlicher Ankerplatz in völliger Einsamkeit, und der bald nach Sonnenuntergang aufgehende Vollmond vervollständigt das perfekte Halloween-Szenario 🙂

Ormos Livadi / Astypalaia

Gerne würden wir mehr Zeit auf Amorgos verbringen, aber dazu bräuchte es ruhigeres Wetter, bei dem momentan herrschenden ständigen Nordwind könnten wir nur in dieser Bucht bleiben, die mit ihren Fallwinden zwar ein spektakuläres, aber wirklich kein gemütliches Plätzen ist; also gehen wir kurz nach Sonnenaufgang gegen 7 Uhr in der Frühe Anker auf, um uns an die gut 50 Seemeilen weite Überfahrt nach Astypalaia zu machen. Für den heutigen Sonntag sind nur 4 bis 5 Beaufort Nordwind angesagt – auf längere Sicht eher ein Schwachwindfenster, häufiger sind es hier 5 bis 6, gerne auch 6 bis 7 Windstärken – jeweils im Mittel, die Böen legen gerne nochmal etwas drauf. Dies führt zusammen mit der ungewöhnlich großen Distanz dazu, dass wir nach der Rundung des Südwestendes von Amorgos nach längerer Zeit mal wieder das Großsegel auspacken müssen; so sind wir dann unter Vollzeug mit halbem Wind und 6 bis 7 Knoten unterwegs, während die Sonne vom fast wolkenlosen Himmel scheint – ein herrlicher Segeltag!

Ormos Livadi, Astypalaia

Pünktlich zum Sonnenuntergang erreichen wir die Bucht von Livadi auf Astypalaia; diese Insel gehört eigentlich gar nicht mehr zu den Kykladen, sondern zum Dodekanes, wurde in der Antike aber noch zu ersteren gezählt, weswegen wir auch unseren Abstecher nach Astypalaia unter der obigen Überschrift belassen. Wir ankern vorm Strand auf 5 m Tiefe auf Sandgrund – der Halt ist hervorragend, was auch gut so ist, denn schon in der kommenden Nacht soll der Wind wieder zulegen.

Die Chora, überragt von der Festungsruine

Am Montag setzen wir mit dem Dinghi zum Strand über und ersteigen den unmittelbar über der Ankerbucht aufragenden Berg mit der Chora der Insel; gekrönt wird diese von den Ruinen einer venezianischen Festungsanlage, die bei dem schweren Erdbeben von 1956 starke Zerstörungen erlitten hat, aber immer noch beeindruckend ist. Die eigentliche Festung ist umgeben von einem Ring ineinandergeschachtelter weißer Häuser, die sich an den steilen Hang schmiegen und durch eine Vielzahl von Treppen verbunden sind.

Die ganze Anlage hat eine starke Wirkung auf uns: die steil aufragenden Festungsmauern, der überwältigende Ausblick von den höchsten Türmen, die zurückhaltende, schlichte Schönheit der strahlend weißen Häuser mit ihren blauen Akzenten und den schon übernatürlich intensiv leuchtenden Bougainvillien -hinreißemd! Der Tourismus ist auf Astypalaia noch wenig entwickelt – die Insel ist einfach zu schwer zu erreichen – und so sind wir praktisch die einzigen Besucher; lediglich einigen Einwohnern begegnet man, die ihren alltäglichen Gewohnheiten nachgehen – etwa an der Straße sitzend ihren Kaffee trinken zum Beispiel – und unzähligen Katzen, die sich in der Sonne räkeln. Wer Ruhe sucht, ist hier richtig!

Agrilidi / Astypalaia

Am Dienstag zeigt sich der Himmel etwas bedeckter, dafür ist es auch weniger windig; wir wollen das nutzen um die folgende Nacht in einer etwas abgelegeneren Ankerbucht zu verbringen.

Agrilidi – wildromantischer Ankerplatz mitten im Nichts

Ganze 5 Seemeilen sind es hinüber auf die östliche Hälfte der Insel, wo sich eine fjordartige Bucht eine halbe Seemeile tief ins Land hineinschneidet; an deren Ende finden sich eine Kapelle, ein paar verfallene Gebäude mit einem aufgegebenen Olivenhain, etliche Ziegen – und sonst rein gar nichts. Wir wandern um die Bucht herum, trauen uns angesichts des schwächeren Windes trotz des bedeckten Himmels mal wieder ins Wasser (wo es sich bei 24 Grad wärmer als außerhalb anfühlt) und genießen ansonsten die wildromantische Abgeschiedenheit und das Läuten der Ziegenglocken …  

Analipsi / Astypalaia

Früh am nächsten Morgen beginnt der Wind, wieder zuzulegen, weswegen wir uns auf einen geräumigeren Ankerplatz verholen wollen – Astypalaia bietet eine breite Auswahl an Buchten mit Nordschutz, da kann man wählerisch werden …

Blick vom Ankerplatz auf Analipsi

Wir lassen uns mit halbem Wind wieder drei Seemeilen zurück nach Westen schieben und ankern vorm breiten Strand von Analipsi; da es noch früh am Tag ist, setzen wir gleich mit dem Dinghi über und gehen eine Runde durch das winzige Dorf.

Die besonders hübsche Kirche von Analipsi

Es gibt genau zwei Geschäfte: einen Minimarkt und eine Taverne; letztere sieht so einladend aus, dass wir einkehren und einen griechischen Mokka trinken. Es gibt nur wenige, kleine Tische, alles ist liebevoll gestaltet; die Speisekarte ist ein handschriftlich beschriebenes Schulheft und verspricht ausschließlich selbstgemachte Köstlichkeiten.  Spontan beschließen wir, am Abend nochmal wiederzukommen, obwohl der Wind bis dahin noch weiter zugelegt haben soll.

Unsere kleine Taverna

Das tut er dann auch, gegen 18 Uhr bläst es schon mit über 20 Knoten; mit einem etwas flauen Gefühl im Magen lassen wir die ‘Orion’ mit 30 Metern Kette auf knapp 4 Meter Wassertiefe zurück. Das Abendessen belohnt uns für den kleinen Nervenkitzel: alles ist köstlich, hier wird noch richtig gekocht: nach unserer Bestellung geht der Wirt (und Koch in Personalunion)  erst mal rüber in den Laden und holt frische Zucchini … Die Leute sind unaufgesetzt freundlich, man freut sich wirklich dass es uns schmeckt, auch die Preise sind sehr angemessen. Und als wir wieder am Strand stehen und unser Ankerlicht noch an gleicher Stelle leuchtet, ist wirklich alles perfekt 🙂

Im Laufe der Nacht zum Donnerstag legt der Wind immer weiter zu, mittlere Windstärken von 30 bis 35 Knoten (also immerhin 7 Beaufort) sind für den folgenden Nachmittag angesagt; bei strahlendem Sonnenschein verbringen wir den Tag vor Anker und freuen uns zuschauen zu können, wie der Windgenerator die Batterien füllt.

Lange währt die Freude aber nicht, denn es gibt schlechte Nachrichten aus unerwarteter Richtung: vom Samstag den 7. November an befindet sich ganz Griechenland im Corona-Lockdown! Zwar schießen die Infektionszahlen auch hier seit Wochen in die Höhe, aber noch zwei Tage zuvor hatte die griechische Regierung eine Karte veröffentlicht, in dem das Land in zahlreiche Bezirke eingeteilt ist, für die jeweils eine von drei Warnstufen und damit einhergehende Maßnahmen gelten. Nur für wenige Regionen – rund um Athen und Thessaloniki – galt die höchste Warnstufe, für andere wie auch die südostägäischen Inseln die niedrigste. Ein gut nachvollziehbares Konzept – warum dieses allerdings zwei Tage später schon wieder eingestampft wird und kurzerhand alle Regionen zum Hochrisikogebiet erklärt werden, völlig unabhängig vom Infektionsgeschehen, ist uns völlig schleierhaft …

Aufgrund der schlechten Erfahrungen in Spanien fürchten wir auch eine Schließung der Häfen und verholen uns deshalb am Freitagmittag bei nur leicht nachlassendem Wind noch schnell in den Fischerhafen von Astypalaia, um hier der Dinge zu harren, die da kommen; mit dem wunderschönen Segeln von Insel zu Insel hat es jetzt jedenfalls erst einmal ein Ende, so viel ist sicher 🙁