Aufbruch (27.04. – 10.05.)

Astypalaia

Dass das Boot wieder im Wasser schwimmt, bedeutet noch lange nicht das Ende der Arbeiten, wie wir wieder einmal feststellen müssen: das Anschlagen der Segel und des gesamten laufenden Gutes nimmt Tage in Anspruch, und das Aufklaren des Bombeneinschlags unter Deck ist nicht weniger anspruchsvoll! Am Donnerstag sind wir so weit, dass wir eine kleine Probefahrt zum Inselchen Koutsomiti unternehmen können: beim Ablegemanöver (unter Segel natürlich …) entrollt sich der Klüver nicht, da die Schoten nicht richtig geführt sind, und der sportlich angedachte Auftritt gerät zum Hafenkino erster Güte; der Rest des Ausflugs verläuft aber reibungslos.

Drei Tage und unzählige Arbeiten später unternehmen wir die nächste Probefahrt, diesmal nach Kounoupoi und mit einer Übernachtung; auf dem Rückweg haben wir auch 6 Beaufort Gegenwind und können uns so davon überzeugen, dass das Boot über den Winter das Segeln nicht verlernt hat – ganz im Gegenteil, mit frischem Antifouling laufen wir 6 bis 7 Knoten am Wind!

Zurück in Maltezana stehen noch die Reinigung von Katerinas Zimmer aus sowie etliche Ladungen Wäsche – wir dürfen auch noch ihre Waschmaschine benutzen, was eine ganz große Erleichterung darstellt. Am Donnerstag nehmen wir Abschied und setzen über zum Inselhafen – da werden Erinnerungen wach, wie oft sind wir doch diese Strecke im Lockdown-Winter gesegelt! Freitag geht es noch eben zum Zahnarzt, und nach einem langen Abschiedsabend bei Maroula brechen wir am Samstagmorgen auf, um die Insel tatsächlich zu verlassen – fast etwas überstürzt, aber wir wollen zügig Kreta erreichen, und die Windvorhersagen taugen nur für die erste Hälfte der neuen Woche noch …

Anafi / Paralia Monastiri

Erstes Ziel ist die gut 30 Seemeilen westlich gelegene Kykladeninsel Anafi; es ist Nordwind um 4 Beaufort angesagt, aber kaum dass wir die Abdeckung Astypalaias verlassen haben, weht es deutlich kräftiger, so dass wir ganz froh sind, noch mit einem Reff im Großsegel losgefahren zu sein. Wieder freuen wir uns über die schnelle Fahrt von über 7 Knoten, die wir nur dem frischen Antifouling zuschreiben können – oder ist die ‘Orion’ durch das Sandstrahlen so viel leichter geworden? 😉 Wer weiß, was die gesammelten Lackschichten von 40 Jahren wiegen mögen …

Kap Kalamos, Anafi

Nach einigen Stunden ragt das beeindruckende Ostkap von Anafi vor uns auf: über 460 Meter steigt der Kalksteinfelsen Kalamos senkrecht aus dem Meer, nach Gibraltar der zweitgrößte Monolith im gesamten Mittelmeerraum! Oben auf dem Gipfel steht das 1715 erbaute Kloster Panagia Kalamiotissa; in einer kleinen Bucht an der Südseite des Felsens werfen wir den Anker und verbringen eine halbwegs ruhige Nacht – ein wenig Schwell kommt doch um die Ecke, aber daran werden wir uns gewöhnen müssen, vor uns liegen viele Nächte in eher offenen Ankerbuchten.

Paralia Monastiri

Am Sonntagmorgen setzen wir mit dem Schlauchboot über; der ganze Grund vorm Strand ist weißer Sand, der sanft ansteigt, die Farbe ein Traum – und weit und breit keine Menschenseele! Wir genießen kurz und machen uns dann an den unvermeidlichen Aufstieg zum Kloster:

Panagia Kalamiotissa

der Weg ist schmal und steil, aber irgendwann ist es geschafft, und wir können den Ausblick vom strahlend weißen Gemäuer über die Insel und das Meer genießen; zwar ist die Fernsicht heute nicht besonders gut, doch wenigstens bedeutet das, dass uns auch die Sonne nicht allzu sehr auf den Pelz brennt. Das Kloster ist heute nicht mehr bewohnt, und auch auf dem Hin- und Rückweg sehen wir niemanden.

Der Abstieg ist viel schneller geschafft, und nach dem Belohnungskaffee zurück an Bord segeln wir noch drei Seemeilen bequem nur unter Vorsegel bis zum Strand vor dem kleinen Inselhafen, um dort erneut zu ankern.

Anafi / Paralia Klisidi

Hier spüren wir in der Nacht den Schwell deutlicher, besonders als später der Wind nachlässt und das Boot nicht mehr ausrichtet; der Hafen ist jedoch keine echte Alternative, da er zur Zeit umgebaut wird und die ohnehin kleine Fläche größtenteils von einem Arbeitsponton ausgefüllt wird. Nicht, dass hier jemand ein Problem damit hätte, wenn wir einfach an diesem Ponton festmachen würden, aber wir ankern ja auch ganz gerne …

Die Chora von Anafi

Am Montagmorgen setzen wir wieder zum Strand über, der hier auch noch aus allerschönstem Sand (statt wie häufig auf den Inseln aus feinem Kies) besteht – und wieder menschenleer ist. Auf Anafi leben 271 Menschen – größtenteils in der Chora, zu der wir erst mal wieder aufsteigen müssen.

Die Mühe lohnt sich aber: uns erwartet ein wunderschönes Inseldorf mit größtenteils liebevoll gepflegten, strahlend weißen Häusern und zahlreichen Farbtupfern in Form von lackierten Holzelementen und natürlich prächtigen Blumen. Es gibt einige Tavernas und Cafés – aber die Ströme des Massentourismus gehen an dieser Insel offenbar noch völlig vorüber. Alles verströmt Ruhe und Gelassenheit; natürlich ist es auch noch früh im Jahr, aber selbst im Sommer kann es hier nicht furchtbar voll werden – dazu fehlen einfach auch die Unterkünfte. Wie wir schon auf dem Weg zum Kloster festgestellt haben, verfügt die Insel sogar über ein gut gekennzeichnetes Netz von Wanderwegen – also, wer noch ein Ziel für einen naturnahen Urlaub mit Bergwandern, Badetagen an Traumstränden und köstlichem Essen sucht … natürlich gibt es einen Haken: gerade zweimal pro Woche kommt die Fähre von Piräus, und das dauert auch noch 10 Stunden.

Thira / Akrotiri

Gegen Mittag sind wir zurück an Bord, und inzwischen ist auch wieder Wind aufgekommen – genug, um die 20 Seemeilen zur nächsten Insel Thira noch in Angriff zu nehmen. Diese ist die größte Insel im Santorini-Archipel und auf Deutsch besser unter diesem Namen bekannt, im Griechischen bezeichnet man aber nur die gesamte Inselgruppe so. Die außergewöhnliche Geographie – die Inseln ThiraThirasia und Aspronisi bilden Fragmente eines Rings, in dessen Zentrum die Inseln Palea Kameni und Nea Kameni liegen – verdankt die Inselgruppe einer gewaltigen Vulkaneruption vor rund 3500 Jahren, bei der das gesamte Zentrum des Vulkans weggesprengt wurde und eine bis zu 700 Meter tiefe Caldera geschaffen hat. Bimsstein- und Ascheregen gingen damals über dem gesamten östlichen Mittelmeer nieder, und ein Tsunami verwüstete die Küsten – die Spuren davon lassen sich bis heute finden.

Ankerplatz vor Akrotiri

Zur Zeit der Eruption, in der späten Bronzezeit, blühte auf Thira die minoische Kultur, welche heute als die früheste Hochkultur Europas angesehen wird. In Akrotiri hat man im vergangenen Jahrhundert die von Vulkanasche hervorragend konservierten Reste einer bronzezeitlichen Stadt ausgegraben – ein sensationeller Fund, der weiter zur Assoziation Thiras mit dem Atlantis-Mythos beitrug.

Die Ausgrabungstätte – sicher eine der interessantesten Fundstätten überhaupt – hätten wir uns auch sehr gerne angesehen, und so ankern wir direkt vorm Dorf Akrotiri; leider müssen wir aber feststellen, dass ausgerechnet am folgenden Dienstag dort Ruhetag ist – das läuft ja wieder mit! Zwei weitere Tage dort zu bleiben und erst am Donnerstag weiterzusegeln ist leider keine Option – da müssten wir die 100 Seemeilen bis Kreta motoren, es ist nämlich eine ausgedehnte Flaute angesagt.

Wir verbringen also nur eine Nacht vor Thira und setzen keinen Fuß an Land, und dennoch können wir nicht umhin zu bemerken, wie sehr sich die Inselgruppe von ihrem Nachbarn Anafi unterscheidet: dort Einsamkeit und Stille, hier eines der touristischen Hauptziele in Griechenland – auf der Innenseite der Insel laden täglich Kreuzfahrtschiffe ihre Andenkenkäufer zu Tausdenden aus. In Akrotiri boomt offenbar der Sonnenuntergangstourismus: gegen 19 Uhr füllt sich die gesamte See mit Katamaranen (ausnahmslos unter Motor, nicht ein Segel wird gesetzt), von denen aus die zahlende Kundschaft die Sonne überm Meer versinken sieht. Wir zählen 24 solcher Ausflugsboote in unmittelbarer Umgebung unseres Ankerplatzes – mehr Boote als wir in den letzten Monaten auf Astypalaia zusammen gesehen haben. Eine Stunde später ist der Spuk vorüber, und wir verbringen eine schaukelige, aber ansonsten ruhige Nacht.

Überfahrt nach Kreta
Hinter uns bleibt Thira zurück

Am Dienstagmorgen setzten wir am Anker die Segel und lassen uns langsam aus dem Windschatten Thiras treiben; hinter uns bleiben die bizarr geformten Felsen aus vulkanischem Gestein zurück. Kaum ist der Seeraum nach Norden offen, fasst uns auch schon der Wind: mit fast 20 Knoten schiebt uns ein frischer Nordnordwest nach Südwesten. Wir laufen mehr Höhe als es für den direkten Weg nötig wäre, denn weiter südlich und später am Tag sagen die Modelle stark nachlassende Winde voraus, und so segeln wir lieber in einem Bogen gen Kreta, als allzu bald in die Flaute zu kommen.

Sonnenuntergang – für uns allein und kostenlos …

Tatsächlich lässt der Wind bald nach, aber da wir mit dem im Winter umgebauten Masttop endlich den Code Zero vernünftig fahren können, können wir auch bei nur 8 bis 10 Knoten Wind noch schnelle Fahrt machen. Am Abend lässt es dann weiter nach, und die Richtung wird auch noch ungünstiger; mit dem 60 Quadratmeter großen Leichtwindsegel können wir aber immer noch am Wind 2 bis 3 Knoten Fahrt machen und kommen so gut durch die Nacht.

Schneebedeckte Gipfel begrüßen uns auf Kreta

Am Morgen ist Kreta in Sicht – schneebedeckte Berggipfel leuchten über der tiefblauen See, ein erhabener Anblick! Leider ist der Wind nun völlig dahin – wir müssen die letzten 15 Seemeilen motoren, bis wir nach insgesamt 99 Seemeilen kretischen Boden betreten können.