Chalkidiki (08.07. – 04.08. / 01.09.-03.09.)

Am Donnerstag den 8. Juli soll es endlich den Wind geben, der uns den letzten größeren Seeschlag bis zum Sommerziel Thessaloniki ohne endlose Motorfahrt ermöglichen soll – nach fast vier Wochen Dauerflaute und Hitzewelle sehnlichst herbeigewünscht und kaum noch für möglich gehalten. Als in der letzten Nacht in der Ankerbucht auf Kyra Panagia der Nordost noch nicht wie angekündigt aufkommen will, befürchten wir schon das Schlimmste, brechen aber dennoch kurz vor Sonnenaufgang auf – in der ersten Tageshälfte ist mehr Wind als am Nachmittag angesagt.

Sonnenaufgang über Gioura

Bei gerade mal 7 bis 8 Knoten segeln wir in den neuen Tag – wenigstens kommt der Wind östlicher und damit für uns günstiger als angesagt, und ein herrlicher Sonnenaufgang tröstet uns über die magere Windstärke hinweg.

Dann geschieht das Unerwartete: statt zum Mittag hin abzuflauen, wird der Wind stärker: bei einem gemäßigten Amwindkurs laufen wir unter Vollzeug zeitweise über 5 Knoten – so können wir ohne Motorunterstützung ans Ziel kommen!

Sithonia / Porto Koupho
Da soll es eine Lücke geben?

Am frühen Nachmittag liegen nach 40 Seemeilen die steilen Felsenklippen von Sithonia vor uns, dem mittleren Finger der Chalkidiki-Halbinsel. Die Einfahrt in den Naturhafen von Porto Koupho ist spektakulär: man fährt auf hohe, zerklüftete Felswände zu, und erst kurz vor der Einfahrt kann man diese als solche erkennen; dahinter tut sich eine ausgedehnte Bucht auf, mit langen Stränden und dem kleinen Ort gleichen Namens.

Der ausgedehnte Naturhafen Porto Koupho.

Die wenigen Plätze am Kai sind belegt, wie ankern also davor – wie etliche andere Yachten auch, der Hafen ist sehr beliebt. Nicht ohne Grund: während draußen der ganztägige Nordost einen knappen Meter See aufgebaut hat, ist das Innere der Bucht völlig frei von Schwell. Nur das Wasser ist nicht so klar, wie wir es von den Inseln gewohnt sind, bei etwa 5 Metern Tiefe gerät der Grund außer Sicht – wir ankern also blind auf knapp 15 Metern. Der Schutz durch die umliegenden Berge ist gut, nur einzelne Böen arbeiten sich hin und wieder in die Bucht; wir verbringen eine ruhige Nacht und landen am nächsten Morgen noch am Stadthafen an, um im einzigen Supermarkt Einkäufe zu erledigen – der Ort ist erstaunlich klein für seine Lage an so einem hervorragenden Naturhafen.

Sithonia / Paralia Azapiko

Eigentlich zieht es uns an die Ostküste Sithonias, aber da der Meltemi, der uns am Vortag so freundlich zur Chalkidiki getragen hat, noch einige Tage wehen soll, beschließen wir erst mal ein Stück die Westküste heraufzufahren, um besseren Schutz vor dem aus Nordost heranrollenden Schwell zu haben. Wie immer wenn es irgendwie möglich ist verlassen wir unseren Ankerplatz unter Segeln – was sich aber im Talkessel von Porto Koupho als Herausforderung erweist, da der Wind sich sowohl in Richtung als auch in Stärke – zwischen 3 und 30 Knoten ist alles drin – als sehr abwechslungsreich erweist. Nachdem wir mehrmals unter Vollzeug die Relingdrähte durchs Wasser gezogen haben, um kurz darauf wieder in der Flaute einzuparken, erreichen wir endlich die offene See, und der Wind wird gleichmäßiger.

Große, alte Bäume am Strand von Azapiko

Ohne eigentliches Ziel werfen wir schon nach 7 Seemeilen den Anker vor einem hübschen Strand; eine kleine Strandbar lässt Reggae statt wummernder Bässe erklingen – hier kann man bleiben. Richtig toll aber finden wir die riesigen Bäume am Ufer: gerade noch haben wir uns darüber gefreut, überhaupt mal wieder einen Baum zu sehen, und nun gibt es hier gewaltige Nadelhözer, deren Stämme sicher einen Meter messen – das haben wir vermisst!

Abendhimmel über Akrotirio Papadhia

Etwas weniger begeistert uns, dass das Wasser auch hier nicht wirklich klar ist, es gibt wohl einfach viel mehr Schwebstoffe organischer Herkunft als auf den – klein und felsig, einsam in der Ägäis gelegenen – Inseln. Dafür ist das Wasser noch wärmer – was aber bei der anhaltenden Affenhitze kein Vorteil ist, bei über 30 Grad ist der Kopfsprung kaum noch erfrischend. Erst nach Sonnenuntergang wird es erträglich – langsam verstehen wir, warum in Griechenland niemand vor 21 Uhr ans Abendessen denkt.

Sithonia / Agia Kyriaki
Felsenküste bei Agia Kyriaki

Auch am Samstag segeln wir nur einen kleinen Schlag – an dieser Küste findet sich ein schöner Ankerplatz neben dem anderen. Im 6 Seemeilen nordwestlich gelegenen Agia Kyriaki gibt es einen Campingplatz (und nicht viel sonst), zu dem ein Supermarkt gehört; wir ankern vorm Strand und fahren mit dem Dinghi zum Einkaufen, frisches Obst und Gemüse sind immer willkommen. Nur ein kleines Stück nördlich der Siedlung, hinter einer felsigen Halbinsel, finden wir eine kleine Bucht mit dekorativer Umgebung und gutem Schutz vor dem uns immer noch  inzwischen aus Süd nachlaufenden Schwell; wir legen eine Landleine an die Felsen, um den Bug aus der Bucht herauszeigen zu lassen, und alles ist gut.

Sithonia / Akrotiri Sithonias

Am Sonntag segeln wir dann die Strecke der vergangenen zwei Tage wieder zurück – es ist der letzte Tag, für den etwas Nordost angesagt ist, am Montag wollen wir uns dann auf die Ostseite von Sithonia trauen. Bis zur Höhe von Porto Koupho kommen wit auch ganz gut voran, nur für das letzte Stück bis zum Ende der Halbinsel muss der Motor ran.

Hinter dem Kap verbergen sich mehrere Strände, vor denen man ankern kann und Schutz vor dem Schwell aus Ost findet; wir entscheiden und für einen ohne Straßenanbindung, der deswegen auf der Google-Karte ‘Secret Beach’ heißt – das klingt doch gut! Als ganz so geheim erweist er sich dann doch nicht, ein paar wenige Menschen sehen wir; insgesamt aber ein sehr ruhiges Fleckchen, an dem die Abendsonne die terrakottafarbenen Felsen dekorativ zum Glühen bringt.

Der ‘Geheime Strand’ liegt verborgen ganz am Ende der Halbinsel Sithonia
Sithonia / Sarti
Kaum Wind, aber viel Schwell am Akrotiri Sithonias

Montagmorgen geht es dann ums Kap auf die Ostseite von Sithonia; die Wetterdienste geben nur 0,1 m Schwell aus Ost an, das sollte sich ja machen lassen. Leider sieht die Realität mal wieder anders aus: als wir – wie erwartet bei Flaute und unter Motor – die Nase um die Ecke strecken, laufen uns Wellen von einem Meter Höhe entgegen. Überflüssig zu erwähnen, welch berauschende Fahrt über Grund wir damit machen …

Nach einer Stunde Rodeo können wir endlich den Kurs etwas nördlicher setzen und werden wenigstens schneller; der Motor läuft aber 4 Stunden, bis wir vor dem ausgedehnten Strand von Sarti den Anker werfen – und den Heckanker gleich hinterher, um den Bug im hier immer noch einen halben Meter hohen Schwell zu halten. Die Anlandung im Dinghi am Strand gerät in der beträchtlichen Brandung zu einem kleinen Abenteuer, aber wir wollen im größten Supermarkt weit und breit einkaufen, und einen Freddo Espresso in einer der zahlreichen Strandbars haben wir uns auch verdient.

Strandbar in Sarti: Blick auf Athos inklusive

Besonderes Highlight an dieser Küste ist der Blick quer über den Singitischen Golf auf den Berg Athos, dessen Spitze das Meer um mehr als 2000 Meter überragt. Die zahlreichen Klöster der Mönchsrepublik sind auf diese Entfernung natürlich nicht zu erkennen, aber die Silhouette des Berges ist ein toller Anblick!

Gar nicht überlaufen ist Sartis toller Strand

Sarti ist der größte Badeort der Gegend mit seinem kilometerlangen Sandstrand; entsprechend touristisch geprägt ist das Dorf, welches wir aber dennoch ganz sympathisch finden – natürlich gibt es unzählige Restaurants, Bars, Kramläden und Hotels, aber anders als es in Spanien an einem vergleichbaren Strand der Fall wäre, haben diese selten mehr als ein Dutzend Zimmer – zwölfstöckige Bettenbunker wie auf Mallorca sucht man hier vergeblich.

Die ‘Orion’ vorm Strand von Sarti

Gegen Abend beruhigt sich auch wie erhofft der Schwell etwas, so dass wir nach einem Abendessen mit Blick auf das Treiben der Badenden eine halbwegs brauchbare Nacht vorm Strand von Sarti verbringen – so weit es die unverändert grausamen Temperaturen an Bord eben zulassen …

Sithonia / Dhiaporos – Koukos

Dienstagmorgen warten wir nach der Erfahrung vom Vortag erst mal etwas, bis der Wind östlicher kommt; gegen 11 Uhr können wir unsere beiden Anker aufholen und uns langsam von einer sanften Brise nur unter Klüver auf die See hinaustragen lassen. Tatsächlich dreht der Wind weiter, so dass wir bald sogar den Gennaker setzen können und erstaunlich gute Fahrt machen – eine unerwartete Freude, bei der Wettervorhersage haben wir befürchtet, auch die zweite Hälfte der Strecke bis zur Insel Dhiaporos motoren zu müssen.

Sonnenuntergang über Dhiaporos

Gegen 16 Uhr erreichen wir die enge Passage im Süden der Insel; dahinter öffnet sich ein lagunenartiger Sund mit eher geringen Wassertiefen, sandigem Grund und perfektem Schutz vor Schwell. Die Zahl der möglichen Ankerplätze ist schier endlos; wir entscheiden uns für den Strand vor Koukos an der Südseite von Dhiaporos. Die Insel ist eher flach, mit ihren Bäumen, Wiesen und rundgeschliffenen Felsen mutet sie fast etwas schwedisch an; ein paat Villen stehen darauf, sonst nichts. Wir bekommen einen schönen Sonnenuntergang geboten und genießen eine sehr, sehr ruhige Nacht.

Vourvourou, Welthauptstadt der Bootsverleiher

Den nächsten Tag beschließen wir, hier zu bleiben, und mit dem Dinghi einen Ausflug eine gute Seemeile nach Süden zum Dorf Vourvourou zu unternehmen. Hier dreht sich alles um den Wassersport: auf zwei Kilometern Länge reiht sich ein Motorboot-, Jetski- oder Kajakverleih an den anderen; so etwas wie einen Dorfkern finden wir nicht, wohl aber natürlich Restaurants, Cafés und Supermärkte zur Versorgung der zahlreichen Gäste – die, betrachtet man die Autokennzeichen, quasi ausschließlich aus den Balkanstaaten anreisen. Fremdsprachenkenntnisse scheinen dort nicht hoch im Kurs zu stehen: die junge Kellnerin im Café erstrahlt förmlich, als wir ihr ein ‘Ευχαριστώ πολύ’ schenken 🙂

Sithonia / Elia Agiou Nikolaou
Abendstimmung über der Insel Elia

Donnerstag ziehen wir ein kleines Stück weiter: ganze zwei Seemeilen geht es nach Norden durch den Sund bis zum Inselchen Elia; dahinter gibt es einen Ankerplatz von 5 bis 6 m Tiefe auf Sandgrund – und entsprechend herrlichen Farben! Das Wasser ist hier auch endlich wieder etwas klarer als an unseren bisherigen Ankerplätzen auf Sithonia, also beste Schnorchelbedingungen, wozu auch die dekorativ geformten Felsen am Ufer beitragen, in deren Spalten sich vielerlei bunte Fische tummeln. Ab und an leistet uns ein kleines Motorboot für einen Badestopp Gesellschaft, ansonsten bleiben wir allein – erstaunlich, wir finden diesen Ankerplatz noch viel besser als den letzten!

Sithonia / Paralia Lagonisi

Unsere Tagesdistanzen werden immer kürzer: es geht eine Seemeile um eine Landzunge in die Nachbarbucht; als wir in diese hineinschauen können, laden uns gleich mehrere Uferstreifen zum Ankern ein. Wir entscheiden uns ausnahmsweise mal gegen den mit dem naturbelassensten Hintergrund, denn gegenüber liegt Lagonisi, einer der schönsten Strände Sithonias.

Wasserspaß am familienfreundlichen Traumstrand: Lagonisi

Entsprechend ist hier eine Menge los, aber zur Abwechslung finden wir es auch mal ganz interessant, vor einem Badeparadies zu ankern: der Trubel am Strand, die Tretboote, die planschenden Kinder – solange die Strandbar keine unerträgliche Musik spielt (und hier hört man rein gar nichts), ist das ganz schön, sozusagen ein Strandurlaub auf Zeit.

Ankern im Farbenrausch

Und die Sandfläche, auf der wir ankern, ist sehr ausgedehnt, so dass wir mitten in einem türkisblauen Traum liegen – und schnorcheln kann man hier natürlich auch hervorragend, über den weißen Sand zu gleiten fühlt sich so schwerelos an, und über dem sich am Rand des Strandes anschließenden Felsenriff gibt es auch eine Menge zu sehen. Große Schwärme winziger Fische bewegen sich über den sonnendurchfluteten Seegraswiesen wie eine Einheit – ebenso rätselhaft wie faszinierend, wie die sich koordinieren!

Sithonia / Ormos Panagias

Am Samstag fahren wir wieder eine Bucht weiter – in Luftlinie nur wenige 100 Meter … Ziel ist die Marina Panagia, die gegenüber dem Dorf Ormos Panagias liegt. Diese ist gar nicht so klein, aber kaum auf Gäste ausgerichtet, und so sind wir froh, hier einen Platz zu bekommen, denn sowohl unsere Wasservorräte als auch unser Batteriestand brauchen etwas Nachschub; 20 Euro Liegegeld inklusive Strom und Wasser sind für griechische Verhältnisse gar nicht so wenig, aber als erste kostenpflichtige Übernachtung seit Linaria auf Skyros wohl finanzierbar 🙂

Marina Panagia

Wir fahren mit dem Dinghi zum Einkaufen über die Bucht ins Dorf, welches hauptsächlich auf Tagesfahrten zur Athos-Halbinsel ausgerichtet ist; einen Supermarkt und ein Café mit gutem Freddo und hervorrragender Portokalopita (sirupgetränkter Orangenkuchen) gibt es aber auch. Dann wandern wir noch zu einem Hofverkauf eines lokalen Olivenbauern – wir erwerben zwei Kanister Öl und einige Pfund sensationell guter Oliven zu einem Preis, der einem nach deutschen Maßstäben das Gefühl gibt, die armen Leute bestohlen zu haben …

Sithonia / Dhiaporos – Kriphtos

In der Nacht zum Sonntag kommt ausnahmsweise mal Wind auf, in der Marina liegen wir aber gut geschützt. Wir warten noch bis zum Mittag, und als es sich dann etwas beruhigt hat, legen wir ab und fahren rund drei Seemeilen zurück zur Insel Dhiaporos; diese hat an ihrer Nordseite einen fjordartigen Einschnitt von mehr als einer halben Seemeile Tiefe, welcher perfekten Schutz vor dem vom Wind aufgeworfenen Schwell verspricht.

Sturmsicher: die EInfahrt nach Kriphtos

Dem ist dann auch so, nach etwa einem Meter Wellenhöhe vor der Einfahrt liegen wir tief in der Bucht völlig still – jedenfalls was die See betrifft: es herrscht ein ständiges Kommen und Gehen der kleinen Charter-Motorboote, deren Gashebel nur zwei Stellungen kennt, von denen eine mit ‘Baden’ beschriftet ist 😉 Ab 19 Uhr kehrt aber Ruhe ein, und in der Nacht teilen wir uns die geräumige Bucht mit nur einer anderen Segelyacht. Dadurch, dass erstmals seit geraumer Zeit ein paar Wolken den Himmel bedecken, ist es auch etwas weniger heiß im Boot, was die Nacht umso ergiebiger macht …

Sithonia / Dhiaporos – Agios Isidhoros

Ausnahmsweise mal halbwegs ausgeruht verlegen wir uns am Montagmorgen auf die Außenseite von Dhiaporos hinter die kleine Insel Agios Isidhoros.

Die ‘Blaue Lagune’ wird ihrem Namen gerecht

Der Sund zwischen den Inseln wird von der Tourismusbranche als ‘Blue Lagoon’ vermarktet; ganz übertrieben ist das nicht, das Farbspiel des Wassers über ausgedehnten Sandflächen ist wirklich hinreißend – wie so oft hier, die Farben sind für uns mit die tiefsten Eindrücke, die wir in der Ägäis aufnehmen.

Landschaft auf Dhiaporos

Die Landschaft auf den Inseln ist aber auch durchaus reizvoll: zwar recht trocken, aber auch Mitte Juli noch nicht völlig verdorrt, und die Hügelrücken sind mit großen, schattenspendenden Bäumen bewachsen. Wäre es nicht so heiß, könnte man hier auch ein herrliches Picknick veranstalten 🙂

Kunstwerke der Natur

Von den zahlreichen Besuchern – über den Tag besuchen uns sicher um die 100 Motorboote, jedes davon mit der charakteristischen Vollgas-Welle sowohl bei der Ankunft wie auch bei der Abfahrt – betritt aber niemand das Ufer; es ist auch wirklich zu heiß, die hier eingefügten Fotos sind teuer erkauft. Ein Rätsel ist uns, dass bei dem Aufkommen von Badenden und gut motorisierten Booten mit schlecht bis nicht ausgebildeten Bootsführern (40 PS – ‘no license required!’) das Wasser nicht eher rot als blau ist …

Athos / Amouliani – Paralia Kalopigado

Der Dienstagmorgen empfängt uns mit einem ungewöhnlichen Anblick: dicke Wolken hängen am Himmel, und es regnet einige Tropfen! Aber schon gegen 10 Uhr beginnt es aufzureißen, und bald danach stellen sich die kleinen Motorboote wieder ein: wir zählen knapp 50 in unserer Bucht!

Eigentlich wollten wir noch einen Tag bleiben, aber das ist uns doch zu voll, und außerdem ist für den Nachmittag etwas Südostwind angesagt – eine gute Gelegenheit, den Singitischen Golf zu queren und die vor der schmalsten Stelle der Athos-Halbinsel gelegene Insel Amouliani zu besuchen; hier, bei der Ortschaft Trypiti, ließ der persische Großkönig Xerxes der I. um 480 v. Chr. einen Kanal ausheben, um seine Flotte ohne den gefährlichen Umweg um den Berg Athos in den Krieg gegen die Griechen schicken zu können. Geholfen hat es ihm nichts – nach der Niederlage in der Seeschlacht bei Salamis musste er sich nach Kleinasien zurückziehen, womit die Grundlage für den Aufstiegs Athens – und letztendlich einer europäischen Kultur, wie wir sie heute kennen – gelegt war.

Die ‘Orion’ macht Strandurlaub

Am Strand von Kalopigado auf Amouliani spürt man aber wenig vom Hauch der großen Weltgeschichte: fröhliche Menschen genießen das kühle Nass (nun ja … über 30 Grad sind nicht mehr wirklich kühl), eine kleine Beach Bar serviert die Getränke an die Liegestühle. Die Charterbootquote ist dramatisch abgefallen, und überhaupt geht es hier etwas ruhiger zu als gegenüber um Dhiaporos herum – vielleicht dämpft der schwere Schatten der nahen Mönchsrepublik den Badetourismus etwas 😉

Ruhig und beschaulich: Amouliani Downtown

Am Mittwochmorgen landen wir mit dem Dinghi am Strand an und wandern ins knapp anderthalb Kilometer entfernt liegende Inseldorf, bevor die Sonne zu hoch am Himmel steht und jede Bewegung unmöglich macht; auch hier geht es ruhig zu, aber mehrere gutsortierte Supermärkte und eine Bäckerei versorgen uns mit Frischwaren für die kommenden Tage – prima!

Sithonia / Paralia Klimataria

Am Donnerstag brechen wir früh auf: für den Vormittag ist etwas Nordwind angesagt, der dann immer östlicher drehen soll, und bevor das geschieht, wollen wir ein möglichst langes Stück an der Küste von Athos entlangsegeln – in gebührender Entfernung, versteht sich, denn ein gewisser Mindestabstand ist einzuhalten. Anlanden ist streng verboten, die Mönchsrepublik darf nur nach langfristiger Voranmeldung betreten werden, der Zutritt ist auf 10 ausländische Besucher pro Tag kontingentiert, und Frauen dürfen grundsätzlich schon mal gar nicht herein. Hier ist die Zeit vor 1000 Jahren stehengeblieben …

Der Berg Athos

Von den beeindruckenden Klöstern sieht man so leider nicht besonders viel, aber der ‘Heilige Berg’ Athos selbst löst sich langsam aus seinem eigenen Schatten und bietet einen tollen Anblick, wie er so – mit spitzem Gipfel, wie ein anständiger Berg zu sein hat, und einer kleinen Wolkenkrone – über 2000 Meter steil aus dem Wasser aufragt.

Zauberhafter Abendhimmel  über Sithonia

Die angekündigte Winddrehung wird leider – wie so häufig – von einer stundenlangen, nicht angekündigten Flaute begleitet, so dass unser Tag auch nach hinten lang wird – wir müssen ja noch nach Sithonia hinüber, mangels Ansteuerbarkeit von Athos. Irgendwann haben wir uns aber auch – bei beträchtlichem, unangenehmen Schwell, der von Osten um das Ende von Athos zu kommen scheint – bis zum Strand von Klimataria in der Nähe von Sykia vorangedümpelt. Zwischen Bug- und Heckanker liegen wir ausgerichtet zum Schwell vorm Badestrand mit den üblichen Strandbars und Restaurants, genießen einen zauberhaften Abendhimmel und haben eine gute Position für die Nacht gefunden – denken wir …

Sithonia – Porto Koupho

Mitten in der Nacht dreht der Wind plötzlich wieder auf, nur aus einer neuen Richtung: er weht diagonal über den Singitischen Golf und baut binnen kürzester Zeit eine Windsee auf, die nicht zu unserer Ausrichtung passen will. Die ‘Orion’ beginnt an der Kette zu stampfen; als sich auch noch durch das fortwährende Rucken an der Kette langsam aber sicher der Anker in Bewegung zu setzen beginnt, meldet sich der Ankeralarm, und um 5 Uhr ist die Nacht endgültig vorüber. Wir schauen uns beim Morgenkaffee noch in aller Ruhe an, wie die Felsen hinter uns beharrlich näher rücken, und als es hell genug ist, beschließen wir, gleich loszufahren statt nochmal umzuankern.

Abendliche Ruhe über Porto Koupho – stilles Wasser wie auf dem Ententeich

Bedingt durch diesen unfreiwillig frühen Aufbruch runden wir schon gegen 11 Uhr das Akrotiri Sithonias und beschließen aufgrund unserer Erschöpfung, die Fahrt nicht mehr weiter als bis Porto Koupho fortzusetzen, unserem ersten Ankerplatz auf Chalkidiki vor gut zwei Wochen. Da an der Pier gerade ein Platz frei ist, gehen wir kurz längsseits, füllen unseren Wassertank und tragen größere Mengen Getränke die wenigen Schritte vom kleinen Supermarkt zum Boot – das ist doch einfacher als mit dem Dinghi! Danach suchen wir uns noch einen Platz im Ankerfeld – wir wissen nicht so genau, ob wohl noch jemand den Platz an der Pier beansprucht, und besonders geeignet ist diese für uns auch nicht mit ihren herausstehenden Moniereisen und den alten Autoreifen …

Sithonia – Stiladhari

Nach einer wie erhofft sehr ruhigen Nacht vor Anker in Porto Koupho können wir am Samstagvormittag unter Segeln aus der Bucht fahren; wie beim letzten Mal erleben wir sehr abwechslungsreiche Windverhältnisse in der Ausfahrt, sind diesmal aber besser vorbereitet: wir fahren nur unter Klüver, und müssen hinterher dankenswerterweise nicht eine halbe Stunde aufräumen unter Deck …

Blick vom Ankerplatz vor Stiladhari zurück auf Porto Koupho

Sechs Seemeilen können wir hoch am Nordost segeln, bis wir uns einen Ankerplatz vorm Strand des Ortes Stiladhari – eigentlich eher eine Siedlung von ein paar Ferienhäusern – suchen. Den Platz hatten wir erspäht, als wir vor zwei Wochen ganz in der Nähe vor Azapiko geankert haben; die Umgebung ist die gleiche, aber anders als dort gibt es keine Strandbar – Ruhe pur. Am Nachmittag wird diese etwas vom thermischen Südwind gestört, der recht kräftig einsetzt und laut die Wellen unter unser vom Heckanker fixiertes Heck schlagen lässt, aber gegen Abend legt sich dieser erwartungsgemäß wieder, und in der Nacht hört man nur das leise Rauschen der Wellen auf dem Strand. Außerdem kühlt es sich im Boot auf paradiesische 27 Grad ab – das hatten wir schon sehr lange nicht mehr!

Sithonia – Diaporti
Über kaum auszumachende Landbrücke von Diaporti sieht man herüber in die Bucht von Azapiko – die Boote liegen schon dahinter!

Die Entfernung vom Vortag können wir am Sonntag nochmal halbieren – und das ist noch erstaunlich viel, denn unseren neuen Ankerplatz kann man vom alten aus schon sehen! Um dorthin zu gelangen, müssen wir aber die Halbinsel Punta umrunden; diese ist nur durch eine umspülte Kiesbrücke mit dem Land verbunden, über welche man leicht hinwegblicken kann, und auf deren Rückseite befindet sich unser Tagesziel.

Am Nachmittag schwimmen wir herüber zu diesem besonderen Strand; die Verbindung ist so schmal, dass man mit je einem Bein in den zwei verschiedenen Buchten stehen kann 🙂 Die Sonne scheint heute wieder heißer, aber wenigstens bietet das Wasser noch etwas Erfrischung …

Sithonia / Agia Kyriaki

Montagmorgen scheint es erst mal vorbei zu sein mit dem wenigen Wind, den es zuletzt noch gab; wir müssen unseren Ankerplatz unter Maschine verlassen und stolze drei Seemeilen bis zum nächsten Ziel motoren – und das auch nur, weil einige Untiefen im Weg liegen, der direkte Weg wäre noch viel kürzer.

Unsere Ankerbucht: gut geschützt und Natur pur

In der Nähe von Agia Kyriaki haben wir vor gut zwei Wochen schon einmal geankert; damals hatten wir uns eine Bucht direkt südlich des Ortes angeschaut, diese war aber schon mit so vielen Tagesausflüglern besetzt, das wir uns nicht noch dazwischenquetschen wollten. Diesmal sieht es anders aus: um 10 Uhr ist noch niemand da, wir können uns einen schönen Sandflecken für den Buganker suchen und eine Heckleine zu den Felsen zwischen zwei kleinen Stränden ausbringen. Die kleine Bucht ist gut geschützt vor Schwell und Wind, und rundherum sieht man ausschließlich Strand, Felsen, Bäume und Buschwerk – kein Haus, keine Straße. Diese verläuft aber nur 30 Meter hinterm Strand, gut verborgen durch die dichte Vegetation, so dass wir den kleinen Supermarkt auf dem Campingplatz fußläufig erreichen können – prima!

Gleich in der Nachbarbucht liegt Agia Kyriaki

Außer uns haben nur zwei Camper am Strand ihr Zelt aufgeschlagen (ja, so etwas ist in Griechenland möglich!); später besucht uns noch eine riesige Motoryacht und beglückt uns einige Stunden lang mit dem Lärm ihres Generators, verzieht sich aber glücklicherweise am Nachmittag wieder – das hätten wir nicht die ganze Nacht 20 Meter neben der Koje haben müssen.

Blick vom Strand über unsere Ankerbucht

Wir finden es ganz bezaubernd hier, um die Felsen herum lässt es sich schön schnorcheln, und die Temperaturen sind auch halbwegs erträglich; diesbezüglich erreichen uns aber schlechte Nachrichten: nach der frühesten Hitzewelle aller Zeiten und der ausgedehntesten Hitzewelle seit langem erreicht uns nun die dritte Hitzewelle dieses Sommers (die Unterbrechungen fanden wir eher schwer auszumachen). Diese wird als schlimmste Hitzewelle seit 34 Jahren angekündigt: bis 44 Grad sind fürs kommende Wochenende angesagt! Das kann heiter werden …

Kelyfos
Die ‘Schildkröte’ Kelyfos

Aufgrund der grausigen Wetteraussichten beschließen wir, uns so lange es geht noch zu schonen, und bleiben ganze drei Nächte in der Ankerbucht, die wir als eine der schönsten auf Chalkidiki empfinden. Am Donnerstag geht es dann aber doch weiter, schließlich sind es noch rund 70 Seemeilen bis Thessaloniki, wo wir am Sonntag eintreffen möchten; wir verlassen Sithonia und fahren zur 5 Seemeilen vorgelagert liegenden Insel Kelyfos, die wegen ihrer Form auch als die ‘Schildkröte’ bezeichnet wird – eine durchaus zutreffende Assoziation, wie wir finden.

Die bizarr geformten Felsen sind auch unter Wasser sehenswert

Wir finden einen Ankerplatz auf der Nordwestseite vor einer bizarr geformten Felsenküste, leider nur auf recht großer Wassertiefe von knapp 20 Metern – für schlechteres Wetter wäre das nichts, aber davon kann ja keine Rede sein. Das Schnorcheln um die zerklüfteten Felsen ist besonders schön – einerseits, weil das Wasser hier draußen noch etwas klarer als an der Küste von Sithonia ist, andererseits auch, weil es ein bis zwei Grad kälter ist 🙂 So weit ist es also schon gekommen, dass wir uns nach kälterem Wasser sehnen …

Kassandra / Nea Potidaia

Am Freitag warten wir erst mal bis nach 11 Uhr, bevor wir die ‘Schildkröte’ verlassen; um diese Zeit kommt meist etwas thermischer Südwind auf, und den wollen wir nutzen für unsere Fahrt bis zum Ende des Toronäischen Golfs. Hier, bei der Ortschaft Nea Potidaia aus der Halbinsel Kassandra, gibt es einen Kanal hinüber in den Thermaischen Golf, und den wollen wir passieren.

Unter Gennaker nach Kassandra

Erst mal liegen aber 20 Seemeilen vor uns; glücklicherweise ist der mit 6 bis 8 Knoten wehende Südwind zwar recht schwach, aber sehr beständig, und die See ist ziemlich glatt, so dass wir den Gennaker setzen können und mit um die 3 Knoten sanft dahingleiten – ein sehr schönes Segeln ist das! Dabei zieht die Küste von Kassandra vorbei; der westlichste ‘Finger’ von Chalkidiki ist deutlich flacher als Sithonia (von Athos ganz zu schweigen) und verfügt über ausgedehnte Strände, aber einen eher wenig strukturierten Küstenverlauf.

Nea Potidaia / Kassandra: nichts als kilometerweise Strand

Etwas verleidet wird einem der Tag nur durch die Temperaturen: die vergangene Nacht war schon unerträglich und schlaflos, und den ganzen Tag suchen wir auch nur verzweifelt nach Schatten (wozu ein Gennaker bei Südwind keinen wertvollen Beitrag leistet, der wirft seinen Schatten voraus ins Wasser). Aber immerhin müssen wir nicht nur motoren (was wir schon befürchtet hatten), und erreichen gegen 18 Uhr den Strand von Nea Potidaia, wo wir ankern, um die Passage des Kanals am kommenden Morgen bei Windstille angehen zu können.

Akra Epanomis

Am letzen Tag des Monats Juli geht es früh los – geschlafen haben wir wegen der Hitze ohnehin praktisch gar nicht, und da können wir auch gleich die Zeit direkt nach Sonnenaufgang nutzen, wo es noch nicht so heiß ist.

Der Kanal von Nea Potidaia

Wind weht auch keiner, und das passt uns ganz gut für die als erstes anstehende Querung des Kanals von Nea Potidaia. In Norwegen wäre die Passage einer 17-Meter-Brücke völlig alltäglich, hier aber ist es die einzige Brücke weit und breit – und die Angaben in den nautischen Veröffentlichungen zu Durchfahrthöhe und Kanaltiefe sind spärlich (um es vorsichtig auszudrücken).

Sieht schlimm aus, aber passt!

Es ist also die schlechte Informationslage, die uns etwas nervös sein lässt: ist die Brücke richtig vermessen? Ist der Kanal nicht versandet und ewig nicht mehr gebaggert? Also tasten wir uns gaaanz langsam an das Bauwerk heran – und siehe da, die Antenne im Masttopp flutscht ohne Berührung unter der Brücke hindurch, und auch nach unten haben wir nie weniger als einen guten Meter Wasser unter dem Kiel – sehr schön!

Nach der Passage macht sich nun die Abwesenheit von Wind eher störend bemerkbar: wir müssen erst mal stundenlang motoren, bis wir gegen Mittag für einige Stunden segeln können, allerdings so langsam, dass wir in dieser Zeit kaum ein Viertel der Gesamtstrecke von 28 Seemeilen zurücklegen. Wir erreichen gegen 18 Uhr das Kap von Epanomi – eine lange Landzunge aus reinem Sand, die sich immer schmaler werdend in die See streckt und noch über eine weitere Seemeile in Untiefen ausläuft; dahinter ankern wir für die Nacht.

Wildcamperparadies: Akra Epanomis

Für die Schifffahrt ein Hindernis, für die Camper ein Traum: über Kilometer ist der Strand übersät mit Autos, Caravans und Zelten – anders als in Deutschland darf man hier offenbar einfach irgendwo in der Natur sein Zelt aufschlagen (oder falls man es nicht darf, stört sich niemand daran). Bei den herrschenden Temperaturen sicher eine rettende Zuflucht für viele Menschen aus der nahen Großstadt …

Thessaloniki
Nimmt den ganzen Horizont ein: Thessaloniki

Am Sonntag den 1. August machen wir uns auf zum letzten Seeschlag vor der Sommerpause; 16 Seemeilen sind es bis zur Marina Aretsou bei Thessaloniki, wo wir einen Liegeplatz für  den August reserviert haben – wir fahren komplett unter Maschine, es gibt einfach keinen Wind. Auf den letzten Meilen schält sich langsam die mit 325.000 Einwohnern zweitgrößte Stadt Griechenlands (man beachte den Abstand zu Athen mit seinen 5 Millionen- halb Griechenland wohnt in der Hauptstadt!) aus dem Dunst – so eine große Stadt haben wir lange nicht mehr gesehen!

Die Aufnahme in der Marina ist sehr freundlich, wir sind nur erstaunt, wie wenig los ist – von den 260 Liegeplätzen sind vielleicht 60 belegt. Wir erfahren aber, das die meisten Plätze vermietet sind – die Boote sind wohl wegen der Corona-Situation gar nicht erst ins Wasser gekommen dieses Jahr …

Montag stehen erst mal Bootsarbeiten an: Motor- und Batterieservice, großes Aufräumen, Vorratseinkäufe (es gibt einen Lidl in anderthalb Kilometern Entfernung!) und nach 10 Monaten brauchen wir auch mal wieder Treibstoff: ein Kleinlaster von der Tankstelle bringt uns ohne Aufpreis 300 Liter Diesel, und wir sind wieder mal erfreut, wie gut das klappt – überteuerte Bootstankstellen hat und braucht hier niemand. Außerdem ergreifen wir überlebensnotwendige Maßnahmen: wir buchen uns für drei Nächte in ein Hotel direkt an der Marina ein, stellen die Klimaanlage auf Maximalleistung und bekommen erstmals seit zwei Monaten wieder Luft in der Nacht …

So gestärkt, trauen wir uns am Dienstag in die Stadt – für 90 Cent mit dem Bus, der alle paar Minuten fährt, bequem zu erreichen. Thessaloniki wurde 315 v. Chr. vom makedonischen König Kassandros gegründet; benannt nach seiner Frau, einer Halbschwester Alexanders des Großen – und der begegnet einem natürlich überall in der Stadt. Menschen lebten hier allerdings schon viel länger: in der Nähe wurde der Schädel eines frühen Hominiden gefunden, der mindestens 200.000 Jahre alt sein soll.

‘Aléxandros o Mégas’

Der große Alexander zog aus, um die Bedrohung des Kleinstaates Makedonien durch das übermächtige Perserreich zu beenden – und tat dies so gründlich, dass er mit seiner Armee den indischen Subkontinent erreichte, bevor er umkehrte. Dafür, dass er im Alter von 33 Jahren verstarb, hat er einen beachtlichen Einfluss auf die Weltgeschichte gehabt: mit ihm begann die dreihundertjährige Zeit des Hellenismus, die erst mit der römischen Eroberung endete und letztlich die Grundlage unserer heutigen europäischen Kultur darstellt.

Der ‘Weiße Turm’, das Wahrzeichen der Stadt

Die heutige Stadt zeigt noch einige archäologische Spuren aus dieser Zeit, ferner natürlich die Großbauten der römischen Periode, und aus der sich daran anschließenden byzantinischen Zeit hauptsächlich Kirchenbauten, welche die ältesten erhaltenen christlichen Kirchen überhaupt sind. Mit der Eroberung von Byzanz durch die Ottomanen 1430 begann eine fünfhundertjährige Periode, aus der leider nicht mehr viel erhalten ist, da ein Großfeuer 1890 große Teile der Stadt verwüstete. Was heute den Kernbereich der Stadt darstellt sind daher größtenteils recht gesichtslose Zweckbauten der Nachkriegszeit – architektonisch wahrlich keine Perlen. Dazwischen läuft man größere Distanzen zwischen den archäologischen Stätten und historischen Gebäuden – bei weit über 40 Grad im Schatten eine ziemliche Tortur.

Im archäologischen Museum

Unser Plan, den Nachmittag zur ‘Erholung’ im klimatisierten archäologischen Museum zu verbringen, geht auch nicht so recht auf: wenn man sich halb tot endlich in die mäßig kühlen Räume geschleppt hat und dann drei Stunden durch die Maske atmen muss, ist man vom Regen in die Traufe gelangt …

Interessant ist es dennoch, im Museum wie auch ansonsten in der Stadt: den Mangel an architektonischer Schönheit kompensiert Thessaloniki durch eine freundliche Stimmung, ein umwerfendes kulinarisches Angebot und eine tolle Lage mit ständigem Meerblick! Wenn es doch nur nicht so entsetzlich heiß wäre … Wir gönnen uns noch ein leckeres Abendessen im alten Hafenviertel Ladadika, bevor wir ins rettende, klimatisierte Hotelzimmer zurückkehren.

Am Mittwoch den 4. August bereiten wir die ‘Orion’ für ihre Zeit allein in der Marina Thessaloniki vor – nochmal ein schlimmer Tag bei extremen Hitzewerten. Als wir Donnerstagmorgen den klimatisierten Flughafen erreichen, sind wir wirklich froh, dies erst mal hinter uns lassen zu können.

Kassandra / Nea Potidaia

Vier Wochen später ist es mit gut 30 Grad immer noch warm in Thessaloniki, aber kein Vergleich zur Hitze im Juli: man kann sich noch bewegen, und vor allem kühlt es in der Nacht vernünftig ab. Wir verbringen einen etwas stressigen Nachmittag, weil wir das Boot unbedingt bis zum Donnerstagmorgen abreisefertig haben wollen, da ist nämlich guter Nordwestwind angesagt!

Bei aufgewühlter See bleibt Thessaloniki hinter uns zurück

Den gibt es auch, sogar etwas mehr als erwartet: mit 6 bis 7 Windstärken weht es über die Bucht von Thessaloniki, und die ‘Orion’ fliegt – nur unter Klüversegel – mit gut 6 Knoten Fahrt nach Süden! In Windeseile erreichen wir das Kap von Epanomis und beschließen, dass wir auch gleich den Rest der Strecke bis Kassandra noch schaffen können 🙂

Der Olymp, Wohnsitz der antiken Götter

Der Wind dreht etwas mit und bleibt uns auch am Nachmittag noch mit Stärke 4 bis 5 erhalten, so dass wir vor 19 Uhr nach 42 Seemeilen den Kanal von Nea Potidaia erreichen. Pünktlich dazu schläft der Wind zunächst ein und dreht dann auf Südost, so dass wir auf der Westseite der Kanalmündung ankern können. Wir bekommen zum Ende dieses sehr schönen Segeltags auch noch einen tollen Sonnenuntergang geboten; danach zeichnet sich am feuerroten Abendhimmel deutlich der Umriss des knapp 3000 Meter hohen Olymp-Massivs ab, welches man den ganzen Tag nur am Horizont erahnen konnte – so wünschen uns Zeus & Co. noch eine gute Weiterreise! 🙂

Sithonia / Porto Koupho

Am Freitag ist unser Windglück aber vorbei: zunächst motoren wir in der Morgenflaute durch den Kanal, der jetzt bei der zweiten Passage nicht mehr so spannend ist – wir vertrauen mal darauf, dass er nicht in 5 Wochen völlig versandet ist. Danach will sich aber der angekündigte Ostwind nicht einstellen; erst am späten Vormittag frischt es auf, aber aus Südost statt Ost: genau unsere Fahrtrichtung.

Noch einmal in Porto Koupho

Wir wollen bis zum Ende Sithonias, und das ist kreuzend nicht zu schaffen, also muss stundenlang der Motor ran. Zu allem Überfluss baut sich eine kurze und steile Welle auf, und den Strom haben wir auch noch gegen uns, so dass wir zeitweise kaum noch 2 Knoten über Grund schaffen … entsprechend genervt sind wir, als wir nach über 10 Stunden endlich das gerade mal 35 Seemeilen entfernte Porto Koupho erreichen; wir ankern diesmal am Südende der Bucht, um am nächsten Tag gleich wieder herausfahren zu können; ein gutes Abendessen und die herrliche Abendstimmung über der Bucht bauen uns aber wieder etwas auf, und die hervorragend geschützte Bucht schenkt und eine ruhige Nacht vor Anker.

 

 

 

 

Nördliche Sporaden (17.06. – 07.07.)

Skyros / Ormos Renes
Skyros voraus!

Nachdem uns am Ende der Kaphireas-Straße der Wind verlassen hat, motoren wir die ganze Nacht gen Norden über die spiegelglatte See; etwa 60 Seemeilen sind es bis Skyros, der südlichsten Insel der Nördlichen Sporaden. Mit Sonnenaufgang zeichnet sich die Insel mit ihren sanft geschwungenen Formen am Horizont ab; beim Näherkommen sehen wir Büsche und Bäume – aber keinerlei Straßen oder Häuser. Dafür riechen wir etwas: der Rest des nächtlichen Landwindes weht uns einen intensiven Kräuterduft entgegen! Aber über zwei Seemeilen, das kann doch eigentlich gar nicht sein …

Ormos Renes, der Kräutergarten von Skyros

Doch als wir in der einsamen und wild-romantischen Bucht Ormos Renes den Anker geworfen haben, erkennen wir die Ursache: die gesamten umgebenden Hügel sind mit Thymian- und Salbeipflanzen bedeckt! Nicht hier und da eine, wie es hier ja häufig vorkommt, sondern wirklich Abertausende, mehrere Quadratkilometer Kräutergarten! Als dann auch noch wilde Ponys am Strand auftauchen, sind wir endgültig überzeugt, den richtigen Ankerplatz ausgesucht zu haben 🙂

Pinien und Olivenbäume bestimmen die Landschaft

Wir erholen uns von der schlaflosen Nacht beim Schnorcheln, Sonnenbaden und Grillen; und auch den folgenden Tag bleiben wir gerne noch hier und unternehmen eine mehrstündige Wanderung durch die Umgebung (wobei wir feststellen, dass die Kräuterdichte langsam auf ein ‘normales’ Niveau absinkt – so extrem ist es nur um unsere Bucht herum; zahllose Bienenvölker wissen das ebenfalls zu schätzen, rundherum summt es überall).

Am Abend gibt es leider noch eine unschöne Überraschung, die so gar nicht zum gelungenen Tag passen will: die Bordtoilette versagt den Dienst. Bis zwei Uhr in der Nacht dauern die Reparaturarbeiten an, in deren Verlauf sich herausstellt, dass die Toilette selbst unschuldig ist, im Zweiwegehahn vorm Abwassertank lag eine Verstopfung vor – nun, wenn man Segler so erzählen hört, muss wohl jeder mal durch diese berühmt-berüchtigte Reparatur durch …

Skyros / Linaria

Am Samstag sind wir also schon wieder etwas übernächtigt, als wir nach 10 Seemeilen Motorfahrt (der Wind scheint sich in dieser Gegend nicht mehr blicken lassen zu wollen) die Marina von Linaria erreichen; über diese haben wir aus diversen Quellen nur das Allerbeste gehört, es sei die bestgeführte Marina Griechenlands.

Der Hafen von Linaria

Wir haben nun bislang nur Kalamata zum Vergleich (Marinas in unserem Sinne gibt es ja hier nicht gerade an jeder Ecke), können aber den Eindruck schnell nachvollziehen: der Hafen ist klein und von einem sehr hübschen Örtchen mit Cafés und Restaurants (aber ohne lärmende Partyschuppen!) umgeben, der Hafenmeister ist äußerst nett und hilfsbereit, es gibt Duschen (allein schon bemerkenswert genug!), und deren Zustand ist äußerst landesuntypisch: voll funktionsfähig, perfekt und ansprechend gefliest, und das Wasser fließt dahin ab wo es hingehört 😉 Zwischen 19 und 20 Uhr gibt es ein besonderes Erlebnis: Licht aus, Diskokugel an, und 80er-Jahre-Hits aus der Musikanlage – klingt schräg, ist es auch, aber total nett und lustig! Und das Gesamtpaket gibt es inklusive Strom, Wasser und WLAN für knapp 19 Euro pro Tag – bezieht man das Preis/Leistungs-Verhältnis mit ein, würden wir auch von der besten Marina des Mittelmeers sprechen!

Überhaupt hat man hier einen Sinn für schrägen Humor: wenn sich die (im Besitz der Inselgemeinde befindliche) Fähre nähert, schallen dramatische Fanfaren von Richard Strauss (den meisten aus Stanley Kubricks Film ‘2001’ bekannt) aus den Lautsprechern … wir amüsieren uns köstlich!

Das Kastro von Skyros – und da sollen wir hoch?

Am Sonntag wollten wir gerne die Insel mit dem Mietwagen erkunden, doch leider ist bei allen 6 Autovermietungen nichts mehr zu bekommen: es ist Pfingsten (orthodoxer Kalender!), und da platzt die Insel vor griechischen Besuchern aus allen Nähten. Also machen wir uns mit dem Fahrrad auf den Weg in die 10 Kilometer entfernte Chora – bergauf und bergab unter sengender Sonne!

Aber die Aussicht belohnt für die Mühe!

Aber der Ausflug lohnt sich, die weißen Häuser mit ihren zum Teil winzigen Treppen und Gassen, die sich die steilen Hänge des Burgbergs heraufziehen, sind wirklich ein Erlebnis, und vom Kastro aus hat man eine überwältigende Aussicht über den Ort, die Berge und die Nordküste der Insel – nachdem man wieder zu Atem gekommen ist nach dem Aufstieg …

In der Chora …

In den breiteren Straßen der Altstadt, in denen sich auch die Geschäfte und die Gastronomie befinden, ist auch entsprechend viel los – aber unangenehm voll ist es noch nicht, und sobald man in die Seitenstraßen geht (speziell bergauf!) ist man schnell allein; auch bis hoch auf die Burg verlaufen sich nur wenige Touristen.

… ist eine Ecke schöner als die andere

Wir freuen uns jedenfalls, die Strapazen der Radtour auf uns genommen zu haben, können auch in den kleinen Geschäften noch frisches Obst erstehen und erholen uns in einem reizenden Café bei einem Freddo Cappuccino, dem griechischen Sommergetränk Nr. 1. Gerne wären wir auch noch in die Bergregionen gefahren, aber mit dem Fahrrad ist das einfach keine Option kurz vor der Sommersonnenwende: zwar erreicht die Sonne hier ‘nur’ eine Mittagshöhe von etwa 75°, aber das fühlt sich schon ganz schön senkrecht an!

Skyros / Paralia Pevkos

Da sich auch am Montag keine Entspannung an der Mietwagenfront abzeichnet und uns die Nächte im – ja ansonsten ganz tollen! – Hafen von Linaria zu stickig sind, verholen wir uns drei Seemeilen vor den nächsten Strand zum Ankern – wieder unter Motor, es will einfach kein Wind aufkommen.

Schön grün: Paralia Pevkos

Der Strand vom Pevkos ist etwas abgelegen, dementsprechend selbst am Feiertag nicht sehr überlaufen; es gibt eine Taverna und ein Café, einige Sonnenschirme mit Liegen, und das war’s – abgesehen von der herrlich grünen Umgebung! Endlich mal wieder Bäume – die umgebenden Hügel sind saftig grün, mit pinkfarbenen Oleanderflecken durchsetzt, und bilden einen reizvollen Farbkontrast zu den beige-rot-braunen Felsen. Das Wasser geht auf 28 Grad, und ist bei doch ziemlicher Hitze der vorzuziehende Aufenthaltsort; hier warten wir erst mal auf Wind …

Ab Dienstag leistet uns dabei die ‘Aino’ aus Finnland Gesellschaft, die wir schon auf Andros kennengelernt haben; wir verbringen nette Stunden miteinander und warten ansonsten auf Wind und Abkühlung – beides vergeblich. Am Freitag gibt die ‘Aino’ auf und verlässt Skyros unter Motor; wir haben noch genug von der letzten langen Motorfahrt und wollen weiter abwarten, verholen uns aber noch einmal in den netten Hafen von Linaria, um Einkäufe zu ergänzen – wenn es doch nur nicht so heiß wäre, es wird mit jedem Tag schlimmer, mittlerweile sind es am Abend fast 38 Grad unter Deck, und bei völliger Flaute ist es unmöglich, in der Nacht einen nennenswerten Luftaustausch zu erzielen – das macht keinen Spaß!

Skyros / Ormos Oros

Ab Samstag ist eine langsame Windzunahme angekündigt; wir visieren den Montag zum endgültigen Verlassen von Skyros an und wollen und bis dahin in kleinen Schritten von Ankerbucht zu Ankerbucht vorarbeiten. Nach dem Verlassen des Hafens weht es tatsächlich mit rund 10 Knoten – nicht viel, aber nach den letzten 10 Tagen schon eine Sensation! Natürlich exakt auf die Nase, aber es ist ja nicht weit, also beschließen wir zu kreuzen; leider dreht der Wind in den kommenden drei Stunden langsam mit, so dass wir unserem Ziel noch nicht ernsthaft nähergekommen sind, als urplötzlich der Wind auf mittlere 25 bis 30 Knoten auffrischt – damit hat nun niemand gerechnet! Das Boot ist nach ewigem Flautengedümpel nicht unbedingt auf 7 bis 8 Windstärken eingerichtet (vorsichtig ausgedrückt …), uns fliegen alle möglichen Dinge um die Ohren, und so starten wir doch den Motor und stampfen die letzten zwei Seemeilen im Schneckentempo gegen die plötzlich aufgewühlte See – das hätten wir auch drei Stunden früher bei viel weniger Wind mit deutlich mehr Fahrt haben können!

So viel Grün haben wir lange nicht gesehen: Ormos Oros

So erreichen wir das eigentlich nur 5 Seemeilen entfernte Ziel Ormos Oros an der Nordwestküste von Skyros nach gut 11 Seemeilen Fahrt in vier Stunden, von denen anderthalb der Motor lief – eine desaströse Bilanz für den ersten Segeltag seit langem! Aber unser Ankerplatz tröstet uns darüber hinweg: hier wächst üppiger Wald, hohe Klippen ragen aus türkisblauem Wasser, Marmorfelsen leuchten blendend weiß aus dem satten Grün – und das völlig ohne Straßenzugang und Spuren menschlichen Wirkens! Ein ganz toller Ankerplatz, der auch so guten Schutz vor dem unverändert blasenden Starkwind bietet, dass sich unmittelbar unter den Klippen die Windrichtung umkehrt und eine sanfte Brise in die Bucht hineinweht. Wir sind froh, diese Bucht nicht verpasst zu haben!

Skyros / Skyropoula

Sonntag geht es wieder ein kleines Stück weiter: 6 Seemeilen sind es bis zu der vorgelagerten Insel Skyropoula. Diesmal klappt es besser mit dem Segeln: wir können unter Klüver den Anker lichten und die ganze Strecke bis zum Einlaufen in die angepeilte Bucht bei 12 bis 15 Knoten halbem Wind auch nur unter Vorsegel zurücklegen – bequem und dennoch halbwegs zügig. Aus der Nähe erweist sich auch das aus größerer Entfernung recht felsig wirkende Skyropoula als recht grün, auch wenn es hier eher Buschwerk als Bäume gibt. Aber dann der Blick in die Bucht: endlos viel rein weißer Sandgrund, der dem Wasser eine hinreißende Farbe verleiht!

Schorchelparadies: die Bucht Limani auf Skyropoula

Die Ufer bestehen aus stark zerklüfteten Felsen – ein Paradies zum Schnorcheln, wie wir wenig später feststellen dürfen: viele bunte Fische beleben die bizarr geformte Unterwasserwelt, zahllose Seeigel bewohnen die Unterwasserhänge; und auf einem kleinen Stück tief in der Bucht weichen sogar die Felsen zurück und der feine Sandgrund reicht bis zum Strand. Schon die zweite Ankerbucht in Folge ein Volltreffer!

Die Sonne brennt zwar  unverändert unbarmherzig vom Himmel, aber der leichte Wind hält sich den ganzen Tag und macht das Leben etwas erträglicher – wenigstens geht Luft durchs Boot …

Skantzoura / Prasso

Am Montagmorgen verlassen wir den Skyros-Archipel, nachdem wir seit 10 Tagen dem dafür angekündigten Wind entgegengesehen haben. Aber die Realität bleibt deutlich hinter den Erwartungen zurück: statt der angekündigten 9 Knoten Nord gibt es 5 Knoten Nordwest – also zu wenig und auch noch genau gegenan! Natürlich kreuzen wir tapfer auf; als wir aber nach 6 Stunden auf See ganze 7 Seemeilen in die richtige Richtung gutgemacht haben, müssen wir einsehen, dass es so nicht weitergehen kann – bis Alonnisos sind es noch 25 Seemeilen … also muss schon wieder der Motor ran.

Abendstimmung auf Skantzoura

Weitere drei Stunden später sind wir vom Lärm so zermürbt, dass wir beschließen, eine Übernachtung auf der Skantzoura-Inselgruppe einzulegen; diese gehört zu einem Naturschutzgebiet, und eigentlich ist Ankern dort nur tagsüber erlaubt. Da wir aber gründlich die Nase voll vom Motoren haben und außerdem den Sinn dieser Einschränkung nicht wirklich erkennen können, beschließen wir, erst mal bis Sonnenuntergang zu ankern und zu sehen, ob uns jemand vertreiben kommt – was natürlich nicht der Fall ist. Wir verbringen also eine ruhige Nacht vor dem Inselchen Prasso und brechen gleich am nächsten Morgen wieder auf.

Alonnisos / Marpounda

Endlich meint es der Wind etwas besser mit uns: zwar ist er mit 6 bis 8 Knoten immer noch recht schwach, aber er weht halbwegs beständig und kommt aus Nordost (wie es hier eigentlich vollkommen normal ist). Außerdem gibt es praktisch keinen Schwell, so dass selbst mit dem wenigen Wind der Gennaker problemlos steht und wir zwei bis drei Konten Fahrt machen können – nicht schnell, aber wunderschön ruhig und entspannt!

Sehr entspannt geht es nach Alonnisos

So kommt man auch zum Ziel, und gegen Mittag liegt die Passage zwischen den Inseln Skopelos und Alonnisos vor uns. Gleich hinter der Südwestspitze von Alonnisos finden wir einen hübschen Ankerplatz direkt an einer farbenprächtigen Steilküste mit einem kleinen Strand davor und weißen Ferienhäusern zwischen den Bäumen – wir fühlen uns etwas an die Algarve erinnert. Das Wasser hat 29 Grad, und – wie eigentlich inzwischen jeden Tag – springen wir erst mal herein. Die felsigen Ufer bieten reichlich Lebensraum für Fische, wir schwimmen inmitten von Schwärmen hunderter Minifische, und in größerer Tiefe stehen auch zahlreiche größere Exemplare; nur wie wir die auf unseren Teller bekommen sollen wissen wir leider nicht …

Ankern, wo andere Urlaub machen: Marpunda / Alonnisos
Skopelos

Am letzten Tag des Monats Juni verlassen wir Alonnisos auch schon wieder – aber nur vorübergehend; wir wollen und die westliche Nachbarinsel Skopelos anschauen, und da zum Wochenende Westwind angesagt ist, sollten wir vorher dort hinsegeln, um dann mit Rückenwind nach Alonnisos zurückkehren zu können.

Einladend: Skopelos begrüßt seine Gäste

Eigentlich verspricht die Wettervorhersage auch für den Hinweg noch schwachen Rückenwind, praktisch ist es aber sehr schwacher Gegenwind, so dass wir zwar noch unter Segeln den Anker aufholen können, aber nach einer guten halben Stunde aufgeben und den Motor starten müssen. Wenigstens ist es nicht weit, nach 6 Seemeilen laufen wir in den geräumigen Hafen des Hauptortes von Skopelos ein, der praktischerweise genauso heißt. Der Anblick von See ist einladend: zwischen grünen Bergflanken schmiegen sich die weißen Häuser des Ortes an die Hänge über dem Hafen. Platz genug gibt es auch – allerdings ist es gut, dass wir so früh sind, später am Tag wird sich der Hafen mit einer Unmenge riesiger Charteryachten füllen.

Lichte Wälder lassen einen in der Hitze durchatmen

Für den Donnerstag mieten wir uns ein Auto – um die Insel zu erkunden natürlich, aber der Nebeneffekt, einige Stunden die Klimanlage genießen zu dürfen, spielt auch eine gewisse Rolle; es ist einfach unerträglich heiß (der sehr nette junge Mann von der Autovermietung bestätigt einmal mehr: nein, normal ist das nicht, selbst im August wäre das noch außergewöhnlich, so heiß wird es normalerweise nicht – da haben wir ja mal wieder richtig Glück gehabt!). Verfahren kann man sich schwerlich, es gibt nur eine Hauptstraße, die die verschiedenen kleineren Orte der Insel verbindet.

Postkartenmotiv: Küste bei Amarandos

Wir sind zunächst einmal begeistert von den waldigen Bergen, durch die wir fahren: so einen richtigen Wald haben wir lange nicht gesehen! Einigen Stichstraßen folgen wir zu besonders spektakulären Küstenlandschaften, Stränden oder Sehenswürdigkeiten – dazu ist anzumerken, dass auf Skopelos 2008 Teile des Musicalfilms ‘Mamma Mia!’ gedreht wurden, und diese Drehorte üben offenbar eine gewaltige Anziehungskraft auf internationale Besucher aus; an der Kapelle Agios Ioannis ist es noch nicht einmal mehr möglich, einen Parkplatz zu finden.

Toll gelegen, aber zu voll: Agios Ioannis

Wir machen fortan einen Bogen um diese Rummelplätze und genießen die 99% der Insel, die still und beschaulich sind – und ebenso schön. Besonders die Wälder haben es uns angetan; nahe des nördlichen Inselendes lassen wir das Auto stehen und wandern eine Stunde einen Küstenweg entlang zum Leuchtturm von Gourdouni, immer abwechselnd durch Wald und offene Abschnitte – mit dem leichten Seewind lassen sich auch diese aushalten.

In Loutraki

Auch die Dörfer sind sehenswert; wir besuchen Glossa und Loutraki, wo wir uns in einem netten Café erholen. Dort kommt ein Polizist an unseren Tisch und bittet sehr freundlich darum, das Auto umzuparken – wir haben ein gut verstecktes Halteverbotsschild übersehen; der Beamte entschuldigt sich fast dafür, dass es da steht. In Deutschland hätte man das Problem mit einem Strafzettel gelöst …

In der Chora

Die Altstadt des Hauptortes besticht wie üblich durch schattige Gassen und weiße Häuser mit überquellender Blütenpracht. Bei den herrschenden Temperaturen zeigen sich die Vorteile dieser Architektur: zwischen den Häusern ist es vergleichsweise kühl, und es geht immer ein leichter Windhauch. Ganz anders an Bord: am Abend sind es 40 Grad unter Deck, und auch als gegen Mitternacht endlich der angekündigte Westwind einsetzt, gibt es eher eine böse Überraschung: dieser ist noch heißer, die Temperaturen steigen wieder! Völlig absurd, um zwei Uhr in der Nacht in kräftigem Wind von 20 Knoten zu stehen, der glühend heiß aus einem riesigen Fön zu kommen scheint …

Alonnisos / Chrisi Milia

Völlig übernächtigt verlassen wir am frühen Freitagmorgen den Hafen von Skopelos – es soll am Vormittag noch etwas Nordwestwind geben, und den wollen wir nutzen.

Abwechslung am Ankerplatz: weiße Klippen vor Chrisi Milia, …

Tatsächlich weht auch eine leichte Brise, die sich in der Passage zwischen den Inseln sogar noch etwas verstärkt. Da wir nicht weit kommen müssen, können wir nur unter Klüver langsam dahingleiten, bis wir gegen Mittag nach 10 Seemeilen unser Ziel erreichen, die Ankerbucht vor Chrisi Milia auf Alonnisos. Diese ist von weißen Klippen umgeben, an deren Saum es sich hervorragend schnorcheln lässt – und das Wasser ist erfreulicherweise ‘nur’ 28 Grad warm, so dass man sich sogar etwas darin abkühlen kann 🙂

Alonnisos / Kokkinokastro

In der Nacht ziehen Gewitter über die nördliche Ägäis; wir bekommen davon auf Alonnisos nichts mit, aber die Luft kühlt sich etwas ab – welch unbeschreibliche Wohltat! Erstmals seit Wochen können wir eine Nacht richtig schlafen – leider ist aber laut Wettervorhersage das Vergnügen nicht von Dauer, die nächsten Nächte sollen schon wieder stetig wärmer werden.

… rote Klippen vor Kokkinokastro, …

Wir beschließen, den Tag zur Erholung zu nutzen, und fahren nur eine Viertelstunde unter Motor um die Ecke in die übernächste Ankerbucht (ja, kein Tippfehler: auf einer Strecke von 1.2 Seemeilen haben wir eine weitere Ankermöglichkeit auf ausgedehnten Sandflächen vor langem Strand links liegen lassen), um eine etwas andere Aussicht genießen zu können: hier sind die Klippen rot! Abgesehen davon ist das Programm identisch: schwimmen, schnorcheln, gekühlte Melone essen, und ansonsten vor der Sonne verstecken so gut es eben geht …

Peristera / Paralia Vasiliko
… und auf Peristera alles im grünen Bereich

Sonntag kommt tatsächlich ein wenig Wind auf; diesen lassen wir nicht ungenutzt, und segeln die beeindruckende Strecke von 5 Seemeilen auf die direkt östlich von Alonnisos liegende Insel Peristera. Der Ankerplatz vorm kleinen Strand von Vasiliko hat relativ tiefes Wasser, wir müssen auf fast 15 Metern Tiefe ankern, da der einzige Platz näher am Strand bereits von einem Motorboot besetzt ist; das hat den Nachteil, dass man beim Schnorcheln den Grund kaum mehr erkennen kann, halten tut das Grundgeschirr aber auch hier bestens. Am Nachmittag füllt sich die Bucht weiter: zwei Segler und zwei Charterkatamarane leisten uns Gesellschaft. So voll haben wir es ja schon lange nicht mehr erlebt! Aber es sind ruhige Zeitgenossen, und so verbringen wir einen entspannten Abend in grüner Umgebung.

Alonnisos / Steni Vala

Am Montag hat es sich mit dem Wind wieder völlig erledigt; das ist uns aber mal ganz recht so, denn unser Tagesziel liegt nur gut zwei Seemeilen entfernt genau gegenüber auf Alonnisos, und gilt als ziemlich problematisch in der Ansteuerung, da möchten wir nicht bei viel Wind reinfahren: der kleine Fischerhafen von Steni Vala hat vorm Kai nur sehr unzureichende Wassertiefen. Die großen Charterboote, die hier mit Buganker und Heck voraus anlegen, müssen mindestens zwei Meter vorm Ufer aufstoppen, sonst bohrt sich die empfindliche Ruderanlage in die Felsen; ein unmögliches Manöver, wenn nicht jemand an Land die Leinen fängt, denn springen kann so weit niemand.

Der nette, aber nicht sehr tiefe Fischerhafen von Steni Vala

Wir sind sehr froh um die klassische (um das Wort ‘altmodisch’ zu vermeiden) Rumpfform der ‘Orion’ und ihre Skandinavienausrüstung: völlig entspannt lassen wir den Heckanker fallen und schieben den endlos langen Bug bis über die Kaimauer. So ein undramatisches Anlegemanöver sieht man hier nicht alle Tage – wer weiß, wie viele Kautionen dieser Hafen schon gekostet hat!

Der winzige Ort besteht nur aus ein paar Cafés und Restaurants, die sich auch auf die Versorgung von Seglern spezialisiert haben: es gibt einen gut sortierten Supermarkt, und man kann sich an eine garantiert nicht VDE-konforme Elektroinstallation anstöpseln sowie Wasser aus dem Schlauch nehmen, wenn man bei dem Lokal, vor dem man angelegt hat, einkehrt – eine gute Regelung, finden wir!

Kyra Panagia / Agios Petros

Am Dienstagmorgen verlassen wir aus Steni Vala, nachdem wir noch etwas Hafenkino genießen durften: die große Charteryacht rechts neben uns holt zusammen mit ihrem Anker gleich auch den unseres linken Nachbarn hoch – sehr zu dessen Begeisterung, versteht sich. Das kann passieren, wenn es so eng ist – befremdlicher ist, wie ungeschickt sich die vielköpfige Crew anschickt, die fremde Kette von der eigenen Fluke herunterzuziehen; das dauert locker 10 Minuten, während dessen unser Nachbar keinen Halt gegen die Kaimauer hat … gut, dass es nicht windig ist.

Wir segeln im Sund zwischen Alonnisos und Peristeri gen Nordosten zur gut 10 Seemeilen entfernten Insel Kyra Panagia; diese ist unbewohnt und gehört zur Schutzzone A des Alonnisos Marine Park, wie auch schon Skantzoura; im Unterschied zur letzteren Insel darf man hier aber über Nacht ankern. Der hier vorkommenden Mönchsrobbe begegnen wir leider nicht, wohl aber finden wir eine traumhaft schöne Ankerbucht, ganz geschlossen mit einem kleinen Inselchen in der Einfahrt, reinem weißen Sandgrund und 5 bis 6 Meter türkisfarbenem Wasser darüber – und vielen andere Yachten, die sich das auch anschauen wollen. An Land darf man nicht, aus Naturschutzgründen, wohl aber stundenlang mit dem Jetski durchs Ankerfeld düsen – das verstehe, wer will.

Agios Petros auf Kyra Panagia: nach Abzug der Jetskis eine wahre Idylle
Kyra Panagia / Ormos Planitis

Bevor wir Kyra Panagia und damit die Nördlichen Sporaden verlassen, wollen wir uns noch die zweite Ankerbucht im Norden anschauen; Wind gibt es keinen, also motoren wir einmal um die Insel herum. Dies gestaltet sich kurzweiliger als gedacht, die zerklüftete Felsenküste mit ihren zahlreichen Aushöhlungen bietet viel zu sehen.

Die zerklüftete Küste Kyra Panagias

Nach anderthalb Stunden erreichen wir die ausgedehnte Bucht Ormos Planitis, welche durch eine schmale und nur wenige Meter tiefe Einfahrt von der See getrennt ist; dahinter öffnet sich eine ausgedehnte Wasserfläche mit angenehmen Wassertiefen und gutem Halt auf schlammigem Grund – hier können dutzende Yachten Schutz finden. Wir sind ein wenig an die Bucht Vathy auf Astypalaia erinnert, in der wir im Winter einige Male Zuflucht gesucht haben; auch diese vertieft sich nach einer flachen Durchfahrt und weist durch die Kesselform eine ähnliche Bodenbeschaffenheit auf, ebenso wie eine milchig-türkise Farbe des Wassers – das ist zwar zum Schnorcheln nicht so spannend, aber im strahlenden Sonnenschein ein toller Anblick. Da Ormos Planitis aber eine unregelmäßigere Form hat und damit für jede Windrichtung das ideale Fleckchen bereit hält, ist sie unser neuer Spitzenreiter auf der Liste der natürlichen Sturmzufluchten 🙂

Platz für alle: Ormos Planitis

Auch hier leiten uns einige andere Yachten Gesellschaft, aber bei den Ausmaßen der Bucht fühlt es sich nicht voll an; vielleicht schreckt der Ort auch ein bestimmtes Publikum ab, es gibt nämlich absolut keinen Mobilfunkempfang 😉 Wir verbringen einen entpannten Nachmittag mit dem üblichen Abkühlungsprogramm und ohne Jetski, sowie eine ruhige, wenn auch etwas kurze Nacht – am nächsten Morgen wollen wir nämlich früh aufbrechen und Richtung Chalkidiki segeln, es ist tatsächlich endlich etwas Wind angesagt!

Zurück in den Kykladen (03.06. – 16.06.)

Kavos Papas, Ikaria

Wir verbringen eine relativ ruhige Nacht an unserem Ankerplatz am Ende der Welt – ab und an erreicht etwas Schwell das Boot, aber Wind haben wir praktisch keinen. Das verleitet uns, am nächsten Morgen das Großsegel gleich ohne Reff zu setzen, schließlich sind nur etwa 12 Knoten Wind für die Überfahrt nach Westen angesagt. Kaum runden wir aber die Inselspitze mit dem Leuchtturm Kavos Papas, bläst es mit 6 Beaufort in die Segel, und die ‘Orion’ nimmt fast 7 Knoten Fahrt auf – wir hätten es wirklich wissen müssen. Nach wenigen Minuten beruhigt es sich aber auf 12 bis 15 Knoten Wind – der berüchtigte Kap-Effekt …

Mit vollem Tuch gen Mykonos

So rollen wir also auch noch beide Vorsegel aus, und mit halbem Wind und gerade mal einem guten halben Meter Welle machen wir gleichmäßig schnelle Fahrt bei sehr moderater Lage. Die Aries steuert, und uns bleibt nicht zu tun als die Reise zu genießen, vor uns 30 Seemeilen tiefstes Blau bis Mykonos, und überall am Horizont zeichnen sich die Umrisse von Inseln ab. Die Sonne strahlt wie immer, aber es ist dennoch nicht zu heiß, denn der Nordwind bringt kühlere Luft mit. So herrlich sind wir schon sehr lange nicht gesegelt – wie schön es doch ist, wenn der Wind mal weder zu schwach noch zu stark ist und nicht vor vorne kommt 🙂

Einige Zeilen aus dem wohl griechischsten aller griechischen Romane kommen einem in den Sinn:

Glücklich der Mensch, der vor seinem Tode für würdig befunden wird, das Ägäische Meer zu befahren. […] Es gibt keine Freude, die das menschliche Herz so bewegt, so tief in das Paradies versenken kann, als wenn man den Namen jeder einzelnen Insel flüsternd, auf einem Schiff die Wogen dieses Meeres durchfurcht. Nirgends woanders wird man so friedlich und behaglich aus der Wirklichkeit in den Traum versetzt. Die Grenzen verschwimmen, und die Masten selbst des altersschwächsten Schiffes treiben Knospen und Weintrauben. Hier in Griechenland ist das Wunder die sichere Blüte der Notwendigkeit.

Nikos Kazantzakis, Alexis Sorbas

Mykonos / Agia Anna

So erreichen wir schon am frühen Nachmittag Mykonos; die für ihren Party-Tourismus und ihre völlig überzogenen Preise bekannte Insel ist für uns weniger Ziel um ihrer selbst willen, als vielmehr ein guter Ort, um den für die nächsten Tage angekündigten Starkwind abzuwettern.

Agia Anna – anlern, wo andere Austern schlürfen

Wir haben uns dazu diejenige Bucht ausgesucht, die nach den Google-Informationen die geringste Dichte an Party-Clubs direkt am Strand aufweist, Agia Anna. Als wir gerade ankern wollen, schießt ein RIB auf uns zu und fragt, ob die Eigner schon mal in die Bar übersetzen wollen, während die Crew sich um das Boot kümmert – wir lehnen dankend ab und stellen fest, in einer anderen Welt angekommen zu sein (deren dienstbaren Geistern aber seltsamerweise die Fähigkeit zu fehlen scheint, aus dem Anblick des Bootes Rückschlüsse auf den erzielbaren Umsatz zu ziehen). Die Motoryachten der siebenstelligen Preisklasse mit den Bikinischönheiten auf dem Vordeck, die sich hier außer uns noch so tummeln, nehmen das Angebot aber gerne an …

Wir verbringen zwei Tage bei bis zu 30 Knoten Nordwind in dieser Bucht vor Anker; am zweiten Tag lässt der Wind wenigstens soweit nach, dass wir uns trauen, mit dem Dinghi an Land überzusetzen. Viel zu sehen gibt es dort aber nicht, der Minimarkt ist geschlossen, und der Weg bis in den Hauptort der Insel viel zu weit (10 Kilometer). Macht nichts, bei herrlichem Wetter kann man es auch an Bord gut aushalten und zuschauen, wie der Windgenerator die Batterien lädt 🙂

Sonntagmorgen beschließen wir weiterzuziehen; beim Aufholen des Ankers erleben wir aber erst mal eine Überraschung: während der letzten zwei Tage waren zwei junge Männer im Schlauchboot und mit Taucherausrüstung damit beschäftigt, neue Muringleinen- und bojen an die Betonklötze auf dem Grund zu knoten; nun dürfen wir feststellen, dass die beiden Helden eine schöne, dicke Trosse mit Boje an den Bügel unseres Ankers geknotet haben – im sonnendurchfluteten, kristallklaren Wasser auf weißem Sandgrund ist offenbar ein Betonklotz kaum von einem Bügelanker mit Kette und daranhängendem Boot zu unterscheiden …

Rineia / Ormos Parianos

Unser Ziel ist eine Ankerbucht an der Südseite der westlich von Mykonos gelegenen Insel Rineia; diese soll uns als Ausgangspunkt für unseren Besuch für unseren geplanten Besuch auf Delos dienen. Auf dem Weg dorthin passieren wir viele schöne Strände, aber mit zunehmender Annäherung an den Hauptort von Mykonos steigt auch die Bebauungsdichte und die Zahl der vor Anker liegenden Superyachten.

Mykonos: hier ankern die Reichen und Schönen

Auch unsere Zielbucht ist brechend voll, wir können nur noch einen Platz in viel zu flachem Wasser finden; beim Schnorcheln stellen wir fest, dass ein Durchtauchen zwischen Kiel und Grund nicht mehr möglich ist, da sind kaum noch 20 Zentimeter. Aber wie immer leert sich die Bucht gegen Abend, und wir können noch umankern; nur eine Yacht der 60-Meter-Klasse bleibt – und veranstaltet nach Einbruch der Dunkelheit noch ein Privatfeuerwerk für uns 🙂

Delos

Am Montagmorgen motoren wir zwei Seemeilen bis zur Insel Delos; es herrscht ziemliche Flaute, und das ist auch gut so, denn die wenigen Ankerplätze taugen nicht viel, man liegt ziemlich ungeschützt in der Durchfahrt zwischen Delos und Rineia auf sehr durchwachsenem Grund.

Dem Mythos nach schwamm die Insel einst im Meer, bis Poseidon sie an vier diamantenen Säulen befestigte. Artemis und Apollon wurden hier geboren, und so wurde Delos das Zentrum der Verehrung dieser Gottheiten. All die konkurrierenden griechischen Stadtstaaten errichteten Vertretungen und Tempel auf der Insel, und natürlich wollte jeder größer und prächtiger bauen als die Konkurrenz. So wurde Delos eines der Zentren der antiken Welt – bis zu 30.000 Menschen lebten hier, vor zweieinhalbtausend Jahren eine gewaltige Zahl. Auch der Handel blühte, Kaufleute aus der ganzen damals bekannten Welt kamen hierher – und durften auch alle ihre Heiligtümer errichten, religiöse Toleranz war in vorchristlicher Zeit noch gar kein Problem. So blühte Delos über Jahrhunderte, bis es 87 v.Chr. im Mithridatischen Krieg zerstört wurde.

 

Heute ist die Insel ein gewaltiges Trümmerfeld; es gibt keine spektakulären, wiedererrichteten Großbauten, aber die Ausdehnung und die Detail beeindrucken sehr, wie überhaupt schon das Gefühl, auf so geschichtsträchtigem Boden zu wandeln. Die Grundmauern der Tempel- und Wohnbezirke sind umfassend erhalten, so dass man richtiggehend das Gefühl hat, durch die alten Gassen zu gehen; überall sieht man reich verzierte Marmorarbeiten, Säulenteile, Statuenreste, Tonscherben. Man watet quasi knietief durch die Geschichte – ein wirklich toller Ort, wenn man sich für die Antike interessiert! Wir sind froh, dass uns die Flaute einen Besuch ermöglicht hat – außer mit dem eigenen Boot kann man die Insel nur mit dem Ausflugsboot ab Mykonos erreichen.

Rineia / Ormos Kasari

Da das Ankern im Umfeld von Delos nur während der Öffnungszeiten der Ausgrabungsstätten erlaubt ist, ziehen wir nach unserer Rückkehr vom Landgang noch weiter; Ziel für die kommende Nacht ist wieder die Nachbarinsel Rineia, diesmal eine Ankerbucht weiter nördlich. Diese ist wie schon gewohnt von Ausflüglern ab Mykonos gut besucht – verständlich, all diese Buchten sind hervorragend zum Baden geeignet, und das Wasser hat inzwischen schon 24 Grad erreicht.

Nur echt mit Hubschrauber: die Superyacht ‘Ulysses’

Einer unserer Nachbarn schafft es, unseren Maßstab von ‘groß’ wieder ein Stück weiterzuschieben: die 2018 gebaute, 116 Meter lange und 250 Millionen Dollar teure ‘Ulysses’, gerüchteweise im Besitz von Mark Zuckerberg, mit einem 24 Meter langen ‘Beiboot’ und eigenem Hubschrauberlandeplatz. Man gönnt sich ja sonst nichts …

Syros / Ermoupoli

Wir verlassen am nächsten Morgen den Einzugsbereich von Mykonos mit seinen Superyachten; nicht dass diese nicht in einer halben Stunde das 17 Seemeilen entfernte Ermoupoli auf Syros erreichen könnten, doch in der etwas industriell angehauchten Kykladenhauptstadt gibt es wenig, was diese Klientel anlocken könnte – wir werden sie nicht vermissen!

Die Kykladenhauptstadt Ermoupoli

Für uns schließt sich hier ein Kreis: Mitte Oktober waren wir schon mal in Ermoupoli, und nachdem wir erfreulicherweise trotz angekündigter Flaute Syros doch unter Segeln erreichen konnten (wenn auch mit einiger Geduld), machen wir wieder in der nie fertiggestellten Marina fest. Von hier läuft man nur gut eine Viertelstunde zur einzigen Lidl-Filiale weit und breit – der perfekte Ort, um haltbare Vorräte für die nächsten Wochen einzukaufen: für Discounter-Waren sind die deutschen Supermarktketten europaweit einfach unschlagbar, während man frisches Obst und Gemüse in jedem winzigen griechischen Laden in einer Qualität bekommt, von der man auch auf dem deutschen Wochenmarkt nur träumen kann.

Möchte man hier nicht einkehren?

Gerne verbringen wir auch den folgenden Tag noch in Ermoupoli; schon bei unserem ersten Besuch hat uns der Ort gut gefallen, nun wirkt aber – wohl jahreszeitlich bedingt – alles noch viel lebendiger: viele Geschäfte, die im Oktober schon Winterpause hatten, sind nun geöffnet, und die Straßen quellen über vor gutgelaunter Lebendigkeit. So viele kleine Läden aller Art, Boutiquen mit geschmackvollen Sommersachen,  Obst- und Gemüsehändler mit herrlichen Auslagen (viel aus lokalem Anbau), und vor allem unzählige Restaurants und Cafés: in kleinen Seitengassen zwischen alten Natursteinhäusern nehmen die Tische die gesamte Breite der Straße ein, welche komplett von schattenspendenden Bougainvilleen überrankt wird – besser geht’s doch kaum noch!

Tinos / Ormos Stavros
Windige Überfahrt nach Tinos

Am Donnerstag muss es dann aber doch weitergehen, schließlich droht der Gegenwind immer stärker zu werden; wir steuern die Insel Tinos an, die nordwestlich von Syros liegt. Der Wind kommt recht nördlich mit etwa 5 bis 6 Windstärken, in Böen sehen wir auch gerne mal eine 7; durch die Abdeckung der Insel baut sich keine allzu hohe See auf, so dass wir mit einem Reff im Groß und Kuttersegel gute Höhe laufen können und am frühen Nachmittag in einer kleinen Bucht nördlich des Hafens von Tinos ankern, Ormos Stavros.

Das traurige Ende der ‘Trilye’

Tinos ist in der altgriechischen Mythologie der Geburtsort des Windgottes Aiolos, und wir verstehen auch bald, wie man auf diese Idee gekommen ist: während der Wind schon auf der ganzen Überfahrt deutlich stärker war als vorhergesagt, legt es zum Abend, wo sich eigentlich Flaute einstellen sollte, immer mehr zu, und wir verbringen eine nicht so ruhige Nacht bei 25 bis 35 Knoten Wind; eine entmastete und auf die Felsen gespülte Segelyacht am Rande der Bucht bietet die passende Kulisse dazu.

Andros / Batsi

Freitagmorgen checken wir alle erdenklichen Quellen für Wettervorhersagen: Nordost, da ist man sich einig, und zwischen 8 und 12 Knoten, je nachdem, welchem Modell man vertrauen mag. Aber warum pfeift es unterdessen weiter mit 25 Knoten um den Mast? Eine absurde Situation, wenn alle Wetterprognosen so wenig mit der Realität zu tun haben, man beginnt an seinem Verstand zu zweifeln – und daran, ob wir nicht einfach nur einen völlig obskuren lokalen Effekt erleben, Wind der durch die Form der Berge vor uns fokussiert wird?

Mit zweitem Reff und Kuttersegel im Lee von Tinos und Andros gegenan

Wir entschließen uns, alles auf die letztere Möglichkeit zu setzen, anstatt einen Tag zu warten (da ist nämlich gar kein Wind mehr angesagt) – und liegen natürlich falsch. Auch eine halbe Seemeile vom Ankerplatz entfernt nimmt der Wind nicht ab, im Gegenteil, wir lesen auch häufig Werte in den 30ern ab. Wenigstens erlaubt die Windrichtung in Verbindung mit der Abwesenheit von Schwell (wir sind schließlich im Lee von Tinos), so eben den Zielkurs anzulegen, und so richten wir uns also darauf ein, die nächsten 30 Seemeilen hoch am Wind gegen eine 6 bis 7 anzukämpfen.

Doch selbst das kommt anders: vor der schmalen Passage zwischen Tinos und der nordwestlichen Nachbarinsel Andros nimmt der Wind plötzlich ab – gerade hier, wo wir eigentlich nochmal mit einer Zunahme gerechnet hätten. Auf einmal können wir sämtliche Reffs wieder ausschütten, und weitere zwei Stunden später müssen wir sogar für die letzten 6 Seemeilen die Maschine starten, da rein gar kein Wind mehr weht. Nun, vielleicht war die vorhergesagte 3 bis 4 als Mittelwert von 0 und 7 zu verstehen …

Batsi auf Andros

Wir erreichen jedenfalls nach einem langen, anstrengenden Tag den Hafen von Batsi auf Andros und bekommen noch einen der wenigen Längsseitsplätze; es gibt sogar einen jungen Hafenmeister, der uns einweist und die Leinen annimmt, außerdem freundlich auf die Wasser- und Stromanschlüsse hinweist. Wohin wir denn zum Bezahlen müssen? Oh, no, the harbour is free of charge … Also, kostenloses Liegen mit Wasser und Strom ist uns ja schon mehrmals in Griechenland begegnet, aber sogar mit Personal?!? Manch ein Deutscher wirft den Griechen mangelnde Geschäftstüchtigkeit vor, wir aber empfinden das anders: Häfen sind für ein Volk von Seefahren von extremer Bedeutung, und Fremde bei sich aufzunehmen eine uralte Form der Gastfreundschaft, so wie man selbst ja auch darauf angewiesen ist, woanders aufgenommen zu werden. Der Chartersegler, der schon mal 200 Euro pro Nacht für eine Muringboje vor Ibiza gezahlt hat, ist so begeistert, dass er mit der vielköpfigen Crew die nächste Taverna stürmt und mindestens den gleichen Betrag dort auf den Kopf haut – ein Geschäftsmodell für die Gemeinde als Ganzes, welches eher auf Langfristigkeit als kurzfristige Gewinnmaximierung ausgerichtet ist und allen Beteiligten mehr Freude bereitet. Wir finden, von den Griechen kann man etwas lernen …

Auch bei uns schlägt das an: wir bleiben mehrere Tage (wobei natürlich auch die zur Weiterreise unbrauchbaren Wetteraussichten eine Rolle spielen), kaufen fleißig in den örtlichen Geschäften ein und mieten uns für einen Tag ein Auto, um die Insel zu erkunden.

Oleander am Straßenrand

Da gibt es eine Menge zu sehen: die fast 40 Kilometer lange Insel ist überwiegend gebirgig, mehrere Höhenzüge ragen bis knapp 1000 Meter in die Höhe. Dadurch – und ihre Lage näher am Festland – bekommt Andros mehr Regen ab als viele andere Kykladeninseln. Endlose Serpentinenstraßen schneiden sich durch das spärlich besiedelte Inland; es herrscht kaum Verkehr, man kann beliebig langsam fahren und die Aussicht genießen. Die aufs Meer – sei es nach Osten oder Westen – ist eh spektakulär, aber uns begeistert es auch sehr, mal wieder Berge und Täler mit grünem Buschwerk zu sehen. Vielerorts wächst in den feuchteren Einschnitten wilder Oleander und blüht prächtiger als in so manchem Park in nördlicheren Gefilden.

Klein aber sehr hübsch: der ‘Wasserfall’

Wir machen eine kleine Wanderung in eine Schlucht und besichtigen eine besondere Attraktion: ein echtes Fließgewässer, sogar mit Wasserfall! Weiter geht es nach Chora, dem Hauptort der Insel; hier gibt es einen mittelalterlichen Stadtkern auf einer Landzunge, an deren Ende die nur über eine steile, etwas fragil wirkende Brücke ohne jegliches Geländer zu erreichende Ruine der venezianischen Festung liegt.

Noch weiter draußen, auf einem Felsen in der See, steht der kleine Leuchtturm von Tourlitis, eines der bekanntesten Motive der Insel; er wurde 1897 erbaut, 1943 bei einem deutschen Luftangriff zerstört und in dern 90er Jahren originalgetreu wiederaufgebaut.

 

Die Ruine der Höhenburg von Andros

Weiter führt uns der Weg, immer wieder hoch auf die Bergrücken und hinab ins nächste Tal; wir nehmen eine kleine – etwas abenteuerliche – Stichstraße und erreichen nach einer kleinen Wanderung eine weitere Burgruine, die der Höhenburg von Andros. Hier sind noch umfassende Grundmauern erhalten, vor allem aber lohnt sich der Ausblick von der auf einem schroff aufragenden Felsplateau errichteten Anlage – herrlich!

Panoramablick von der Höhenburg gen Osten

Wir stoßen auch überall auf markierte Wanderwege – eine ziemliche Ausnahme auf den Kykladen. Gerade in der nicht so heißen Jahreszeit ist die Insel sicher ein lohnendes Ziel für Wanderer, und selbst jetzt – Mitte Juni – ist es einige hundert Meter über dem Meeresspiegel doch merklich kühler als unten im Hafen, man kann tatsächlich noch wandern, ohne sofort zu zerfließen.

Am Montag und Dienstag zieht ein Tiefdruckgebiet durch, welches Wolken, unberechenbare Winde und sogar etwas Regen mit sich bringt – da bleiben wir doch lieber im freundlichen und kostenlosen Hafen von Batsi. Das Wetter für die Weiterfahrt will auch mit Bedacht gewählt sein, liegt vor uns doch die Straße von Kaphireas, die Meerenge zwischen Andros und Evvia (Euböa): hier kommt einem normalerweise der Wind kräftig entgegen, und dazu noch das halbe ägäische Meer – 6 bis 7 Knoten Gegenstrom sollen sich unter ungünstigen Bedingungen aufbauen können. Ganz klar, für kleine Boote ist die Meerenge dann unpassierbar, also warten wir auf bessere Bedingungen.

Unter Gennaker durch die Kaphireas-Straße

Am Mittwoch den 16. ist es dann soweit: zwar ist hauptsächlich Flaute angesagt, aber die wenigstens aus Südwest – eine sehr ungewöhnliche Windrichtung, die wir nutzen müssen, auch wenn es auf viele Motorstunden hinausläuft. Wir verlassen am Mittag den Hafen und können auch einige Stunden bei 2 bis 3 Windstärken segeln – langsam, aber wir arbeiten uns stetig durch die gefürchtete Passage, ständig dem sehr dichten Verkehr an Containerschiffen und Tankern ausweichend, die etwas schneller als wir unterwegs sind.

Cavo Doro zum Sonnenuntergang

Am Abend frischt der Wind sogar etwas auf, und wir freuen uns schon auf eine Nachtfahrt unter Gennaker, aber gerade als wir das Cavo Doro passieren, das nördliche Ende der Kaphireas-Straße, ist es schlagartig vorbei damit: mit ein bis zwei Knoten Wind kann auch das Leichtwindsegel nichts mehr anfangen, und so muss der Motor ran und schiebt uns gen Norden heraus aus den Kykladen

Endlich wieder Segeln: im Dodekanes gen Norden (20.05. – 02.06.)

Am 20. Mai ist es endlich soweit: nach sechseinhalb Monaten Lockdown verlassen wir Astypalaia! Einerseits sind wir natürlich sehr froh darum, endlich etwas mehr von Griechenland sehen zu können, nachdem wir ein halbes Jahr unseres Lebens damit verloren haben, unsere 10 Quadratmeter Wohnfläche vor wechselnden Stürmen in Sicherheit zu bringen, andererseits haben wir durch unseren unfreiwilligen Aufenthalt auch nette Menschen kennengelernt und die Insel wirklich lieb gewonnen – aber wir sind uns auch sicher, wiederzukommen, also legen wir am Donnerstagmorgen hochmotiviert ab. Unser Weg soll uns nach Norden führen, bevor der vorherrschende Nordwind im Sommer immer stärker wird (natürlich sind wir viel zu spät dran …); wir folgen dabei zunächst der der türkischen Küste vorgelagerten Inselkette des Dodekanes, welche  – anders als der Name (“Zwölf Inseln”) vermuten lässt –  rund 160 Inseln umfasst.

Levitha
Levitha voraus!

Die Windvorhersagen versprechen einen schönen Segeltag: sanfte 12 Knoten aus Südwest sollten uns unter Gennaker langsam aber stetig nach Norden schieben. Nun, in der Realität sind es zunächst nur 5 Knoten, und zwar aus Nordost – kleiner Unterschied; und der Gennaker ist das einzige Segel, welches an diesem Tag nicht zum Einsatz kommen wird. Zwei Stunden motoren wir gegenan, bis wir um die Südostspitze Astypalaias nach Norden abbiegen und endlich unter Großsegel und Code 0 am (Ost-)Wind segeln können. Erst als wir weitere zwei Stunden später aus dem Windschatten der Insel kommen, dreht der Wind auf West – und weht mal mit 18 Knoten, was uns bei der beachtlichen Segelfläche mit sechseinhalb Knoten herrliche Fahrt machen lässt, dann bricht er wieder auf 5 Knoten zusammen, was uns mit anderthalb Knoten und flappendem Tuch in den gar nicht so kleinen Wellen schaukeln lässt. Da wir auch am 6. Tag nach der Impfung gesundheitlich immer noch angeschlagen sind, wird der erste Segeltag nicht so erholsam wie erhofft, so dass wir recht froh sind, nach 10 Stunden endlich die Südbucht der Insel Levitha anzusteuern.

Abendsonne über der Ankerbucht

Hier erwartet uns eine weitere Überraschung: wir sind nicht etwa allein, sondern eine ganze Flottille riesiger Charterboote hat bereits einen Großteil der ausgelegten Muringbojen in Beschlag genommen. Offenbar haben die Charterfirmen keine Zeit verloren und unmittelbar mit der Öffnung Griechenlands die ersten Touristen aufs Wasser geschickt … Wir finden noch eine letzte freie Muring mitten um Feld der restlichen Boote, versuchen den Trubel und die blinkenden Lichterketten auszublenden und fallen erschöpft in die Koje.

Am nächsten Morgen sieht die Welt schon besser aus: die Flottille hat sich in aller Frühe aus dem Staub gemacht, denn der Wind soll ja auf Nord drehen und deutlich zulegen. Wir lassen das neue Dinghi zu Wasser und paddeln an den Anleger, um die Insel zu erkunden. In deren Mitte befinden sich landwirtschaftlich genutzte Flächen, der Rest gehört den Ziegen. Bewohnt und bewirtschaftet wird Levitha von einer einzigen Familie – seit etlichen Generationen. Diese betreibt auch eine einfache Taverna für die hier übernachtenden Boote – was offenbar kein Geheimtipp mehr ist, auch am Freitag kommen neue Boote dazu.

Wir erwandern die kargen Anhöhen, auch um dort etwas Mobilfunkabdeckung zu suchen und die Wettervorhersagen für die kommenden Tage zu aktualisieren, ansonsten ist die Insel die perfekte Kommunikations-Entgiftung: in die Ankerbucht verirrt sich keine elektromagnetische Welle. Selbstredend gibt es keine Straße, zum Bauernhof mit der Wirtschaft führt ein Trampelpfad; überhaupt gibt es nichts als schroff-schöne Landschaft und ganz, ganz viel Ruhe – was uns wirklich sehr gelegen kommt nach den anstrengenden letzten Tagen.

Panoramablick über Levitha

Wir verbringen zwei herrliche Tage an der Muring, während die Sonne auf uns brennt und der kühlende Meltemi mit 7 Windstärken über die Insel pfeift, lesen viel und schauen ansonsten zu, wie der Windgenerator und die Solarzellen die Batterien wieder randvoll laden; am Samstagabend kehren wir in die Taverna ein und genießen ein einfaches, authentisches und köstliches Essen. Levitha ist ein wirklich gelungener Neustart nach so langer Durststrecke!

Leros / Lakki

Am Sonntagmorgen lösen wir die Leine zur Muring und fahren unter Segeln aus der Bucht – sicherheitshalber mit einem Reff im Groß, denn durch die Abdeckung der Insel ist schwer vorherzusagen, wie viel Wind draußen wirklich weht. Schon nach wenigen Minuten erwischen uns Böen von 25 Knoten; wir sind ganz froh um das Reff und etwas nervös, was wohl jenseits des Inselwindschattens auf uns warten mag (wie sehr man sich doch an tagesaktuelle Wettervorhersagen gewöhnt hat und wie seltsam es ist, drei Tage im Funkloch verbracht zu haben!). Nach einer Stunde runden wir das östliche Inselende – und der Wind nimmt ab! Berge können also nicht nur Windabdeckung bieten, sondern auch durch Fallwinde den auf See herrschenden Wind noch verstärken – und dummerweise weiß man vorher nie, welcher der beiden Effekte überwiegen wird …

Kalymnos in einem Traum in Blau

Wir segeln 22 Seemeilen bei nordwestlichen Winden um 4 bis 5 Richtung Nordost, die Insel Leros ist unser Tagesziel – aber egal in welche Richtung man schaut, überall sind bergige Inseln am Horizont! Wir sehen hinter uns noch Amorgos, an Backbord Ikaria und Patmos, voraus Leros, weiter an Steuerbord die beeindruckende Silhouette von Kalymnos und weit entfernt Kos, alles eingebettet in tiefstes Blau – ein toller Anblick!

Die Uferpromenade von Lakki direkt vorm Ankerplatz

Gegen 15 Uhr erreichen wir die tief eingeschnittene und gut geschützte Bucht Lakki mit dem gleichnamigen Ort; früher hieß dieser Portolago – eine italienische Gründung, die während der italienischen Herrschaft über den Dodekanes 1912-43 als Flottenbasis diente. Das merkt man dem Ort an: die Gebäude sehen überhaupt nicht griechisch aus, der italienische Rationalismus der 30er Jahre beherrscht das Stadtbild. Direkt vor der Uferpromenade gibt es einen hervorragenden Ankerplatz, wo wir unseren Segeltag beenden und zu alkoholischen Kaltgetränken übergehen (es gibt noch spanische Sangria an Bord!).  

Gut erhalten: der italienische Palazzo Comunale

Am nächsten Tag erkunden wir den Ort; durch die benachbarte, große Marina gibt es mehrere Läden für Bootszubehör, und Supermärkte sowieso. Die meisten der italienischen Großbauten sind ganz schön heruntergekommen – der Wert des faschistischen Architektur als Baudenkmal darf auch sicher in Frage gestellt werden, dennoch gibt es kaum woanders noch so viel Bausubstanz aus dieser Zeit, vielleicht würde es sich doch lohnen, ein wenig mehr für den Erhalt zu tun. 

Alte Villen mit Blütenpracht in Lakki

Eine weitere Auffälligkeit: hier wachsen Bäume! Auf Astypalaia haben wir ein halbes Jahr nur Zitrusfrüchte, Oliven und Feigen gesehen, doch hier gibt es zahlreiche Pinien, die einen herrlichen Duft verströmen; insgesamt scheint es mehr Wasser zu geben, überall blühen Oleander, Bougainvilleen, Jasmin … der 30 Grad warme Wind weht uns eine betörende Duftkomposition in die Nase – himmlisch! Danach noch ein Bad im mit knapp 23 Grad doch noch erfrischenden Wasser – was will man mehr?!?

Archangelos

Dienstagmorgen nutzen wir noch die Nähe des Ortes für ein richtiges Frühstück mit frischem Brot von der Bäckerei und machen uns dann wieder auf dem Weg – nach Norden, also gegen den Wind. Allzu große Fortschritte sind da nicht zu machen, also kreuzen wir nur bis zu der kleinen Insel Archangelos, welche der Nordküste von Leros vorgelagert ist.

Archangelos: Schöne Ankerbucht mit Lärmquelle

Dort finden wir eine schöne Ankerbucht, in die unmittelbar vor uns eine Charteryacht mit deutschsprachiger Crew einläuft. Dagegen ist zunächst nichts zu sagen, hier ist genug Platz für zwei Boote; unsere Begeisterung sinkt aber rapide, als nebenan gegen 18 Uhr wieder die Maschine gestartet wird – und läuft, und läuft … nach einer Stunde erkundigen wir uns, wie lange wir den Lärm beim Abendessen noch genießen dürfen – ach, so eine Stunde, sie müssen halt Batterien laden … das hätten sie gerne nach ihrer Ankunft tun können, oder sonst am nächsten Morgen, aber an allen Ankerplätzen der Welt gilt eigentlich die Regel, dass man keinen Lärm mehr macht, wenn die Sonne zum Sinkflug ansetzt – so also kommen Chartersegler zu ihrem guten Ruf!

Leipsoi / Kochlakoura

Nach einer ruhigen Nacht vor Anker machen wir uns wieder auf den Weg, wir wollen zur nächsten größeren Insel übersetzen, Leipsoi; weit ist die nicht weg, aber natürlich gegen den Wind, was die gesegelte Strecke fast verdoppelt. Es läuft aber ganz gut, der Wind ist gleichmäßiger, und wir nehmen das erste Reff aus dem Groß, welches am Vortag noch sicherer schien.

Kochlakoura / Leipsoi

Vom ewigen Gegenwind abgesehen ist das Wetter unbeschreiblich gut: jeden Tag scheint von früh bis spät die Sonne vom wolkenlosen Himmel, und die Reflexionen lassen die dunkelblaue See funkeln – eine Freude, hier segeln zu können! Wir finden bei Kochlakoura eine passende Ankerbucht an der Südostküste von Leipsoi, deren Sandgrund die Farben zum Türkis verschiebt. Tamarisken säumen den langen Strand, die Umgebung ist von buntem Felsgestein dominiert, ein paar gepflegte, kleine Häuser stehen an den Hängen – und allein sind wir auch noch, obwohl mühelos ein Dutzend Yachten unterkämen!

Am nächsten Vormittag laufen wir in den zwei Kilometer entfernten Hafenort der Insel; die Landschaft auf dem Weg dorthin ist überraschend grün, es wird Landwirtschaft betrieben und viel Wein angebaut. Der Fischerhafen hat auch eine Pier für Yachten, der kleine Ort ist freundlich und bietet neben kleinen Läden eine sehr gut sortierte Bäckerei/Konditorei.

Makronisi

Zurück an Bord können wir uns zunächst nicht entscheiden, ob wir nicht noch eine zweite Nacht hier bleiben sollen oder doch weiterziehen; wir entscheiden uns für letzteres, weil wir hoffen noch etwas brauchbaren Wind am Nachmittag mitnehmen zu können – und einen weiteren, vielversprechenden Ankerplatz kennenlernen möchten. Die Hoffnung auf guten Wind wird enttäuscht, wir müssen längere Zeit motoren, aber der Ankerplatz vor der kleinen Insel Makronisi, welche vor der Südküste von Arkoi liegt, hält, was er verspricht: völlige Einsamkeit und hinreißendes Türkis soweit das Auge reicht, ein paradiesisches Plätzchen!

Sonnenuntergang vor Makronisi

Wir schwimmen ein paar Runden und wollen gerade aus dem Wasser steigen, als sich ein RIB der Coast Guard nähert und unsere Papiere kontrollieren will; schlechtes Timing, aber die beiden jungen Beamten sind sehr nett und warten geduldig, bis wir uns notdürftig abgetrocknet haben. Danach ist aber auch unsere Geduld gefordert: der Formularsatz verlangt nach einer unbeschreiblichen Menge Informationen. Wir geben geduldig Auskunft, alle möglichen Dokumente werden abfotografiert – wir haben den Eindruck, dass die Kontrolle für die beiden nochmal eine Stunde Papierkram zurück im Hafen nach sich zieht. Bürokratie kann man hier also auch gut … 

Arkoi

In den Hafen von Arkoi sind es am Freitagmorgen dann nur zwei Seemeilen; es gibt ein Stück Betonkai, an dem rund ein halbes Duzend Boote mit Buganker und Heckleinen festmachen können, keine Strom- oder Wasseranschlüsse, einen geschlossenen Minimarkt und drei äußerst einladende Tavernas. Die wenigen Einwohner sind gewohnt freundlich, die Häuser sehr hübsch anzusehen – ein griechisches Dort wie aus dem Bilderbuch!

Gerne bleiben wir hier auch noch den ganzen Samstag und kehren am Abend in eine der Tavernas ein; wie immer ein positives Erlebnis, auch hier wird alles aus frischen Zutaten auf Bestellung gekocht, und das zu sehr vernünftigen Preisen. Der Wirt spricht sehr gut Englisch, wir unterhalten uns nett und verbringen einen schönen Abend. Nur die Nacht wird leider unerfreulich: die Crews mehrerer Yachten fallen in die andere Taverna ein und motivieren den Wirt dazu, bis nach 3 Uhr die ganze Insel zu beschallen – das hat man davon, nicht in der Einsamkeit zu ankern!

Phournoi / Paralia Vlychada
Blick von Phournoi auf Patmos

Entsprechend müde starten wir am Sonntag, und das Wetter passt sich der Stimmung an: es ist bewölkt! Wir empfinden das als ganz angenehm, weil uns mal nicht die Sonne verbrennt; viel Wind gibt es allerdings auch nicht, so dass wir die letzten Meilen bis zu unserem Ziel am Südende der Insel Phournoi motoren müssen. Diese liegt unter der Lücke zwischen den großen Inseln Ikaria und Samos, welche das nördliche Ende der südlichen Sporaden bilden, aber eigentlich schon nicht mehr zum Dodekanes gehören; durch diese Lage ist Phournoi in besonderem Maße den starken Nordwinden ausgesetzt. So gesehen ist dieser eher flautige Tag eine gute Gelegenheit, die Insel zu besuchen, und wenn es auch nur für eine Übernachtung ist; zum Abend bietet sich aus unserer nach Süden offenen Ankerbucht noch ein bezaubernder Blick auf den Schattenriss von Patmos in Pastelltönen.

Ikaria / Agios Kirykos

Am 31. Mai verlassen wir Phournoi schon wieder, um die letzten 12 Seemeilen Richtung Nordwesten bis Ikaria zurückzulegen; auch heute ist noch wenig Wind angesagt, und das ist eine Chance Strecke gegen den Meltemi gutzumachen, die wir nicht ungenutzt lassen können. Wieder können wir einen Teil der Strecke segeln (wenn auch nur mit sehr viel Geduld) und müssen nur die letzten Meilen motoren, bis wir den neuen Hafen von Agios Kyrikos erreichen.

Ikaria, die Insel mit der eigenen Wolkenkette

Die Insel Ikaria bietet einen beeindruckenden Anblick: auf der ganzen Länge von rund 40 Kilometern ragt ein über 1000 Meter hoher Gebirgszug steil aus dem Meer. Dies führt zum einen zu der bereits erwähnten Windfokussierung in der Passage zu Samos, zum anderen zu üblen Fallböen auf der Leeseite der Insel. Der besagte neue Hafen bietet guten Schutz, ist er doch erst vor wenigen Jahren als kleine, aber moderne Marina angelegt worden; nur für die Inbetriebnahme hat es nie gereicht, so liegt man jetzt hier kostenlos längsseits vor abgeschalteten Stromsäulen.

Ikarus-Mosaik am Hafen

Die kleine Siedlung daneben ist der Hauptort der Insel: da Ikaria nicht über einen internationalen Flughafen verfügt, gehen die Touristenströme weitgehend an der Insel vorbei. Und das trotz des bekannten Namens: hier soll der Sage nach Ikarus auf der Flucht aus dem minotaurischen Labyrinth auf Kreta mit seinen aus Federn und Wachs konstruierten Flügen zu nahe an die Sonne gekommen und tödlich verunglückt sein, als das Wachs schmolz und so das Fluggerät auseinander fiel. Nach übereinstimmender Ansicht der Seglergemeinde wird ihn aber eher der heftige Meltemi gerupft haben …

Im Zentrum von Agios Kirykos

Wir mögen die ‘Inselhauptstadt’ – es gibt nur kleine Supermärkte mit (wie immer) herrlich frischem Obst und Gemüse, wie es solches in Deutschland für kein Geld der Welt zu kaufen gibt, nette Cafés und Restaurants, duftende Bäckereien und Konditoreien – und freundliche Menschen: am Hafen will ein Handwerker einen Auftrag ausführen und bringt dazu 5 verschiedene Verlängerungskabel und Kabeltrommeln mit, die er aneinandersteckt (eine sehr griechische Herangehensweise); zum Schluss fehlen ihm aber immer noch 10 Meter: wir leihen ihm unser Verlängerungskabel und dürfen uns dafür mit an seinem Strom bedienen, um die Batterien zu laden. So hilft man sich gegenseitig 🙂

Blick auf Therma

Am Dienstag den 1. Juni bekommen wir einen ersten Eindruck von den berüchtigten Fallböen: der Nordwind ist wieder da, und wir haben jede Minute 55 Sekunden Flaute und 5 Sekunden Böen der Stärke 6 – den ganzen Tag. Wir unternehmen eine Wanderung die Küste entlang zum Nachbarort Therma – wie der Name andeutet gibt es hier heiße Quellen, die seit der Antike genutzt werden. Der Ort liegt dekorativ eingebettet in die Berghänge, direkt am Hafen gibt es eine Grotte, in der heißes Wasser aus den Felsen quillt und sich mit dem Seewasser vermischt, und ein kleines Stück weiter die Küste entlang stehen auch noch ein paar antike Mauern. Die eigentliche Attraktion ist aber der Blick aufs Meer: die zerklüfteten Felsen im Vordergrund, das türkisfarbene Wasser in der Brandungszone, und das endlos tiefe und weite Blau dahinter … man kann sich daran kaum satt sehen!

Blick von Ikaria nach Süden: links Samos, in der Mitte Phournoi, rechts am Horizont Patmos
Ikaria / Agios Georgios

Am Mittwochmorgen kaufen wir noch ein Brot in der kleinsten Bäckerei des Ortes – und stellen fest, dass es eines der besten ist, die wir in Griechenland je bekommen haben! Nach einem derart gelungenen Frühstück machen wir uns auf den Weg zum Südwestende der Insel, knapp 20 Seemeilen sind es bis dorthin.

Den ganzen Tag begleiten uns Ikarias Gebirge

Wie immer ist Nordnordwest angesagt, aber im Windschatten des hohen Bergrückens bekommen wir so ziemlich alles, sowohl was Windrichtung als auch -stärke anbelangt. Kein ganz anspruchsloses Segeln, ist man doch bei Fallböen der Stärke 6 bis 7 ganz froh um ein Reff im Groß, muss dann aber auch mal eine halbe Stunde Flautengedümpel mit gerefftem Tuch aushalten.

Dafür entschädigt die vorbeiziehende Landschaft: praktisch ohne Unterbrechung hält der Gebirgszug seine Höhe von rund 1000 Metern, die Flanken fallen steil ins Meer ab – so sehr, dass sich nur an wenigen Stellen Ortschaften bilden konnten.

Wildromantisches Ankern in der Bucht vor Agios Georgios

Je weiter wir zum Ende der Insel kommen wird es immer noch dünner besiedelt; schließlich lassen wir nach 7 Stunden den Anker auf 10 m Tiefe über Sandgrund in der allerletzten Bucht vor der Südwestspitze fallen, in wildromantischer Umgebung, eingerahmt von steilen Felswänden, die mit hausgroßen Brocken übersät sind. Das Wasser ist völlig klar, trotz der Tiefe sieht man jedes Sandkorn am Grund – und die Farbe erst … 

Natürlich arbeitet sich etwas Schwell um das Kap, aber geschütztere Ankerplätze gibt es an dieser abweisenden Küste nicht, und gen Westen liegen 30 Seemeilen offenes Wasser bis zu den Kykladen vor uns – und die Schönheit dieses Ortes entschädigt für ein wenig Geschaukel 🙂 

 

Lockdown auf Astypalaia (07.11. – 19.05.)

Noch am Freitagnachmittag besucht uns ein Beamter von der lokalen Polizei, um uns in flüssigstem Englisch über den bevorstehenden Lockdown zu informieren: alle Geschäfte bis auf Lebensmittelläden sind geschlossen, es besteht allgemeine Maskenpflicht auch im Freien, und man darf nicht mehr grundlos seine Wohnung verlassen. Die Liste der möglichen Gründe ist aber um einen entscheidenden Punkt länger als seinerzeit in Spanien: Ausübung körperlicher Betätigung im Freien, mit bis zu zwei Personen, ist erlaubt – man muss sich nur selbst eine Genehmigung ausstellen: ein Zettel, auf den man Name, Anschrift, Ausgangszeit und -grund schreibt, genügt! Davon konnten wir auf Ibiza nur träumen …

Die Corona-Gestrandeten im Hafen von Astypalaia

Auch weiteren, stark von den Erlebnissen im Frühjahr beeinflussten Fragen begegnet der junge Mann mit merklichem Erstaunen: ja, natürlich dürfen wir den Hafen jederzeit verlassen, um irgendwo in der Nähe zu ankern, dabei käme man ja schließlich nicht mit anderen Menschen in Kontakt; und ja, selbstverständlich dürften wir dann dennoch jederzeit zurückkommen, um Schutz zu suchen, einzukaufen oder Wasser zu bunkern; genauso dürften wir auch die ganze Zeit bleiben wenn uns das lieber sei, und kostenlos sei das alles ohnehin – dies sei ja schließlich ein Schutzhafen, dafür sei er ja da. Der Beamte zeigt auch keinerlei Ambitionen, sich irgendwelche Ausweise oder Bootspapiere zeigen zu lassen oder diese gar zu fotokopieren, und freundlich ist er ohnehin – so unterschiedlich kann man also in verschiedenen Ländern mit ein und derselben Problematik umgehen; wir bedanken uns herzlich und denken im Stillen: dreitausend Jahre Zivilisation hinterlassen eben doch ihre Spuren!

Wir ergänzen also noch einige Vorräte und richten uns auf einen mehrwöchigen Aufenthalt in den Gewässern um Astypalaia ein; im Prinzip dürften wir sogar weitersegeln, aber andere Inseln zu besuchen, auf denen man sich dann nichts anschauen kann, erscheint auch nicht so sinnvoll, und dieser Flecken Erde lädt durchaus zum Verweilen ein: es gibt eine große Auswahl an schönen und sicheren Ankerbuchten, und die ganze Stimmung ist sehr entspannt. Am Montag verlassen wir den Hafen, denn es soll wieder windiger werden, und wir fanden es wesentlich angenehmer, letzte Woche bei Starkwind vor Analipsi zu ankern, als am Wochenende im kabbeligen Hafen in die Festmacher zu rucken.

Schöne Aussicht: Abendstimmung über der Bucht von Analipsi

Genau dorthin segeln wir auch zurück und verbringen den Rest der Woche bei meistens sonnigem Wetter und spätsommerlichen Temperaturen (für deutsche Verhältnisse) vor Anker. Der Minimarkt im Dorf ist weiter geöffnet, und man kennt sich bald besser, so dass wir auf Bestellung auch frische Backwaren bekommen, die aus der Chora geliefert werden. Die Besitzerin hat immer Zeit für ein nettes Gespräch und erzählt davon, wie schwer dieses Jahr für die Inselbewohner wat, weil kaum Touristen gekommen sind; hier hat man das Gefühl, dass neben den praktischen Reisebeschränkungen auch die Angst vor möglichen Gefahren viele Ausländer von einer Griechenlandreise abgehalten hat. So stellt sich heraus, dass viele Einheimische ihre Masken aufsetzen, um uns Ausländer nicht abzuschrecken – selbst hält man hier nicht so viel davon … nun, kein Kunststück auf einer 1400-Einwohner-Insel ohne Kontakt zum Rest der Welt, auf der es keinen einzigen (!) Infizierten gab oder gibt, die Sache entspannt zu sehen. Einmal am Tag fährt der Inselpolizist seine Runde und wird vorher per Telefonkette angekündigt, so dass alle schnell ihre Masken aufsetzen können, ihm freundlich zuwinken – und danach die Angelegenheit wieder bis zum kommenden Tag vergessen können. Es würde uns nicht wundern, wenn man mit dem richtigen Klopfzeichen an der Hintertür abends auch Einlass in der Taverne findet …

Inzwischen haben wir auch Gesellschaft bekommen, die österreichische Yacht ‘Vitamine’ ankert neben uns, und da sich – schon wieder ganz anders als im Frühjahr vor Sant Antoni – wirklich kein Mensch dafür interessiert, was die Segler so untereinander treiben, können wir das eine oder andere Glas Wein zusammen trinken und Seemannsgarn spinnen 🙂

Am 16. November, nach genau einer Woche vor Analipsi, entscheiden wir uns, mal wieder für eine Nacht in den kaum drei Seemeilen entfernten Hafen zu fahren, denn wir müssen Trinkwasser bunkern. Dort erwartet uns eine Überrschung: wir haben die Leinen noch nicht fest, und der Motor läuft noch, als zwei Uniformierte in heller Aufregung auf uns zulaufen und erklären, wir müssten sofort wieder ablegen! Es stellt sich heraus, dass diese nichts davon wussten, dass wir schon seit 14 Tagen auf der Insel sind und dachten, wir kämen von anderswo und hätten womöglich Viren an Bord. Ein Gespräch mit dem Vorgesetzten am nächsten Morgen bringt endgültig Rechtssicherheit: es bleibt dabei, wir dürfen kommen und gehen wie wir wollen, solange wir nicht zwischendurch andere Inseln anlaufen. Mit Regeln, die in einem Sinnzusammenhang mit der Virusausbreitung stehen, können wir ja gut leben, also ist wieder alles gut, und wir wollen auch gleich wieder auslaufen, da die kommende Nacht ausnahmsweise mal schwach windig werden soll und wir so zur Abwechslung eine kleinere Ankerbucht besuchen können.

Ormos Lanta / Kounoupoi

Wir segeln zur kleinen Insel Kounoupoi ganz im Südosten des Astypalaia-Archipels; diese bietet zwei wunderschöne Ankerbuchten, offen nach Osten und Westen, getrennt nur von einem Kiesstrand. Wir entscheiden uns für die westliche Bucht, Ormos Lanta, und ankern auf 5 m Tiefe in perfekt klarem Wasser. Die Insel ist unbewohnt, wir teilen sie nur mit einigen Ziegen; da diese keine Masken tragen, nutzen auch wir die Gelegenheit für eine Wanderung ohne Ausgangserlaubnis und erfrischen uns anschließend mit einem Sprung ins immer noch 23 Grad warme Wasser. Dabei zeigt sich, dass der Anker auf dem recht felsigen Grund nicht gut eingegraben ist; gleich daneben liegt jedoch ein großer Betonklotz von einer alten Muring in viereinhalb Metern Tiefe auf dem Boden, eben einen langen Festmacher durch die eingegossene Kette gefädelt, und schon liegt die ‘Orion’ sicher für die Nacht.

Sonnenuntergang vor Astypalaia

Der Abend ist wundervoll, und wir bekommen endlich mal wieder uneingeschränkte Sicht auf den Sonnenuntergang; nur eine kleine Mondsichel erhellt den vollkommen wolkenlosen Himmel, so dass Millionen von Sternen funkeln und die Milchstraße so hell leuchtet, dass man in ihrem Schein lesen zu können meint. Ein kleiner Abstecher, der sich unbedingt gelohnt hat!

Mittwoch müssen wir dennoch wieder zurück nach Analipsi segeln, der Nordwind soll im Laufe des Tages wieder zulegen und dann den Rest der Woche mit den üblichen 6 Beaufort wehen, da wollen wir doch lieber in der geräumigeren Ankerbucht liegen.

So kommt es dann auch – und als Zulage gibt es in der Nacht von Donnerstag auf Freitag noch schwere Gewitter, die sich über mehrere Stunden genau über dem östlichen Flügel der Insel austoben, also ganz in unserer Nähe. Wenn auch das persönliche Risiko bei Blitzschlag im Inneren eines Stahl- (oder allgemein Metall-)bootes denkbar gering ist, so bedeutet ein Volltreffer dennoch den Totalausfall praktisch sämtlicher Elektronik an Bord – alles andere als eine angenehme Vorstellung, hier Ersatz zu beschaffen wäre fast unmöglich. Aber die ‘Orion’ bleibt verschont, das Gewitter fordert keine weiteren Opfer als den Schlaf dieser Nacht.

Zum Wochenende wird es wieder sonnig, und wir verbringen angenehme Tage vor Anker – etwas langweilig wird es so langsam aber doch auch … zur ‘Abwechslung’ fahren wir am Montag mal wieder für eine Nacht in den Inselhafen, um die Batterien zu laden – wenn es schon kostenlos Strom gibt, muss man ja nicht den Generator bemühen. Das Anlegemanöver (rückwärts mit Buganker) wird schon zur Routine, ebenso die Begrüßung durch die schottischen Nachbarn, die seit Beginn des Lockdowns im Hafen ausharren.

Dienstag setzt wieder Nordwind ein, und wir segeln zurück zum Ankerplatz nach Analipsi, wo wir die nächsten zwei Tage bei 6 Windstärken und Sonnenschein die Zeit totschlagen.

Bei herrlichem Wetter runden wir die Südostspitze Astypalaias

Zum nächsten Wochenende – dem dritten des Lockdowns – kommt dann die Nachricht, dass dieser um mindestens eine Woche verlängert wird; nun, wir sind nicht wirklich überrascht. Da außerdem Südwind angekündigt ist – ein absolutes Novum nach vier Wochen Nord – beschließen wir, die ganze Insel zu umrunden und eine Ankerbucht auf der anderen Seite aufzusuchen – die ‘Vitamine’ ankert dort schon seit ein paar Tagen und vermeldet, dass sich der Ausflug lohnt. Unglaubliche 19 Seemeilen legen wir am Freitag zurück – und bekommen auch noch mehr Abwechslung, als uns lieb ist: auf Amwindkurs reißt das Fall des Code Zero, und das Segel landet im Wasser – nicht zum ersten Mal, aber Ende Mai auf den Balearen war es noch die Umlenkrolle, die aufgegeben hat, nun hat sich das statt dessen über einen Schäkel geführte Fall selbst durchgescheuert.

Die fast völlig abgeschlossene Bucht Vathy (die Zufahrt hinten links im Bild)

Mit tropfnassen 60 Quadratmetern Segeltuch an Deck erreichen wir am Nachmittag die Bucht Vathy. Diese misst in Ost-West-Richtung etwa eine Seemeile, in Nord-Süd-Richtung etwa ein Viertel davon, und ist vollkommen von Bergen umschlossen – bis auf eine schlauchartige Öffnung, die man gerade mit einem Kielboot passieren kann. Schwere See gibt es hier nicht, egal was draußen los ist, und die ganze Bucht hat durchgängig brauchbare Wassertiefen zum Ankern – ein Traum! Einzig die Versorgungslage lässt zu wünschen übrig, der gleichnamige Ort zählt stolze 11 Einwohner, und der nächste Supermarkt ist der uns gut bekannte Laden in Analipsi, nun aber 12 Kilometer und 300 Höhenmeter entfernt – pro Weg, versteht sich.

Der Ort Vathy in seiner ganzen Ausdehnung

Aber erst mal sind wir gut versorgt, und am Samstag ist herrliches Wetter und endlich auch mal nicht so viel Wind – die beste Gelegenheit für eine ausgedehnte Wanderung durch die Berge. Die Lockdown-Regeln geben so ausgedehnte Ausflüge zwar nicht unbedingt her, aber wenn diese in Analipsi schon nicht so ernst genommen wurden, dann hier erst recht nicht – die Anfahrt für den Dorfpolizisten führt schließlich auch über die gleiche Schotterpiste, die wir zum Supermarkt laufen müssten, und das tut er doch nicht grundlos seinem schönen Auto an …

Nach dem Passieren der wenigen Häuser befinden wir uns auch bald mitten in der Wildnis; der Feldweg endet an einer kleinen Kirche, und danach bahnen wir uns unseren Weg durch quadratkilometerweise Ziegenland – absolut nichts deutet darauf hin, dass hier schon einmal Menschen waren, es gibt auch keine Andeutung von Pfaden. Das Vorwärtskommen ist entsprechend mühsam, aber die traumhaften Aussichten über die felsige Landschaft und das glitzernde Meer sowie die sommerliche Wärme belohnen uns reichlich – ein wirklich schöner Tag!

Kein Haus, kein Weg – aber jede Menge Ziegen!

 

Die Reste der frühzeitlichen Befestigungen

Auch am Sonntagmorgen lässt sich die Sonne noch blicken, und wir können die Halbinsel direkt hinter unserem Ankerplatz erkunden; hier hat man Relikte alter Besiedelung ausgegraben, man erkennt gut die Reste einer imposanten Befestigungsanlage, außerdem hat man Gräber freigelegt. Laut Internetrecherchen datiert man diese auf das späte vierte bis frühe dritte Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung, also in den Übergang von der Jungsteinezeit zur Bronzezeit – faszinierend, welche Aktivitäten die Menschen hier schon vor so langer Zeit entfaltet haben, und welch weitreichende Handelsverbindungen es bereits gab, wie man aus den Funden weiß.

Unsere Ankerbucht

Am Sonntagnachmittag setzt dann der erwartete Südwind ein – und bringt Regen mit sich. Wir warten unter Deck auf die Wiederkehr der Sonne …

Die lässt selbst am übernächsten Tag noch auf sich warten, aber der Wind hat auf Nord zurückgedreht, und das nutzen wir, um zurück in den Hafen auf der Südseite der Insel zu segeln – die Batterien haben mal wieder eine Aufladung nötig, und der Kühlschrank ist auch recht leer. Immer noch drohen Schauer, und recht kühl ist es mit 16° auch, so dass wir tatsächlich in den Tiefen der Schränke nach der Ölzeugjacke suchen – in der Kombination mit der Badehose als ‘Mittelmeer-Ölzeug’ getragen passt das ganz gut zum Wetter.

An der Südwestseite Astypalaias kreuzen wir unseren Kurs vom 1. November

Die Jacke bleibt aber trocken, und auf der Höhe der Südwestseite der Insel kommt auch die Sonne raus – wir haben die etwas längere Route gegen den Uhrzeigersinn gewählt, um nach genau einem Monat die Umrundung von Astypalaia abzuschließen. Nach 25 Seemeilen (das letzte Stück aufgekreuzt) erreichen wir den Hafen und legen an unserem Stammplatz an, wobei die Nachbarin vom schottischen Boot die Leinen entgegennimmt – alles wie immer …

Die nächsten Tage bleiben wir erst mal hier, erledigen die Einkäufe, waschen per Hand ein paar Sachen durch – und warten gespannt auf Nachrichten von der weiteren Entwicklung. Die kommen am Donnerstag – natürlich gibt es die nächste Lockdown-Verlängerung 🙁 Auf Astypalaia ist es ja richtig nett, aber so langsam bereitet uns die Wetterentwicklung Sorge, nach der stabilen Nordlage im November kündigen sich jetzt immer mehr Südstürme an, und die sind hier deutlich gefährlicher als die Windstärke-7-Schönwetter-Meltemis.

Dennoch verlassen die Nachbarn von der ‘Unda’ den Hafen – sie haben von der Port Police auf Kreta eine Sondererlaubnis zum Einlaufen bekommen (wohl wegen irgendwelcher Passangelegenheiten – mit Corona und Brexit ist man aber auch wirklich doppelt gestraft), und auf den 90 Seemeilen dahin gibt es eh keine Zwischenstopps. Wir aber müssen wohl weiter ausharren und dabei nervös die Wettervorhersagen studieren …

Astypalaia im Adventsschmuck

Unterdessen ist den ganzen Tag das Dorfverschönerungskomitee tätig und schmückt die Uferpromenade und die Kaianlage mit weihnachtlichem Lichterschmuck (unter den Augen der Port Police ohne Masken zu tragen; na ja, wofür auch auf unserer nach wie vor coronafreien Insel). Das passt zwar nicht so ganz zur Witterung – mit dem Scirocco steigen die Temperaturen wieder über 20 Grad – aber wir freuen uns über das beachtliche Engagement in dieser winzigen Gemeinde!

In der Nacht zum Freitag bekommen wir einen ersten Vorgeschmack auf die Verhältnisse im Hafen bei Südwind: draußen haben sich etwa anderthalb Meter Schwell aufgebaut, und im Hafenbecken wird es ganz schön kabbelig – und das bei einer Windgeschwindigkeit von gerade mal 20 Knoten …

Blick über die Chora und den Hafen; in der Bildmitte winzig klein liegt die ‘Orion’

Zwei Tage später haben sich die Wolken zusammen mit dem Wind weitgehend verzogen, es weht nur noch eine laue Brise aus Südost; für uns eine Gelegenheit, die erlaubte ‘Sportliche Betätigung im Freien’ mal etwas auszudehnen und eine ganztägige Wanderung über die Insel zu unternehmen. Wir erklimmen zunächst die Bergflanke über dem Hafen und erhalten von dort die ersten tollen Ausblicke über die Chora; die asphaltierte Straße geht wenige Meter nach den letzten Häusern in eine Schotterpiste über, und dabei bleibt es dann auch. Die Masken wandern in die Hosentasche, wir sehen in den nächsten Stunden keine Handvoll Menschen. Das Wetter ist für unsere Vorstellung dieser Jahreszeit – wir schreiben den 5. Dezember – unbeschreiblich: die vom tiefblauen Himmel strahlende Sonne hat noch ordentlich Kraft, der sanfte Wind ist bei Lufttemperaturen deutlich über 20 Grad mehr als willkommen, denn der Schweiß fließt in Strömen, während wir höher und höher in das gebirgige Innere der Insel vordringen. Feinstes T-Shirt-Wetter – wäre es noch wärmer, würde Bergwandern keinen Spaß mehr machen, so ist es perfekt.

Blick nach Osten über Astypalaia; gut zu erkennen die schmale Inselmitte mit den großen Buchten nach Norden und Süden; rechts der Mitte Analipsi, links hinten Vathi

 

Warum wohl Blau und Weiß die griechischen Farben sind ….

Auch unser Weg ist es: wir bauen langsam und beständig etwa 300 Höhenmeter auf und können dann kilometerweit auf dieser Höhe laufen und die Aussicht genießen. Im Laufe der Wanderung kommen praktisch alle Seiten der äußerst verzweigten Küste mal ins Blickfeld; die Fernsicht ist hervorragend, wir können deutlich im Osten das türkische Festland und im Süden als Andeutung am Horizont sogar die weit entfernte (aber auch sehr hohe) Insel Kreta erkennen. Eigentlich wollten wir nach einigen Kilometern umkehren, aber es gefällt uns so gut, dass wir spontan beschließen, eine große Runde zu gehen, die uns bis in die fast 500 Meter hohen Felsenkämme an der Westküste führt. Die Luft duftet stellenweise so intensiv nach Thymian und Salbei, dass man sich wie mitten in einem Kräutergarten fühlt – ein Traum!

Frühling im Dezember

Am höchsten Punkt unserer Wanderung überwinden wir einen Bergkamm aus steil aufragenden Felsen an einem kleinen Sattel; direkt dahinter finden wir eine hübsche Kapelle über einer sonnenbeschienenen und feuchteren Südwestflanke, auf der unzählige Krokusse blühen – wir fühlen uns in jeder Hinsicht ins Frühjahr versetzt.

Als wir nach knapp 20 Kilometern und 6 Stunden wieder an Bord sind, können wir gar nicht aufhören uns über einen sehr schönen Tag zu freuen – wären nicht die unheilverkündenden Wettervorhersagen, könnte es uns kaum besser gehen als im Lockdown auf Astypalaia

Am Nikolaustag verlassen wir den Hafen wieder, da für den nächsten Tag mal wieder Starkwind aus Süd angekündigt ist; bei (noch) herrlichem Wetter runden wir erneut die Ostseite der Insel und steuern die Bucht Vathi an, die wir ja schon in der Woche zuvor kennengelernt hatten.

Die Kaltfront mit Starkregen und Gewitter ist aber bei weitem nicht das Schlimmste, was der Montag bringt: es wird die Meldung verbreitet, dass das Verbot für Reisen innerhalb Griechenlands bis zum  7. Januar verlängert wird! Und das, während die Wettervorhersagen immer nur mehr Wind und noch mehr Wind vermelden … so langsam fangen wir an, die Situation als wirklich kritisch zu empfinden – und an Absurdität nicht zu überbieten: die ‘Schutzmaßnahmen’ bringen in einem Gebiet, in dem es überhaupt keine Infizierten gibt, die Gesunden in Lebensgefahr …

Inselspaziergang

Mittwoch ist zur Abwechslung mal wieder ein Schönwettertag mit mäßigem Wind, was wir für einen Landgang nutzen; wir setzen mit dem Dinghi zur Südseite unserer Bucht über und versuchen, von dort einen kürzeren Weg zur Inselmitte zu finden, was uns auch gelingt; so langsam lernen wir wirklich die ganze Insel kennen (die außerhalb der Besiedlungsachse ChoraAnalipsi wirklich praktisch menschenleer ist, von den 11 Einwohnern Vathis abgesehen). Schön ist es hier auch, und nach dem häufigeren Regen der letzten Wochen sprießt sogar überall frischen Grün!

Zum Wochenende wird es wieder regnerischer, erst am Montag dreht der Wind endlich wieder auf Nord – wir wissen ja inzwischen, das bringt beständigeres Wetter! Windiges aber auch – und da es diesmal praktisch keine Lücke mit nutzbarem Wind zwischen Starkwind aus Süd und Starkwind aus Nord gibt, bleiben wir erst mal in Vathi, um feststellen zu können, dass auch der Nordschutz dort sehr gut ist. Somit ist es vor Anker in der Bucht aber auch schwer, die Bedingungen draußen zu beurteilen: am Mittwoch nämlich beschließen wir, wieder die Reise um die Insel anzutreten, da ‘nur’ noch gut 20 Knoten Nordwind angesagt sind. Kaum stecken wie die Nase aus der Einfahrt zur Bucht, zeigt das Anemometer eher 30 Knoten – wahrer Wind, nicht scheinbarer. Und die ersten drei Seemeilen müssen wir nach Norden gegenan …

Angesichts der überschaubaren Distanz beschließen wir trotz der beeindruckenden Wellen, mal ein wenig zu experimentieren, wie man denn ernsthaft bei Windstärke 7 Strecke gegen den Wind machen kann; wir untersuchen drei Möglichkeiten:

    • mit viel Segelfläche: das geht erstaunlich gut – entgegen unserer Erwartung stoppen uns die Wellen keineswegs auf, sondern wir machen bei einem Winkel von 60 Grad zum wahren Wind fast 6 Knoten über Grund. Das hat allerdings seinen Preis: die ‘Orion’ liegt mit 30 bis 40 Grad auf der Seite (wiederum gemessen, nicht gefühlt – darüber reden wir nicht …), und die durchaus mal 4 Meter messenden Wellen gehen massiv übers gesamte Vorschiff, am Steuerrad kommen die von der Sprayhood abgelenkten Wassermassen dann herunter …
    • mit wenig Segelfläche: das geht erstaunlich schlecht – nur mit Kuttersegel reduziert sich zwar die Lage des Bootes und die Wasserbelastung des Steuermanns drastisch, die Fahrt aber auch, bei gleichem Windwinkel sind kaum noch drei Knoten herauszuholen.
    • unter Maschine gegenan; katastrophal. Gerade mit unserer arg klein bemessenen Schraube bringt der Motor die Kraft nicht aufs Wasser, man hört am Geräusch dass wir nur die See schaumig schlagen; mehr Drehzahl bringt nur mehr Schaum. Die ‘Orion’ stampft sich mit kaum anderthalb Knoten fest.

Unser Fazit: das Boot kann das verdammt gut, wenn man es entsprechend segelt. Die Crew allerdings braucht definitiv keine 7 Windstärken und dazugehörigen Wellen – die Vorstellung, so statt einer halben Stunde einen ganzen Tag (oder länger) am Steuer zu stehen, ist äußerst abschreckend (von kälterem Wasser als 19 Grad wollen wir mal gar nicht anfangen). Wir müssen wohl doch eingestehen, eher Schönwettersegler zu sein 🙂

Nach dem Runden der Inselspitze sind wir entsprechend froh, abfallen zu können und legen den Rest der Strecke zügig und ohne besondere Vorkommnisse zurück; hinter dem Südostende Astypalaias kommen wir in die Wellenabdeckung, der Wind schafft es aber ganz gut über die Insel: auf Halbwindkurs mit Windstärke 6 und glattem Wasser, ein Traum!

Am Donnerstag bekommen wir Bescheid von der Küstenwache aus Kalamata, wo wir angefragt hatten, ob wir denn unter Umständen dort auch vorzeitig eingelassen würden; nein, keine Chance; und die Tatsache, dass wir seit 7 Wochen vor einer vollkommen virenfreien Insel ankern und somit wohl die uninfektiösesten Menschen Europas sind, spielt dabei auch keine Rolle (wie es ja bei Sachargumenten immer der Fall zu sein scheint, wenn es um Corona geht). Nun ja … die (übrigens ganz ausgesprochen netten und hilfsbereiten!) Kollegen von der lokalen Küstenwache  können daran auch mit ausgedehnten Telefongesprächen nichts ändern, also bleiben wir hier, egal was kommt und wie lange es dauert – vom Problem des Südsturmrisikos mal abgesehen können wir damit ja auch gut leben.

Wir bleiben zwei Nächte im Hafen, am Freitag fahren wir wieder rüber nach Analipsi, um dort zu ankern; der Samstag bringt sonniges Wetter, Sonntag ist es etwas trüber, aber Montag setzt wieder stärkerer Nordwind ein, welcher die Wolken wegpustet.

Nur eine schmale Landbrücke verbindet die beiden Inselhälften

Wir unternehmen eine Wanderung über die Inselmitte zum neueren Fähranleger auf der Nordseite und staunen dabei, wie schmal die Verbindung der beiden Inselhälften tatsächlich ist – viel mehr als eine Straße passt da wirklich nicht drauf! Gäbe es eine Klappbrücke nach holländischem Vorbild, könnte das die Zeit für einen wetterbedingten Wechsel der Inselseite drastisch verkürzen 🙂

Agios Andreas, der neue Fährhafen, hat auf seiner Innsenseite auch Platz für ein paar kleine Boote; mehrere Fischer liegen dort, aber für ein Segelboot wäre gerade noch Platz – für einen möglichen Sturm aus Süd der beste Platz, den wir bislang ausfindig machen konnten. Die Frage, ob man dort denn auch Schutz suchen dürfe, hat übrigens bei der Coast Guard mal wieder Erstaunen ausgelöst: dafür sei ein Hafen doch schließlich da … an unserer deutschen Erwartungshaltung, alles im Zweifelsfall erst mal für verboten zu halten und nur im Ausnahmefall für erlaubt, müssen wir hier doch noch arbeiten, denn in Griechenland ist es eher umgekehrt!

Die ‘Hauptstadt’ der Insel voraus – T-Shirt-Segeln an Heiligabend

Am Morgen des 24. verlassen wir den Ankerplatz und fahren zurück in den Inselhafen – zum Plätzchenbacken und für die Zubereitung eines opulenten Weihnachtsmenüs lockt der Landstromanschluss 🙂 Das Wetter ist hinreißend: die Luft durchaus kühl, so dass es sich nicht völlig unwinterlich anfühlt, aber die vom unendlich weiten und tiefblauen Himmel strahlende Sonne wärmt so, dass man bequem im T-Shirt segeln kann.

Kaum im Hafen angekommen, knattert ein uns unbekannter Mann auf seinem betagten Moped heran und reicht uns eine Tüte mit selbstgepflückten Orangen und hausgemachtem Gebäck herüber – from the family of my cousin … nun, das engt die Urheberschaft nicht wirklich ein, den jeder Inselbewohner ist Cousin oder Cousine werweißwievielten Grades eines Großteils der jeweils anderen 🙂 Jedenfalls sind wir wirklich ergriffen: wo bekommt man schon Weihnachtsgeschenke von Fremden? Jemandem muss das Schicksal der fern der Heimat gestrandeten Segler wohl zu Herzen gegangen sein! Wir sind einmal mehr aufrichtig beeindruckt davon, mit wieviel Freundlichkeit und Menschlichkeit man uns hier begegnet – in kaum drei Monaten haben die Griechen im Allgemeinen und die Menschen auf Astypalaia im Besonderen unsere Herzen erobert – so vermissen wir zwar unsere Freunde in der Heimat, können uns aber auch auf schöne Weihnachtstage auf unserer Insel am Ende der Welt freuen, die in vielerlei Hinsicht deren wahre Mitte ist …

Schönstes Ausflugswetter am zweiten Weihnachtstag

Den ersten Weihnachtstag verbringen wir hauptsächlich mit Kochen und Backen, am zweiten Weihnachtstag (der zugleich der 50. Tag des Lockdowns ist …) dagegen steht ein sportlicheres Programm an, denn es herrliches Ausflugswetter: bei gut 20 Grad und Sonnenschein wir wandern zur 8 Kilometer entfernten Bucht Vatses, um die Höhe Spilaio Negrou zu erkunden; nach Überwindung von gut 200 Höhenmetern am Strand von Vatses angekommen, müssen wir feststellen, dass sich der Eingang zur Höhle etwa 150 Meter über unseren Köpfen in der Felswand befindet – also gleich wieder steil bergan, und diesmal völlig ohne Weg und Pfad; ohne GPS-Koordinaten (36.516160°N, 26.315150°E) hätten wir den Eingang niemals gefunden …

Hoch überm Strand von Vatses liegt der Eingang zur Tropfsteinhöhle

Der Lohn der Mühe: nach den ersten paar Metern, die man sich gerade eben durch die Felsen quetschen kann, öffnet sich die Höhle und verzweigt in mehrere Richtungen; große Räume mit zahlreichen, farbenprächtigen Stalagtiten tun sich auf. Man kann ziemlich tief in den Berg hinein, die Luft wird dabei immer wärmer und feuchter. Ein großes Abenteuer jedenfalls, soll hier doch ein Piratenschatz versteckt liegen!

Weihnachtlicher Lichterschmuck in der Chora

Leider ohne Schatz geht es dann den Steilhang wieder herunter bis zum Strand, nur um dann die gleichen Höhenmeter auf dem Rückweg wieder hochzusteigen – der direkte Weg auf gleicher Höhe ist höchstens für Freiwandkletterer gangbar, so schroff ist das Gelände. Nach fast sieben Stunden erreichen wir wieder die ‘Orion’, die brav im Hafen gewartet hat. Es ist schon nach Sonnenuntergang, und so können wir uns noch am stimmungsvollen Lichterschmuck in der Chora erfreuen – also, wir können Weihnachten auf Astypalaia durchaus weiterempfehlen 🙂

Am Sonntag ist es nach tagelangem Schönwetter wieder unfreundlicher; vor allem erschwert uns der kräftige Südostwind das Leben, der die Gischt über die Hafenmole fliegen lässt und für beträchtlichen Schwell im Hafenbecken sorgt; die schweren, stählernen Ruckdämpfer (die Gummivariante hat schon vor gut einem Jahr in Spanien ihr Leben ausgehaucht) bekommen gut zu tun – und sind auch absolut unverzichtbar. Man versteht auch die Vorzüge der mediterranen Anlegemethode mit Buganker und Heckleinen: lägen wir Längsseits an der Pier, gäbe es garantiert Bruch, gegen die Berg- und Talfahrt wäre Abfendern unmöglich. So sind die Heckleinen mit den Stahlfedern auf 5 Meter herausgelassen, und 40 Meter Ankerkette halten das Boot auf sicherem Abstand zum Land. Entspannt geht aber dennoch anders – bei Südwind taugt der Hafen einfach nichts, und es sind gerade mal 6 bis 7 Windstärken; nicht auszudenken, wie es hier bei Sturm sein wird …

Am Wasserspeicher von Astypalaia

Auch am vorletzten Tag des Jahres unternehmen wir nochmal eine Wanderung, diesmal zu dem kleinen Stausee, welcher die Insel mit Wasser versorgt. Kein spektakuläres Gewässer, aber uns wird bewusst, dass wir seit einer kleinen Ewigkeit nicht mehr so viel  Süßwasser auf einmal gesehen haben. Am Ufer finden wir einen lauschigen Rastplatz unter Laubbäumen, die im Wind rauschen – fast wie Zuhause 🙂

Silvester schließlich verlassen wir nach einer Woche Aufenthalt mal wieder den Hafen – das neue Jahr wollen wir vor Analipsi begrüßen, irgendwie ist uns dieser Ort doch ans Herz gewachsen! Dort verbringen wir die Nacht und den Neujahrstag am Pier des kleinen Fischerhafens – in aller Ruhe, da in Griechenland Feuerwerk zum Jahreswechsel nicht üblich ist (jedenfalls nicht am Ende der Welt).

Der Silvesterabend ist mild, wir können bis Mitternacht im Cockpit sitzen und auf ein Jahr zurückblicken, in welchem wir häufiger am Segeln gehindert waren, als dies möglich war; dennoch haben wir in den 5 nutzbaren Monaten immerhin gut 2.400 Seemeilen zurückgelegt und Griechenland erreicht – was sich nun wirklich gelohnt hat! 🙂

Für Montag den 4. ist schon wieder Starkwind angesagt – aus Südsüdost, was sonst; wir probieren mal was Neues und verholen uns in die Bucht Agrilidi – ja genau, hier waren wir vor 2 Monaten schon einmal. 45 Meter Ankerkette auf 5 Meter Wassertiefe sollten genügen, aber beeindruckend ist es schon, was für Wellen draußen vorbeirollen!

Die Nacht zum Dienstag wird recht unruhig: zwar hält der Anker, aber nachdem kurz nach Mitternacht die Front durchgezogen ist, dreht der Wind innerhalb von Minuten um 120 Grad auf West – die ‘Orion’ folgt brav und liegt damit nun quer zu den Wellen, die noch für mehrere Stunden von Süden in die Bucht laufen … kein Vergnügen, soviel sei gesagt!

Entsprechend übernächtigt hängen wir den folgenden Tag noch in Agrilidi ab, bevor wir am Mittwoch mal wieder für ein paar Tage in den Hafen übersetzen, um neue Elektronen in die Batterien und Lebensmittel in den Kühlschrank zu bekommen.

Dort ist es wie immer angenehm, die Sonne scheint, wir können Wäsche waschen und täglich frisches Brot kaufen; lange hält die Freude aber nicht an, denn schon am Wochenende setzt wieder der elende Südost ein. Für Dienstag den 12. sind 30 bis 40 Knoten angesagt, und am Ende wieder mit Drehung auf West – uns fällt kein anderer Ort als die große Bucht Vathi ein, wo man das heil überstehen kann. Da wir aber gar keine Lust haben, schon wieder um die Insel zu gurken, greifen wir frohen Mutes den Hinweis der ‘Vitamine’ auf, es gäbe auf der Ostseite der Insel Kounoupoi (ja, auf deren Westseite waren wir auch schon mal …) mehrere stabile Muringbojen, die man verwenden könne – dass der Ort grundsätzlich gut geschützt ist war uns wohl bekannt, aber wir hatten ihn wegen ungeeigneten Ankergrundes (riesige Steinplatten …) verworfen. So kreuzen wir also Sonntagmorgen gegen den zulegenden Südostwind auf, um Kounoupoi in Augenschein zu nehmen. Nördlich der Insel dann das erste Malheur des Tages: aus dem Nichts erwischt uns beim Verlassen der Windabdeckung eine Fallbö und legt uns 45° auf die Backe – an sich nicht weiter schlimm, der Stabilitätsumfang der ‘Orion’ fängt da ja gerade mal richtig an; der Aufschlag aufs Wasser ist aber so heftig, dass es eine Relingstütze abknickt und das Relingkleid komplett von den Drähten fetzt. Entsprechend bedient sind wir auch, als wir kurz darauf an der sehr solide aussehenden Leine der Muringboje festmachen können. Doch jetzt fängt der Spaß erst richtig an: die Leine mag zwar gut aussehen, aber das unten daran hängende Betongewicht schleifen wir langsam aber sicher über den Grund – und das bei kaum mehr als 5 Windstärken! Bei der Vorhersage für die nächsten Tage brechen wir also gleich wieder auf, um doch noch nach Vathi zu fahren – nun wenigstens mit Rückenwind, aber immer mehr zulegender Windstärke und Wellenhöhe. Als wir zweieinhalb Stunden später – wieder kurz vorm Ziel – das Vorsegel einrollen wollen, fährt eine Bö mit gepflegten 30 Knoten ins Tuch; die Luvschot beginnt wie wild zu schlagen – und mäht prompt einen der Doradelüfter auf dem Vordeck ab. Wir ankern beim letzten Tageslicht, aber weil das immer noch nicht genügte, hält der Anker nicht, und wir dürfen ihn ein paar Stunden später in finsterster Nacht nochmal neu setzen.

Klar, es geht immer mal was schief, aber das Gefühl, ständig nur noch auf der Flucht vor dem nächsten Südsturm zu sein, während der sichere Platz in der Marina von Kalamata in (politisch bedingt) unerreichbarer Ferne auf uns wartet, ist schon ziemlich frustrierend!

Blick über den kargen, unbewohnten Norden der Insel

Drei Tage später fahren wir zurück in den Inselhafen – wir brauchen Zeit, Ruhe und Landstrom, um die Schäden der letzten Ausfahrt zu beseitigen. Zwischendurch unternehmen wir immer wieder mal Wanderungen in die Berge (obwohl wir die drei möglichen Zugangswege auch langsam kennen …) oder verholen uns bei Nordwind (der leider nur sehr kurze Zwischenspiele gibt) in die Ankerbucht von Analipsi. Wir lernen einen junggebliebenen Vorruheständler aus Deutschland kennen, der seit Jahren hier auf der Insel lebt, und uns viel über Land und Leute erzählen kann, was wir sehr gerne annehmen; nebenbei verbringen wir natürlich die eine oder andere kurzweilige Stunde miteinander 🙂

So nimmt uns der Charme Astypalias und seiner Bewohner immer mehr für die Insel ein, gleichzeitig reißen aber auch die Schwierigkeiten nicht ab: alle paar Tage droht das nächste Tief mit Sturm aus Süd. Für die Nacht vom 26. auf den 27. Januar sind dreieinhalb Meter Welle und Sturmböen bis Stärke 10 abgesagt; wir beschließen dennoch im Hafen zu bleiben, weil uns das nach monatelanger Auseinandersetzung mit dem Thema immer noch sinnvoller erscheint als die Alternativen, da Wind und Welle keinerlei Ostanteil aufweisen sollen (sonst wäre die Einschätzung eine völlig andere!). Dennoch verunsichert es uns ungemein, als am Nachmittag ein freundlicher Mitarbeiter der Coast Guard vorbeikommt und uns warnt, im Hafen könne es gefährlich werden – das sehen wir nicht anders, nur wo bitteschön ist es denn nicht gefährlich?!? Eine schlaflose Nacht später wissen wir, dass über zehntausende Seemeilen gesammelte Erfahrung doch auch etwas wert ist: der Schwell hielt sich in Grenzen, Anker und Leinen hatten keine Schwierigkeiten, das bockende Boot von allen Betonmauern fernzuhalten. Prima – aber in drei Tagen kommt das nächste Tief … Spaß macht das nicht.

Dieses bringt bis zu 9 Windstärken aus Südost – wir weichen daher in die Ankerbucht von Agrilidi aus, wo wir eine weitere schlaflose, aber sichere Nacht verbringen; im Eingangsbereich der Bucht brechen sich die Wellen so hoch, dass wir nicht mehr auf die See hinausschauen können … später zurück im Hafen sehen wir Bilder, wie die Wellen am Vortag die massive Hafenmole überspülten, als sei sie nur Spielzeug.

Zum Ende der ersten Februarwoche stellt sich aber erstmals im neuen Jahr ruhigeres Wetter ein: der Wind geht auf etwa 10 Knoten zurück, und die Sonne scheint vom wolkenlosen Himmel; richtig frühlingshaft ist es, die im Herbst noch so karge Insel erstrahlt in neuem Grün, überall bedecken Blumen die Berge. Wir unternehmen einen kleinen Auflug, segeln ‘einfach mal so’, ohne vor einem Sturm davonzulaufen … wir haben fast vergessen, wie das ist.

An den ‘Red Rocks’ der zerklüfteten Südküste

Wir steuern eine als ‘Red Rocks’ bekannte Stelle an der Südküste an, die im Sommer bei Ausflugsbooten beliebt ist; hier kann man unter günstigen Bedingungen mit dem Boot in einen Einschnitt mit senkrecht abfallenden Felswänden einfahren und längsseits festmachen, wir können das aber nicht ausprobieren, es steht einfach noch zu viel alter Schwell.

Ganz in der Nähe finden wir aber einen Ankerplatz für den Nachmittag; der Wind schläft weitestgehend ein, und in der Sonne wird es so heiß, dass wir gerne kopfüber ins kristallklare und mit knapp 20 Grad noch relativ frische Wasser springen, um uns abzukühlen. Gut gekühlter Weißwein passt hervorragend zur sommerlichen Stimmung, und dem ersten Abendessen vom Grill des neuen Jahres steht auch nichts mehr im Wege 🙂

Der perfekte Abschluss für einen schönen Segeltag

Kurz nach Sonnenuntergang lichten wir den Anker, um noch in den Hafen zurückzufahren; vor uns im Westen färbt sich der Himmel blutrot, bis sich nach einer Weile die Dunkelheit und die Sterne durchsetzen können. Die Lichter der Chora weisen uns den Weg, und wir freuen uns sehr, nach drei Monaten Lockdown mal wieder einen Tag nach unseren Vorstellungen gelebt zu haben!

Allzu lange hält das Wetterglück aber nicht vor: für den kommenden Montag sind schon wieder 7-8 Windstärken aus Südost angesagt …

Entsprechend wiederholt sich am Sonntagmittag mal wieder das Spiel der Vorwoche: gegen Mittag verlassen wir den Hafen uns segeln herüber nach Agrilidi; anders als beim letzten Mal brauchen wir allerdings vier Versuche, bis der Anker zufriedenstellen hält – das dauert, und gibt auch kein besonders Vertrauen für die Dinge, die da kommen … ensprechend wird die Nacht vor dem Sturm schlaflos, und die danach (Adrenalin …) ebenso.

Astypalaias ‘Sollbruchstelle’

Dienstag ist der Spuk vorbei, wir warten noch bis die Welle sich etwas gelegt hat und segeln am späten Nachmittag zurück in den Hafenort. Dabei wirft die tiefstehende Sonne ein besonders schönes Licht auf die steile Klippe eines Inselchens, bei der man sehr schön den messerscharfen Übergang der braun-brüchigen Gesteine, aus denen die westliche Inselhälfte besteht, in die hellgauen, festen Schichtgesteine, welche die östliche Inselhälfte dominieren, studieren kann – Anschauungsunterricht in Geologie im Vorbeisegeln 🙂

Am Sonntag den 14. Februar – dem einhundertsten Tag des Lockdowns – bekommen wir mal etwas Abwechslung: der nächste Sturm bringt Nordwind! Die Richtung passt uns ja deutlich besser, aber die Stärke kann sich sehen lassen: Sturmtief ‘Medea’ bringt Wind mit bis zu 60 Knoten – das sind 11 Windstärken bzw. ‘orkanartiger Sturm’. Die Wellenvorhersage gibt gut 7 Meter charakteristische Wellenhöhe an – das möchte man nicht auf See erleben! Nebenbei wird es saukalt – in Athen fällt ein halber Meter Schnee, Verkehr und Stromversorgung brechen zusammen; selbst hier fällt das Quecksilber auf frische 6 Grad, und es fallen ein paar Schneeflocken (oder besser gesagt, sie fliegen waagerecht an den Fenstern vorbei …). Wir suchen Schutz hinter der Pier von Analipsi und sind hier auch gut aufgehoben, während draußen die Welt untergeht – an Schlaf ist allerdings drei Tage lang kaum zu denken, so laut schreit der Wind im Rigg …

Ein unerwarteter Anblick auf der Pier: ein hübsches Schwein auf Erkundungstour

Nach Durchzug des Sturms herrscht für den Rest des Monats dann eher ein Wetter, wie es im November noch war: wieder wärmer, sehr viel Sonnenschein und abwechselnd kräftiger – aber nicht stürmischer – und in den Pausen schächerer Nordnordwest. Wir wechseln wieder wochenweise zwischen dem Inselhafen (zum Batterieladen und Einkaufen während der Schwachwindtage) und Analipsi, wo wir bei Starkwind aus Nord bestens an der Fischerpier liegen. Viel passieren tut dieser Tage nicht: wir bekommen mal unerwarteten Besuch, erfreuen uns einer halben Stunde Segelns bei den Überfahrten – und warten ansonsten sehnsüchtig auf Neuigkeiten bezüglich eines möglichen Endes des Lockdowns, aber bislang vergeblich …

Agios Nikolaos wacht über Agrilidi

Als ebenso vergeblich erweist sich unser Hoffen, das Winterwetter nun schon hinter uns zu haben – im März kehren die Südostwinde zurück, und wir müssen uns wieder regelmäßig in Agrilidi verstecken. Außerdem jährt sich am 12. März der Beginn des Lockdowns in Spanien: wir blicken mit wenig Begeisterung auf ein Jahr zurück, von dem wir gerade mal 4 Monate nutzen durften – ein gewaltiger Verlust von Lebenszeit, den alle Menschen erleiden, von dem aber niemand wirklich spricht …

Eine Woche später ist Tagundnachtgleiche, der astronomische Frühlingsanfang; das Wetter hat das aber nicht wirklich mitbekommen, es bleibt stark windig. Wenn allerdings gerade mal kein Wind weht und die Sonne vom wolkenlosen Himmel brennt, ist sofort Sommer – die Mittagshöhe beträgt gut 53°, so viel wie bei uns Anfang Mai; die Wassertemperatur verharrt bei etwa 19°C, tiefer wird sie wohl auch nicht mehr sinken.

Mit dem April kommt in Deutschland das Osterfest, hier dagegen müssen wir noch bis Anfang Mai auf den Osterhasen warten – die orthodoxe Kirche berechnet den Frühlingsanfang nach dem julianischen Kalender. Ansonsten schlagen wir die Zeit tot, wenn wir nicht gerade auf der Flucht vor dem nächsten Sturm sind (was alle paar Tage der Fall ist). Am Montag den 5. April probieren wir auf Anraten der Fischer für angekündigte 40 Knoten Südost einen neuen Ankerplatz auf der kleinen Insel Glyno aus – ja, es gibt tatsächliche noch Buchten, in denen wir noch nicht geankert haben 😉

Beängstigend: eine Bootslänge hinterm Heck beginnt die Brandungszone

Dieser erweist sich als gut geschützt, und der Anker hält auch – was er aber auch muss, denn wenige Meter hinter dem Heck peitscht die See das Wasser meterhoch gegen die Felsen. Beruhigend ist das nicht – und da es nur der Höhepunkt einer einwöchigen Phase mit Starkwind aus wechselnden Richtungen ist, sind wir vor Schlafmangel langsam am Ende.

Dennoch raffen wir uns am Mittwoch, als der Sturm durchgezogen ist, zu einem kleinen Spaziergang über die unbewohnte kleine Insel auf, die unseren Ankerplatz umschließt – um einmal mehr festzustellen, wie traumhaft schön unser Gefängnis ist!

Die Ruhe nach dem Sturm: ‘Orion’ in der Ankerbucht

So vergeht weiter Woche um Woche: es wird immer wärmer, bleibt aber stürmisch. Zu unserer Erbauung bemühen wir uns um die Zuteilung einer temporären griechischen Sozialversicherungsnummer – diese ist Voraussetzung zur Teilnahme am griechischen Impfprogramm. Nicht dass uns persönlich besonders viel an einer Impfung liegen würde, aber wir haben umgekehrt auch kein Problem damit, und wenn das nun die Voraussetzung sein soll, irgendwann mal weiterreisen zu dürfen …

Allerdings endet die ansonsten sensationelle Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der Griechen an der Schwelle des zuständigen Bürgerbüros – manche Dinge gleichen sich eben überall auf der Welt 😉 Man ist sich allerdings auch untereinander nicht ganz einig, ob unser Ansinnen nun gerechtfertigt oder unverschämt ist (immerhin rät uns die griechische Regierung, in ebendieser Amtsstube zu erscheinen) und führt eine zehnminütige, äußerst lautstarke Diskussion darüber quer durch den Raum – in dessen Mitte wir stehen und die Köpfe einziehen. Eine filmreife Situation …

Schließlich setzt sich die ‘Bürger-droht-mit-Arbeit’-Fraktion durch, und wir werden unverrichteter Dinge weggeschickt. Aber Astypalaia wäre nicht Astypalaia, wenn nicht jemand jemanden kennen würde, der den Bürgermeister kennt, welcher daraufhin mit dem preußisch-griechischen Staatsdiener ein dem Hörensagen nach mindestens ebenso lautstarkes Gespräch führt, und eine Woche später bekommen wir Nachricht, dass wir unsere Sozialversicherungsnummer abholen können – geht doch 🙂

Und es kommt sogar noch besser: da man offenbar wegen des etwas suboptimalen Auftritts im Bürgerbüro ein schlechtes Gewissen pflegt, wird uns in Rekordzeit ein Impftermin zugewiesen; das geht zwar im ersten Anlauf nochmal schief, weil die Sozialversicherungnummer noch nicht freigeschaltet war, aber zwei Tage später ist es dann soweit, am 24. April erhalten wir unsere erste Dosis Impfstoff (BioNTech) – und haben damit wohl immer noch alles in den Schatten gestellt, was in Deutschland in unserer Altersgruppe möglich gewesen wäre …

In der letzten Aprilwoche mehren sich die Anzeichen, dass Mitte Mai der Lockdown in Griechenland beendet werden wird – die Infektionszahlen sind zwar dreimal so hoch wie im Februar, als man dies kategorisch abgelehnt hat, aber was stört uns unser Geschwätz von gestern … wir wittern Morgenluft und treffen eine gewagte Entscheidung: wir wollen einen Ausflug machen! Gewagt, weil a) eigentlich ja Segeln nach wie vor verboten ist, wir b) keine Ahnung haben ob wir noch wissen wie das geht und c) ob nicht die Motten inzwischen das Großsegel aufgefressen haben 😉

Syrna voraus!

Ziel ist die 22 Seemeilen entfernte Insel Syrna – diese ist unbewohnt, so dass wir berechtigten Grund haben anzunehmen, dass der Gesetzesverstoß unentdeckt bleiben wird. Am Dienstag den 27. April sind die Bedingungen ideal, nach mehreren Tagen Nordwind der Stärke 7 bis 8 weht sich dieser langsam aus, und wir können bei schönstem Sonnenschein gute Fahrt machen und unser Ziel schon gegen 14 Uhr erreichen, so dass uns noch genug Zeit für eine Inselwanderung bleibt. Wir steuern eine ausgedehnte Bucht mit kobaltblauem Wasser an und machen an einer Muring fest, die dort für schutzsuchende Fischer installiert wurde – ein nützlicher Tipp, denn die Wassertiefe ist beträchtlich.

Etliche Ziegen gibt es, zwei Kapellen und die Reste kleiner Behausungen – unglaublich, dass hier bis vor einigen Jahrzehnten noch Menschen gelebt haben, die Insel ist äußerst karg und trocken. Es existieren keinerlei Pfade, wir müssen uns den Weg querfeldein über Stock und Stein bahnen; aber die völlige Ruhe und Abgeschiedenheit (keinerlei Mobilfunkempfang!) sowie das Gefühl, die einzigen Menschen im Umkreis dutzender Kilometer zu sein, sind schon ein Erlebnis. Und überhaupt, nach fast einem halben Jahr mal wieder irgendetwas zu unternehmen …

In der Nacht kommt neuer Wind aus Südost auf, so dass es leider etwas unruhig wird am Ankerplatz. Am nächsten Morgen bläst es unerwartet stark mit 7 Beaufort, was uns erst mal schnell zurück nach Astypalaia schiebt; nach einer Stunde ist es aber schlagartig vorbei damit, und den Rest des Rückwegs dümpeln wir eher mit flappenden Segeln in der alten See.

Das Spektakel beginnt!

Mit dem Mai kommt für uns nicht nur das Halbjahresinseljubiläum, sondern nun auch endlich das Osterfest; dieses stellt für die mehrheitlich orthodoxen Griechen das höchste kirchliche Fest und auch überhaupt den Höhepunkt des Jahres dar. So wie bei uns zum Jahreswechsel, wird hier die Nacht vom Samstag zum Sonntag mit einem großen Feuerwerk gefeiert; dem voran geht ein mehrstündiger Gottesdienst, zum dem allerdings heutzutage auch nicht mehr alle Gläubigen das nötige Sitzfleisch mitbringen. Umso größer ist aber die Anteilnahme am Feuerwerk: stundenlang fährt die Dorfjugend schon mit ihren Motorrädern Kreise um den Hafen und trifft Vorbereitungen, die Ungeduldigen zünden die ersten Böller (und was für welche: China-Import, in Deutschland garantiert verboten; die ganze Insel erzittert).

Nach einer Viertelstunde glüht der Himmel

Um Mitternacht ist es dann endlich soweit: am Hafen und auf allen Anhöhen werden bengalische Feuer entzündet, und die ersten Raketen steigen in den Himmel. Da absolut kein Wind weht, bleibt der ganze Rauch im Talkessel hängen, und der Himmel reflektiert die roten Feuer: Astypalaia leuchtet glutrot in der Nacht! Vom Vordeck aus haben wir einen Logenplatz, und die Temperaturen um Mitternacht ermöglichen immer noch, das Schauspiel im T-Shirt zu betrachten; vor sechs Monaten haben wir die Möglichkeit, zu Ostern immer noch auf der Insel festzuhängen, zwar noch als Scherz formuliert, aber nun müssen wir bei aller Frustration doch auch anerkennen, dass wir wohl einen der besten Orte getroffen haben, das griechische Osterfest zu erleben!

Einfach toll!

Nach etwa einer Viertelstunde geht den Feuerwerkern die Munition aus – wir lassen uns berichten, dass man früher dreimal so lange gefeiert hat, aber die wirtschaftliche Lage nach der letztjährigen Katastrophe in Verbindung mit den nicht unbedingt besseren Aussichten für’s laufende Jahr bewirken eben, dass kaum jemand Geld in der Tasche hat. Wer weiß, vielleicht war dies das letzte Feuerwerk für lange Zeit …

Übrigens soll nicht unerwähnt bleiben, dass hier nach wie vor eine nächtliche Ausgangssperre gilt – über der Polizeistation waren aber besonders viele hübsche Raketen zu bewundern 🙂

Ein ziemliches Ärgernis ist, dass uns wenige Tage darauf das Schlauchboot verlassen hat – die verklebten PVC-Säume fallen großflächig auseinander. Also schnell ein neues bestellt und nun hoffen wir, dass es noch rechtzeitig eintrifft.

Mitte Mai überschlagen sich dann förmlich die Ereignisse: zunächst lässt man ab dem 14. offiziell wieder die ersten Touristen ins Land einreisen (und prompt trifft noch am Wochenende eine dicke Charter-Hanse mir lautstarker, bajuwarischer Crew ein – wir sind nicht mehr allein!), dann bekommen wir am Samstag den 15. schon unser neues Schlauchboot geliefert und können unsere zweite Impfdosis und auch am folgenden Montagmorgen das begehrte Lebensberechtgigungszertifikat abholen! Etwas getrübt wird die Freude jedoch davon, dass wie die zweite Dosis deutlich schlechter vertragen und die folgenden Tage schwer angeschlagen sind: Fieber, Schüttelfrost, Kotzerei. Sonntag ist richtig (ja, auch gerne noch mit Ausrufungszeichen!) schlimm, Montag noch schlimm genug, und auch Dienstag ist an Ablegen noch nicht zu denken. Immerhin reicht es für einen Abschiedsbesuch bei unserem Freund in Livadi, und Mittwochmorgen verabschieden wir uns dann auch bei der netten Jungs von der Hellenic Coast Guard sowie bei unserem kugelrunden Hafenkater – der sicher schon bald andere Dosenöffner finden wird – und verlassen zum letzten Mal den Hafen von Astypalaia, nicht ohne im Gemeindehaus ein kleines Dankesschreiben an den Bürgermeister mit Geld für unseren Strom- und Wasserverbrauch zurückgelassen zu haben (kein Liegegeld für einen unfreiwilligen Aufenthalt zahlen zu müssen oder auf Kosten unserer Freunde zu leben sind doch noch zwei verschiedene Dinge, finden wir).

Astypalaia verabschiedet uns in strahlendsten Farben

Chora und Kastro präsentieren sich in schönstem Morgenlicht vor blauem Himmel, als wir gegen 10 Uhr ablegen; weit geht die Reise aber nicht, die üblichen 3 Seemeilen über die Bucht nach Maltezana, denn hier steht der zweite Teil der Abschiedsfeierlichkeiten an (und noch ein schnelles Update der Elektroinstallation einer Reihe Fremdenzimmer auf’s 21. Jahrhundert, aber das nur quasi im Vorübergehen ;-)).

Ganz schön schwer fällt es uns nun doch, nach fast 7 Monaten die Insel zu verlassen; so unnötig und unverhältnismäßig der ganze Lockdown auch war, so sind wir uns doch recht sicher, rein zufällig am noch erträglichsten Ort Europas in dieser schwer zu ertragenden Zeit gelandet zu sein – Ευχαριστώ πολύ, Αστυπάλαια!

 

Inselhopping in den Kykladen (15.10. – 06.11.)

Hinter uns bleibt Monemvasia zurück

Am Mittwochvormittag verbringen wir noch einige Stunden in Monemvasia, denn wir haben es nicht eilig: es weht ein kräftiger Südwest, und mit dem wollen wir in die Kykladen übersetzen, den in einem großen Kreis verstreut liegenden mehreren Dutzend Inseln und Inselchen mitten in der Ägäis. Die Entfernung zu den nächstgelegenen Zielen beträgt 70 bis 80 Seemeilen, zu viel also, um sie innerhalb der inzwischen schon recht zusammengeschrumpften Tagstunden zurückzulegen, eine Nachtfahrt ist also unumgänglich; umgekehrt ist die Entfernung dafür recht gering, daher wollen wir also nicht so früh los, um nicht vor Tagesanbruch anzukommen – denken wir.

Die ersten 8 Stunden der Reise verlaufen auch der Planung und der Wettervorhersage entsprechend: es weht im Mittel mit 5 bis 6 Windstärken, in Böen auch mal mit 7, und mit zunehmendem Abstand zur Peloponnes baut sich ensprechend mehr Welle auf. Bei strahlendem Sonnenschein beste Bedingungen für die ‘Orion’: die Windfahne übernimmt das Ruder, und nur unter Klüver machen wir noch 4 bis 5 Knoten. Natürlich wäre mehr drin, aber warum sich die Mühe machen das Großsegel zu setzen, es reicht ja auch so – denken wir. Dass nach Sonnenuntergang der Wind etwas nachlässt, irritiert uns noch nicht, das ist hier ja meistens so; da durchgängig noch 15 Knoten Wind für die ganze Nacht angesagt sind, bleibt es also bei der Besegelung.

Sonnenuntergang über der Peloponnes

Dummerweise ist drei Stunden später der Wind komplett weg – nicht aber die Welle: wie ein Korken hüpft das Boot mit schlagendem Segel in der alten See. Mal wieder zeigt sich, dass Flaute ähnlich schlimm sein kann wie Sturm: nach einigen Stunden liegen die Nerven blank, jedes ‘flapp’ dringt durch den ganzen Körper. Aber erst mal ist es etwas abschreckend, mitten in der Nacht den Gennaker zu setzen, und dann wird auch dies immer sinnloser, denn ohne Wind hilft auch das Leichtwindsegel nicht mehr.

Auch mit dem neuen Tag – für den wohlgemerkt immer noch durchgängig 4 Beaufort angesagt sind! – wird es nicht besser; wir dümpeln noch bis zum Mittag mit 1 bis 2 Knoten Fahrt vor uns hin, bis wir schließlich aufgeben und die letzten 15 Seemeilen motoren. Soweit zum Thema Wettervorhersagen …

Psili Ammos / Serifos
Serifos in Sicht!

Gegen 15 Uhr erreichen wir nach 27 Stunden und 90 Seemeilen – von denen wir die Hälfte im ersten Drittel der Zeit zurückgelegt haben – unser Ziel, die Insel Serifos. Aus der Ferne verrät sich die Insel durch ihr Häubchen aus Konvektionswolken, beim Näherkommen sehen wir eine zerklüftete Felsenküste – der Legende nach König Polydektes, der hier durch eine List Perseus mit Hilfe des Hauptes der Medusa zu Stein erstarrt ist.

Der Strand von Psili Ammon

Dieses Schicksal bleibt uns erspart, wir finden mit Psili Ammos eine kaum bebaute Ankerbucht mit sauberem Sandgrund, klarstem Wasser  und einem feinen Strand, an dem eine Reihe Tamarisken wächst. Ein Bad im 26 Grad warmem Wasser wäscht die wenig erbauliche Nacht ab, und als am Abend der ganze Himmel in malerischen Orangetönen strahlt und sich am Horizont überall andere Inseln abzeichnen, fühlen wir uns so richtig angekommen auf den Kykladen.

Ermoupoli / Syros

Am nächsten Tag werden wir für die enttäuschenden Windverhältnisse vom Donnerstag entschädigt: 10 bis 15 Knoten aus Südsüdost sind angesagt, und weil wir dem nicht trauen, machen wir uns schon um 9 Uhr auf den Weg; aber nachdem wir aus der Windabdeckung unserer Ankerbucht heraus sind, kommt schnell brauchbarer Wind auf, und unter Code 0 machen wir zügige 5 bis 6 Knoten Fahrt – das macht Spaß!

Der Himmel ist mal wieder praktisch wolkenlos, und die Ägäis strahlt in intensivstem Kobaltblau; überall am Horizont zeichnen sich Inseln ab, wir sind ja mittendrin im Inselmeer der Kykladen, die Entfernungen zwischen den benachbarten Inseln betragen oft nur 15 bis 25 Seemeilen. Ein geradezu perfektes Segelrevier: immer angenehme Tagesdistanzen, reichlich Ankermöglichkeiten mit Schutz vor jeder Windrichtung auf allen Inseln, und dazwischen das Gefühl richtigen Seesegelns, das alles bei herrlich warmem, aber nicht zu heißem Wind – was will man mehr?

Ermoupoli voraus!

So dauert es auch nicht lange, bis wir die weiter östlich gelegene Insel Syros erreichen, ihre Südspitze runden und nach 30 Seemeilen den Hafen von Ermoupoli ansteuern können. Der Ort ist mit rund 11000 Einwohnern die größte Ansiedlung auf den ganzen Kykladen und Verwaltungssitz der gesamten Region – dies gibt vielleicht einen Eindruck von der Besiedlungsdichte der Inseln. Wir machen fest in der sogenannten Marina – ein großangelegtes Entwicklungsprojekt, dem kurz vor der Fertigstellung das Geld ausgegangen ist; nun rosten die funktionslosen Strom- und Wassersäulen vor sich hin, aber man kann das Boot sicher festmachen, und kostenlos ist es natürlich auch.

Der Rathausplatz in Ermoupoli

Am Samstag ist es eher bedeckt, und es regnet auch ein paar Tropfen (wirklich nicht viele …); wir nutzen den Tag für Einkäufe und bleiben ansonsten an Bord. Am Sonntag dagegen scheint die Sonne wieder häufiger, und wir machen uns auf den Weg, die Stadt zu erkunden.

Soooo viele Stufen!

Der Ort wirkt sehr belebt und quirlig – jedenfalls gemessen an der üblichen Verschlafenheit der Kykladen. Es gibt eine große Werft, die für einen etwas industriellen Eindruck sorgt, und an der man von der Marina kommend zunächst vorbeilaufen muss; hat man aber erst mal das eigentliche Zentrum erreicht, findet man eine sehr charmante Reihe von Einkaufs- und Restaurantzeilen vor. Von dort aus zieht sich ein endlos erscheinendes Gewirr von Treppen und Gassen den Berg hoch bis zur Kathedrale; nach gefühlten 1000 Stufen kann man vor dort einen herrlichen Ausblick über die ganze Bucht genießen.

An der Hafenpromenade

Eine Besonderheit der Stadt ist, dass es neben der griechisch-orthodoxen auch eine römisch-katholische Kathedrale gibt; bis zum massiven Zustrom von Flüchtlingen während des griechischen Unabhängigkeitskrieges waren die Bewohner der Insel nämlich mehrheitlich katholisch – ein Umstand, der bis auf die Zeit des vierten Kreuzzugs zurückgeht und dazu führte, dass Syros im Unabhängigkeitskrieg gegen die Osmanen unter französischem Schutz stand, was wiederum die Insel zur sicheren Zufluchtsstätte machte. Die orthodoxen Kriegsflüchtlinge erst gründeten das heutige Ermoupoli, welches schnell mit der ursprünglichen Siedlung am gleichen Ort – Ano Syros – zusammenschmolz.

Uns gefällt Ermoupoli gut; wir holen uns zur Belohnung für die Höhenmeter eine unbeschreiblich köstliche Bougatsa und genießen diese mit Blick auf den Stadthafen. So kann man es aushalten!

Phinikas / Syros

Montagmorgen müssen wir Ermoupoli verlassen: für die kommenden Tage ist starker Nordwind angesagt, und dafür finden sich in den Anlagen der ‘Marina’ nur wenige geschützte Plätze, und die sind natürlich alle mit Dauerliegern belegt. Aber auf der anderen Inselseite gibt es die Bucht von Phinikas, die perfekten Schutz gegen Nordost bietet und in der man sowohl gut ankern als auch am Gemeindeanleger festmachen kann.

Gut besucht: der Gemeindeanleger von Phinikas

Wie legen bei 15 bis 20 Knoten Nordwind ab und machen gute Fahrt bis zur Südostspitze der Insel; dort kommen wir in deren Windabdeckung, so dass wir letztendlich doch rund dreieinhalb Stunden für die 12 Seemeilen brauchen. In Phinikas angekommen, sehen wir, dass es noch gute Liegeplätze an der Mole gibt und entscheiden uns, hier mit Heckanker und Bugleine anzulegen, es gibt nämlich Wasser und Strom, und außerdem wollen wir unbesorgt Landausflüge machen können, während die Starkwindperiode anhält. Später am Nachmittag füllt sich die Mole dann noch bis auf den letzten Platz; in der großen Mehrheit sind es riesige Charteryachten von 44 bis 50 Fuß Länge (und unbeschreiblicher Breite!), die hier anlegen, praktisch alle von Deutschen gechartert.

Gut geschützt: die Bucht von Phinikas

Die gesamte Ägäis ist berüchtigt für ihren starken, sommerlichen Nordwind, den Meltemi; typischerweise bringt dieser hohen Luftdruck und schönes Wetter mit sich, bläst die Segler aber mit 6 bis 8 Windstärken durch, und das gerne auch schon mal tagelang. Ob man bei unserer momentanen Wetterlage Ende Oktober noch von Meltemi oder einfach von gewöhnlichem Nordwind spricht, wissen wir nicht so genau; jedenfalls pustet es drei Tage lang ohne Pause.

Die Mastixdistel bringt Farbe in die karge Landschaft

Wir nutzen die Zeit für eine ausgedehnte Wanderung – die längste seit Pfingsten auf Mallorca: endlich ist es nicht mehr so heiß, und der frische Wind hilft zusätzlich, die Anstiege ohne Hitzekollaps zu bewältigen. Die Landschaft hier auf Syros ist nun, am Ende des langen, heißen, Sommers, schon sehr ausgedörrt; die ausgedehnten Thymianfelder sind besser an ihrem Duft als an den vertrockneten Blättern zu erkennen.

Am Kap Velostasi

Eine große Anzahl an Meerzwiebeln strecken jedoch ihre blattlosen Blütenstände der Sonne entgegen, Mastixdisteln sorgen für leuchtende Farbtupfen im steinigen Boden, und der Blick von den Höhenzügen an der Südwestspitze der Insel, dem Kap Velostasi, über die See und die Bucht von Phinikas ist ohnehin toll. So vergehen zwei Starkwindtage wie im Fluge, und am Donnerstag kann es weitergehen 🙂

Ormos Agios Ioannou / Paros

Weiter geht es dann auch wirklich – allerdings nicht wirklich mit weniger Wind, als an den vergangenen zwei Tagen wehte: die Wettervorhersagen kündigten zwar nur noch 16-18 Knoten Nordwind an, aber als wir langsam den Schutz der Bucht von Phinikas verlassen, sind es schon deutlich über 20 Knoten, und in den folgenden Stunden nähern wir uns auch den 30 Knoten, je mehr Abstand wir zwischen uns und Syros bringen.

Ordentlich Wind auf See …

Das Tagesziel ist die Insel Paros, gut 25 Seemeilen in Richtung Südost; wir haben also Halbwindkurs, und nur unter Klüver macht die ‘Orion’ sechseinhalb Knoten Fahrt. Später, als wir immer häufiger die Windstärke 7 auf der Anzeige für den wahren Wind sehen, tauschen wir diesen gegen das Kuttersegel – und damit sind es immer noch fünfeinhalb Knoten.

… und herrliche Ruhe in der Ankerbucht

Nun ja, wir hatten uns den Tag etwas weniger sportlich vorgestellt, aber dafür sind wir schneller da: schon kurz nach 15 Uhr stehen wir vor der Einfahrt zur geräumigen Bucht von Naousa auf der Nordseite von Paros. Eigentlich scheint diese Inselseite bei Nordwind ungeeignet, aber die Bucht hat eine derart ausgeprägte Einbuchtung nach Norden, dass man hinter einer Halbinsel perfekten Meltemi-Schutz in idyllisch-einsamer Umgebung findet: ausgewaschene Felsen bilden bizarre Formationen und leuchten in der Sonne, und gleich nebenan steht eine kleine Kapelle (namensgebend für die Ankerbucht, dem Hl. Johannes gewidmet). Der Wind weht unterdessen mit immerhin noch 5 Beaufort weiter, und dabei bleibt es auch über Nacht, aber hier liegen wir prächtig – eigentlich besser als zuletzt im Hafen von Phinikas

Kalantos / Naxos

Am Freitag stellen wir fest, dass sich die Wettervorhersagen inzwischen der Realität angepasst haben. Ursprünglich sollte es kaum noch Wind geben, aber inzwischen hat man auf die 5 Windstärken erhöht, die die ganze Zeit schon wehen; grundsätzlich kommt uns das gelegen, wollen wir doch auch heute ein ganzes Stück segeln, aber zum Verlassen der Bucht von Naousa müssen wir natürlich erst mal gegenan – und gegen die Welle, die inzwischen 4 Tage Zeit hatte, sich aufzubauen: eine feuchte Angelegenheit … aber nach zwei Stunden können wir abfallen und vor dem Wind in die Meerenge zwischen Paros und Naxos einbiegen.

Reger Fährverkehr in der Paros-Naxos-Straße

Diese ist nur zweieinhalb Seemeilen breit und verläuft in Nord-Süd-Richtung, weswegen wir etwas nervös den dort wohl herrschenden Wind- und Seeverhältnissen entgegensehen – wie sich dann zeigt aber unbegründeterweise: es setzt ein kräftiger Strom nach Süd, und der hilft eher, dass die See flacher wird, als dass ein Auflaufen zu beobachten wäre. Der Wind legt auch noch zu, und bald sind es wieder gute 25 Knoten, die uns anschieben; wieder nur unter Klüver, machen wir mit Hilfe des Stroms fast 7 Knoten über Grund. Ein herrliches Gleiten ist das, so genau vor Wind und See; passenderweise hat sich auch die Sonne durchgesetzt, und wir sind nach 28 gesegelten Meilen früh genug an unserem Übernachtungsziel, der Bucht von Kalantos auf der Südseite von Naxos, um noch den Grill anzuwerfen und den – trotz des anhaltenden Nordwindes sommerlichen – Abend angemessen ausklingen zu lassen.

Livadi / Iraklia

Samstag hat es sich mit dem Wind dann auch erledigt – und zwar gleich so gründlich, dass wir keine Chance haben, unter Segeln weiter zu kommen, obwohl unser Ziel nicht gerade weit entfernt liegt: nur 5 Seemeilen südlich von Naxos liegt Iraklia, die erste Insel einer als ‘Kleine Kykladen‘ bekannten Gruppe von 30 Inseln und Inselchen, auf denen insgesamt (!) etwa 600 Menschen leben. Dabei gibt es hier schon sehr lange Menschen, eine Besiedelung bereits im 3. Jahrtausend v. Chr. konnte nachgewiesen werden.

Unsere Ankerbucht auf Iraklia, von der alten Festung aus gesehen

Wir ankern auf der Ostseite vorm langen Sandstrand von Livadi, gleich unter den Ruinen des Kastro, einer aufs 4. bis 2. Jahrhundert v. Chr. datierten Festungsanlage. Die Lage ist wunderbar, der Sand fein und weiß, das Wasser hat noch 25 Grad – und wie immer ist praktisch niemand da. Wie wir bei einem Spaziergang nach Agios Georgios, dem 100 Einwohner starken Hafenort, feststellen können, gibt es einige Ferienappartements, und zwei Tavernas haben geöffnet – damit erschöpft sich das Tourismusangebot auf dieser Insel. Wie immer können wir nur staunen, wie viele menschenleere Strände es hier gibt, hinter denen in Spanien achtstöckige Hotels stehen würden …

In Panagia

Am Sonntag wollen wir mal wieder die Beine benutzen und unternehmen eine fünfstündige Wanderung, über Panagia, die Chora der Insel (welches aber heute nur noch drei Dutzend Einwohner zählt) durch die Berge bis zur Tropfsteinhöhle von Agios Ioannis.

In der Höhle Agios Ioannis

Hier muss man sich durch einen kaum 50 Zentimeter hohen Eingang quetschen, um so in eine Reihe von zusammen etwa 2000 Quadratmeter umfassenden Höhlen zu gelangen. Diese sind sicher nicht so spektakulär wie die von Diros, dafür nicht ‘bewirtschaftet’ und man ist völlig allein. Etwas unheimlich fühlt es sich aber schon an, so ins Innere der Berge vorzudringen …

Die Wanderung selbst ist kräftezehrend, immerhin 400 Höhenmeter sind zu überwinden, und die Sonne brennt heiß vom Himmel; ein paar Cirren machen es aber halbwegs erträglich, und die Aussicht, die sich vom Bergrücken bietet, ist phänomenal: wohin man schaut, rundherum liegen Inseln eingebettet in das blaueste Blau, das man sich nur vorstellen kann!

Panoramablick über Iraklia; am Horizont links Naxos, daneben die Inseln der Kleinen Kykladen
Aligaria / Schinoussa

So gut uns Iraklia gefällt, am Montag ziehen wir dann doch weiter – direkt gegenüber lockt ja die nächste Insel, Schinoussa. Es ist auch schwacher Wind angesagt, und wir lichten hoffnungsvoll unter Segel den Anker, nur um 5 Minuten später hilflos Richtung Felsen zu treiben – es herrscht absolute Flaute. Es sind aber nur 4 Seemeilen bis vor den Strand von Aligari, also muss der Motor nicht allzu lange laufen. Pünktlich mit der Ankunft fängt dann auch der Wind an, sich zu regen … 

Kapelle auf Schinoussa

Wir finden einen schönen Ankerplatz, rundherum stehen einige luxuriöse Villen an Land; die böse Überraschung folgt erst, als wir mit dem Dinghi anlanden: der Strand ist zwar öffentlich, aber das Gelände dahinter nicht, es ist also unmöglich, ihn zu verlassen (und damit auch, ihn von Land zu betreten). Wir probieren mehrere Wege und stehen entweder vor Verbotsschildern oder gleich vor Stacheldraht; schließlich steigen wir wieder ins Dinghi, landen weiter entfernt an einem viel unzugänglicheren Küstenstreifen an und kämpfen uns durch die Wildnis bis zur nächsten Straße. Später finden wir heraus, dass die gesamte Halbinsel, die unsere Bucht einschließt, offenbar einem Entwicklungsprojekt zugehört, welches in einer parkartigen Landschaft mehrere Luxusanwesen errichtet hat – und im Interesse ihrer Besitzer dafür sorgt, dass das gemeine Volk keinen Zugang hat. Gleich drei sogenannte ‘öffentliche’ Strände sind damit vom Zugang abgeschnitten – ein schlechter Scherz, ihnen noch diesen Namen zu geben. Die Einheimischen machen im Internet ihrem Ärger darüber Luft, nutzen tut ihnen dies aber auch nichts. Schade, dass offenbar auch hier mit genug Geld Gesetze bedeutungslos werden …

Die Insel ist viel flacher als Iraklia, der Weg zur Chora bietet also weniger tolle Aussichten, ist damit aber auch weniger anstrengend; der Ort selbst hübsch anzusehen mit seinen strahlend weißen Häusern, viel los ist hier aber auch nicht gerade. Immerhin gibt es einen Minimarkt, in welchem wir etwas Gemüse erstehen können.

Almyros / Schinoussa

Am Dienstag wollen wir uns nur eben auf die andere Seite der Insel verholen, weil am folgenden Tag ein Frontendurchzug aus Südwest droht. Nach dem Erlebnis des Vortages fahren wir diesmal nicht gleich los, sondern warten erst mal auf den Wind – gegen 13 Uhr geben wir dann auf und motoren gleich um die südliche Halbinsel. Obwohl Schinoussa nicht groß ist, bietet die Insel durch ihre vielen ‘Arme’ prächtige Ankerbuchten in großer Auswahl; wir ankern auf einer ausgedehnten Sandfläche mit vier bis 5 Metern Tiefe und Schutz von Ost über Süd und West bis Nord – perfekt für das angedrohte Mistwetter.

Die Ruhe vor dem Sturm in der Bucht von Almyros

Dienstagabend ist aber alles noch still und friedlich, und wir genießen den lauen Abend im Cockpit, bis wir alles reinräumen und das Boot regenfest machen. Am Mittwochmorgen geht es dann auch vor 8 Uhr noch los: am Himmel naht eine scharf abgegrenzte Wolkenwand, Böen von fast 30 Knoten fallen aus dem Nichts ein, und dann schüttet es auch schon aus Kübeln. In einer Ankerbucht wie dieser mit Schutz vor der See, genug Platz in alle Richtungen und Sandgrund kein Grund zur Sorge – den Anker haben wir fast mit Vollgas eingefahren, es schaut gerade noch der obere Rand vom Bügel aus dem Boden, der Schaft und die ersten Meter Kette sind nicht mehr zu sehen, wie wir gestern beim Schnorcheln noch überprüft haben (die Sicht auf fünf Meter Tiefe ist wie immer kristallklar). Wir können es uns also an Bord gemütlich machen und das Mistwetter regelrecht genießen: wie schön, nicht draußen sein zu müssen! Endlich kann man mal wieder die Vorhänge aufziehen, die sonst immer die Sonne und Hitze draußen halten sollen, und sogar die Petroleumlampe anzünden – der erste Herbsttag des Jahres!

Paralia Pori / Pano Kouphonisi

In der Nacht ziehen noch die letzten Regenfelder durch, und am Donnerstagmorgen erwartet uns schönstes Rückseitenwetter: der Südwestwind ist auf etwa 5 Windstärken zurückgegangen, und die Sonne strahlt auf einzelne Wolken, die eilig über den Himmel ziehen. Wir können den Anker lichten und uns gleich vom Klüver aus der Ankerbucht ziehen lassen – immer ein gutes Vorzeichen für den Tag, wenn er ohne Motorgeräusche beginnt 🙂

Unterm Regenbogen zieht Kato Kouphonisi vorbei

Nur unter Vorsegel machen wir gute Fahrt, wenn es auch in der aufgelaufenen See etwas schaukelt, aber auch für die heutige Strecke lohnt es sich nicht, das Großsegel auszupacken: sieben Seemeilen sind es entlang der unbewohnten Insel Kato Kouphonisi bis zur Nachbarinsel Pano Kouphonisi, wo wir in der fast kreisrunden Bucht vor Paralia Pori den Anker in gut 4 Meter tiefem Wasser fallen lassen.

Paralia Pori, unsere Ankerbucht auf Pano Kouphonisi

Da es ja noch früh am Tage ist, können wir mit dem Dinghi übersetzen und eine kleine Wanderung unternehmen. Die Landschaft zieht uns völlig in ihren Bann: unsere Bucht leuchtet in sattem Türkis, und die zerklüftete Felsenküste in allen vorstellbaren Terrakotta- und Umbratönen.

Felsformationen an der Küste

Überall hat die See kleine Einbuchtungen geschaffen und Höhlen ausgespült, in denen sich gurgelnd die Wellen brechen, der Wind hat bizarre Formen aus dem weichen Gestein gearbeitet; die Aussicht Richtung Südost auf die bergigen Nachbarinseln Keros und Amorgos ist hinreißend, und die schnell ziehenden Wolkengebilde krönen das sich uns bietende Bild. Jeder Beschreibung spottet aber der Duft: die überall wachsenden Wildkräuter haben den Regen des vergangenen Tages aufgesogen, und nun, von der warmen Sonne beschienen, geben sie ihre ätherischen Düfte in einer Intensität ab, die man kaum für möglich gehalten hätte.

Unser Zen-Strand

Wir finden einen kleinen Strandabschnitt, der vollständig mit kleinen Kieseln bedeckt ist; die kräftige Brandung kann diese in Bewegung versetzten, und beim Zurückziehen jeder Welle rollen sie mit einem feinen Klickern zurück. Dort verharren wir und lassen das gesamte Sinneserlebnis auf uns wirken: die Farben, der Duft, die Geräusche, alles so intensiv und durchdringend … ein kleines Stück vom Paradies!

Kouphonisi / Pano Kouphonisi
Die weißen Häuser von Kouphonisi; im Hintergrund Naxos mit seiner üblichen Wolkenkrone

Am Freitag ist ein Windloch während der Drehung von Südwest auf den üblichen Nordwind angesagt, und das wollen wir für einen Hafentag nutzen; wir motoren gleich nach dem Aufstehen zwei Seemeilen von unserer Ankerbucht in den einzigen Ort und Hafen der Insel, der auch ebenso wie sie heißt. Im kleinen, aber gut geschützten Hafenbecken liegen eine Handvoll Fischerboote, sonst niemand; es gibt sogar Muringleinen, so dass man nicht im Hafen den Anker ausbringen muss – das wissen wir schon zu schätzen, ebenso wie die Stromanschlüsse auf der Pier. Nach einer Stunde erscheint ein alter Seemann mit Piratentuch auf dem Kopf, erkundigt sich, wie lange wir bleiben wollen und kassiert 10 Euro für eine Nacht inklusive Strom – bar auf die Hand und ohne Quittung, versteht sich. Nun, wir sind mit dem Tarif zufrieden, und die örtliche Fischergilde mit dem Gegenwert einer Flasche Ouzo auch – was geht den Fiskus ein Geschäft unter Freunden an, denkt sich der Grieche 😉

Wir brechen danach zu einer Wanderung über den Teil der Insel auf, den wir gestern nicht gesehen haben, erklimmen dabei den mit gut 100 Metern höchsten Punkt der Insel, wo sich eine phantastische Rundumsicht bietet.

Aussicht von der höchsten Erhebung Kouphonisis

Hübsch anzusehen ist auch der kleine Ort mit seinen strahlend weißen Häusern; es gibt eine Bäckerei und einen kleinen Supermarkt, außerdem natürlich zahlreiche Restaurants, die meisten aber geschlossen – vielleicht für immer, wer weiß, wie kleine Familienbetriebe den Einkommensverlust eines ganzen Jahres verkraften werden …

Zurück an Bord werden wir noch Zeugen eines besonderen Erlebnisses: die ‘Orion’ beginnt unter unseren Füßen merklich zu zittern! Nach kaum einer halben Minute, während wir uns noch fragen, ob wir das geträumt haben, wiederholt sich der Spuk … Recherchen im Internet ergeben, dass sich in der Nähe von Samos – also 150 Kilometer entfernt – ein Erdbeben der Stärke 6.9 ereignet hat, wohl das stärkste Beben in der Ägäis seit Jahren. Erdbeben an sich sind hier aber nicht ungewöhnlich, die Ägäis ist das Gebiet mit der größten Erdbebenhäufigkeit Europas – nun, jetzt wissen wir auch, wie sich das auf dem Wasser anfühlt.

Nikouria / Amorgos
Amorgos liegt voraus und füllt den ganzen Horizont

Am letzten Tag des Oktobers verlassen wir Kouphonisi und halten knapp 20 Seemeilen nach Osten auf Amorgos zu; mal wieder weht eine frische 5 bis 6 aus Nord, wir brauchen nur den Klüver, um 6 Knoten Fahrt zu machen. Unser Ziel ist von Anfang an nicht zu übersehen: etwa 33 Kilometer lang, nur wenige Kilometer breit und über 800 Meter hoch liegt die Insel wie eine riesige Wand quer am Horizont, ein beeindruckender Anblick, darauf zuzusegeln!

Die Einfahrt in die Meerenge zwischen Nikouria und Amorgos

Die besondere Form hat allerdings auch ihre Tücken: Amorgos weist so gut wie keine geschützten Häfen und Ankerbuchten auf, und schon gar nicht an der dem Meltemi abgewandten Südseite. Auf der windzugewandten Nordseite gibt es eine kleine vorgelagerte Insel, Nikouria, die es auch immerhin auf knapp 350 Meter Höhe bringt; bei der Einfahrt in die sich zwischen den Inseln befindliche Bucht sind wir sehr an norwegische Fjorde erinnert, nur dass die Berge viel trockener sind.

Der Vollmond geht über den Bergen auf

Hier finden wir guten Schutz vor der draußen auflaufenden See, der ohnehin schon kräftige Wind wird aber durch die Bergflanken noch verstärkt: direkt überm Wasser erreichen die Fallböen extreme Geschwindigkeiten, heulen laut und peitschen meterhohe Sprühnebel auf – ein abenteuerlicher Ankerplatz in völliger Einsamkeit, und der bald nach Sonnenuntergang aufgehende Vollmond vervollständigt das perfekte Halloween-Szenario 🙂

Ormos Livadi / Astypalaia

Gerne würden wir mehr Zeit auf Amorgos verbringen, aber dazu bräuchte es ruhigeres Wetter, bei dem momentan herrschenden ständigen Nordwind könnten wir nur in dieser Bucht bleiben, die mit ihren Fallwinden zwar ein spektakuläres, aber wirklich kein gemütliches Plätzen ist; also gehen wir kurz nach Sonnenaufgang gegen 7 Uhr in der Frühe Anker auf, um uns an die gut 50 Seemeilen weite Überfahrt nach Astypalaia zu machen. Für den heutigen Sonntag sind nur 4 bis 5 Beaufort Nordwind angesagt – auf längere Sicht eher ein Schwachwindfenster, häufiger sind es hier 5 bis 6, gerne auch 6 bis 7 Windstärken – jeweils im Mittel, die Böen legen gerne nochmal etwas drauf. Dies führt zusammen mit der ungewöhnlich großen Distanz dazu, dass wir nach der Rundung des Südwestendes von Amorgos nach längerer Zeit mal wieder das Großsegel auspacken müssen; so sind wir dann unter Vollzeug mit halbem Wind und 6 bis 7 Knoten unterwegs, während die Sonne vom fast wolkenlosen Himmel scheint – ein herrlicher Segeltag!

Ormos Livadi, Astypalaia

Pünktlich zum Sonnenuntergang erreichen wir die Bucht von Livadi auf Astypalaia; diese Insel gehört eigentlich gar nicht mehr zu den Kykladen, sondern zum Dodekanes, wurde in der Antike aber noch zu ersteren gezählt, weswegen wir auch unseren Abstecher nach Astypalaia unter der obigen Überschrift belassen. Wir ankern vorm Strand auf 5 m Tiefe auf Sandgrund – der Halt ist hervorragend, was auch gut so ist, denn schon in der kommenden Nacht soll der Wind wieder zulegen.

Die Chora, überragt von der Festungsruine

Am Montag setzen wir mit dem Dinghi zum Strand über und ersteigen den unmittelbar über der Ankerbucht aufragenden Berg mit der Chora der Insel; gekrönt wird diese von den Ruinen einer venezianischen Festungsanlage, die bei dem schweren Erdbeben von 1956 starke Zerstörungen erlitten hat, aber immer noch beeindruckend ist. Die eigentliche Festung ist umgeben von einem Ring ineinandergeschachtelter weißer Häuser, die sich an den steilen Hang schmiegen und durch eine Vielzahl von Treppen verbunden sind.

Die ganze Anlage hat eine starke Wirkung auf uns: die steil aufragenden Festungsmauern, der überwältigende Ausblick von den höchsten Türmen, die zurückhaltende, schlichte Schönheit der strahlend weißen Häuser mit ihren blauen Akzenten und den schon übernatürlich intensiv leuchtenden Bougainvillien -hinreißemd! Der Tourismus ist auf Astypalaia noch wenig entwickelt – die Insel ist einfach zu schwer zu erreichen – und so sind wir praktisch die einzigen Besucher; lediglich einigen Einwohnern begegnet man, die ihren alltäglichen Gewohnheiten nachgehen – etwa an der Straße sitzend ihren Kaffee trinken zum Beispiel – und unzähligen Katzen, die sich in der Sonne räkeln. Wer Ruhe sucht, ist hier richtig!

Agrilidi / Astypalaia

Am Dienstag zeigt sich der Himmel etwas bedeckter, dafür ist es auch weniger windig; wir wollen das nutzen um die folgende Nacht in einer etwas abgelegeneren Ankerbucht zu verbringen.

Agrilidi – wildromantischer Ankerplatz mitten im Nichts

Ganze 5 Seemeilen sind es hinüber auf die östliche Hälfte der Insel, wo sich eine fjordartige Bucht eine halbe Seemeile tief ins Land hineinschneidet; an deren Ende finden sich eine Kapelle, ein paar verfallene Gebäude mit einem aufgegebenen Olivenhain, etliche Ziegen – und sonst rein gar nichts. Wir wandern um die Bucht herum, trauen uns angesichts des schwächeren Windes trotz des bedeckten Himmels mal wieder ins Wasser (wo es sich bei 24 Grad wärmer als außerhalb anfühlt) und genießen ansonsten die wildromantische Abgeschiedenheit und das Läuten der Ziegenglocken …  

Analipsi / Astypalaia

Früh am nächsten Morgen beginnt der Wind, wieder zuzulegen, weswegen wir uns auf einen geräumigeren Ankerplatz verholen wollen – Astypalaia bietet eine breite Auswahl an Buchten mit Nordschutz, da kann man wählerisch werden …

Blick vom Ankerplatz auf Analipsi

Wir lassen uns mit halbem Wind wieder drei Seemeilen zurück nach Westen schieben und ankern vorm breiten Strand von Analipsi; da es noch früh am Tag ist, setzen wir gleich mit dem Dinghi über und gehen eine Runde durch das winzige Dorf.

Die besonders hübsche Kirche von Analipsi

Es gibt genau zwei Geschäfte: einen Minimarkt und eine Taverne; letztere sieht so einladend aus, dass wir einkehren und einen griechischen Mokka trinken. Es gibt nur wenige, kleine Tische, alles ist liebevoll gestaltet; die Speisekarte ist ein handschriftlich beschriebenes Schulheft und verspricht ausschließlich selbstgemachte Köstlichkeiten.  Spontan beschließen wir, am Abend nochmal wiederzukommen, obwohl der Wind bis dahin noch weiter zugelegt haben soll.

Unsere kleine Taverna

Das tut er dann auch, gegen 18 Uhr bläst es schon mit über 20 Knoten; mit einem etwas flauen Gefühl im Magen lassen wir die ‘Orion’ mit 30 Metern Kette auf knapp 4 Meter Wassertiefe zurück. Das Abendessen belohnt uns für den kleinen Nervenkitzel: alles ist köstlich, hier wird noch richtig gekocht: nach unserer Bestellung geht der Wirt (und Koch in Personalunion)  erst mal rüber in den Laden und holt frische Zucchini … Die Leute sind unaufgesetzt freundlich, man freut sich wirklich dass es uns schmeckt, auch die Preise sind sehr angemessen. Und als wir wieder am Strand stehen und unser Ankerlicht noch an gleicher Stelle leuchtet, ist wirklich alles perfekt 🙂

Im Laufe der Nacht zum Donnerstag legt der Wind immer weiter zu, mittlere Windstärken von 30 bis 35 Knoten (also immerhin 7 Beaufort) sind für den folgenden Nachmittag angesagt; bei strahlendem Sonnenschein verbringen wir den Tag vor Anker und freuen uns zuschauen zu können, wie der Windgenerator die Batterien füllt.

Lange währt die Freude aber nicht, denn es gibt schlechte Nachrichten aus unerwarteter Richtung: vom Samstag den 7. November an befindet sich ganz Griechenland im Corona-Lockdown! Zwar schießen die Infektionszahlen auch hier seit Wochen in die Höhe, aber noch zwei Tage zuvor hatte die griechische Regierung eine Karte veröffentlicht, in dem das Land in zahlreiche Bezirke eingeteilt ist, für die jeweils eine von drei Warnstufen und damit einhergehende Maßnahmen gelten. Nur für wenige Regionen – rund um Athen und Thessaloniki – galt die höchste Warnstufe, für andere wie auch die südostägäischen Inseln die niedrigste. Ein gut nachvollziehbares Konzept – warum dieses allerdings zwei Tage später schon wieder eingestampft wird und kurzerhand alle Regionen zum Hochrisikogebiet erklärt werden, völlig unabhängig vom Infektionsgeschehen, ist uns völlig schleierhaft …

Aufgrund der schlechten Erfahrungen in Spanien fürchten wir auch eine Schließung der Häfen und verholen uns deshalb am Freitagmittag bei nur leicht nachlassendem Wind noch schnell in den Fischerhafen von Astypalaia, um hier der Dinge zu harren, die da kommen; mit dem wunderschönen Segeln von Insel zu Insel hat es jetzt jedenfalls erst einmal ein Ende, so viel ist sicher 🙁

 

Um die Finger der Peloponnes ( 21.09. – 14.10. )

Am Montagmorgen holen wir nochmal die neuesten Wettervorhersagen ein, die aber keine großen Neuigkeiten bringen, und so lichten wir dann gegen 9 Uhr den Anker (ganz sportlich unter Segeln) und verlassen die Bucht von Portopalo am Südostzipfel Siziliens. Eigentlich sollte gleich am Vormittag ein kräftiger Westwind einsetzen, der zum Nachmittag hin dann auch bis zu Windstärke 6 erreichen soll – nun, diese Wettervorhersage geht als erstes über Bord, als wir nach kaum einer Stunde beschließen, doch den Motor anzuwerfen, um wenigstens nicht länger die Mole von Portopalo anschauen zu müssen …

Zwei Stunden später bessert sich die Lage aber etwas: Westwind kommt auf, und unter Gennaker können wir zufriedenstellende Fahrt machen. Aus den vorhergesagten 20-25 Knoten wird aber auch für den Rest des Tages nichts, aber solange wir vorwärts kommen ist ja alles gut, und so genießen wir den Nachmittag Leichtwindsegeln bei ruhiger See und strahlendem Sonnenschein.

Als die Sonne aber tief im Westen steht, sehen wir, wie sich dort dicke Gewitterwolken aufbauen, wie so häufig in letzter Zeit. Und natürlich kommen die direkt auf uns zu – also erst mal schnell den Gennaker runter. Auf dem Radar beobachten wir, wie die Gewitterzellen Jagd auf uns machen; zwei erwischen uns auch und spülen das Boot gründlich mit Süßwasser. Erst nach Mitternacht beruhigt sich das Wettergeschehen, dafür hält uns das Schiffsaufkommen auf Trab: ein unaufhörlicher Strom von Containerschiffen und Tankern hält genau auf Gegenkurs auf uns zu. Tja, alles was aus den Suezkanal kommt peilt eben auch den südlichsten Punkt Siziliens an … Dank AIS können wir meistens entscheiden wie die Passage ablaufen soll, aber in einem Fall müssen wir per UKW Kontakt aufnehmen und eine beidseitige Kursänderung nach Steuerbord vereinbaren, um nicht frontal zusammenzustoßen – was das 300-Meter-Schiff wohl weniger beeinträchtigen würde als uns …

Der Dienstag bringt zunächst Flaute, am frühen Morgen muss der Motor wieder ran; gegen 11 Uhr kommt aber Wind auf, und den Rest des Tages können wir wieder segeln. Die leichten und wechselhaften Winde bedeuten aber eine Menge Arbeit, weil wir laufend versuchen, die Segelauswahl und -stellung zu optimieren. Davon abgesehen wird es aber ein entspannter Tag – und ein besonderer ist es noch dazu, denn heute ist Äquinoktium, der Tag ist genauso lang wie die folgende Nacht; das muss selbstredend – obwohl auf See – mit einem Glas Wein zum Abendessen gewürdigt werden.

Mittwoch kommt endlich mehr Wind – und dann natürlich gleich reichlich, wie sollte es sonst sein. Es legt immer mehr zu, bis es am Nachmittag 5-6 Beaufort sind, in den Böen sehen wir auch mal die 7. Aber der Wind kommt raum, die Welle ist moderat, die Sonne strahlt – nichts vermittelt ein Schlechtwettergefühl, und das Geschehen ist im Einklang mit den über NAVTEX erhaltenen Wetterberichten, also reffen wir mal nicht und fahren mit vollem Großsegel, Kutter und Klüver, schließlich haben wir was aufzuholen. Der Stundenmittelwert der Fahrt über Grund übersteigt die 5 Knoten, erreicht die 5.5 … na da gehen doch auch 6.0! Tatsächlich, und 6.5 werden es auch noch – im Mittel, wohlgemerkt: zeitweise rauscht die ‘Orion’ mit 7.5 Knoten durchs Wasser. Das ist ungewohnt, meistens sind wir doch langsamer unterwegs, aber so macht es schon gewaltig Spaß, gerade auch wegen der großen Masse und des schlanken Rumpfes: wir haben geradezu das Gefühl das Wasser zu zerschneiden und im hohen Bogen wegzuschleudern, wenn wir in eine Welle fahren, ohne dass man auch nur die geringste Bremsbeschleunigung spürt.

Nun schmelzen die verbleibenden Seemeilen nur so dahin, der Punkt auf der Karte bewegt sich endlich; am Abend lässt der Wind etwas nach, aber über die ganze Nacht bleibt es noch brauchbar. Erst am Donnerstagmorgen ist es schlagartig vorbei: völlige Flaute. Aber wir sind kaum noch 30 Seemeilen von der griechischen Küste entfernt, und so motoren wir nochmal ein, zwei Stunden, bis wieder neuer Wind – diesmal aus Nordwest – aufkommt und uns am frühen Nachmittag (die Uhren haben wir eine Stunde vorgestellt, Griechenland liegt in der Osteuropäischen Zeitzone) nach 338 Seemeilen und 78 Stunden in die Bucht von Methoni schiebt.

Methoni

Am Donnerstagabend feiern wir noch die geglückte Überfahrt, aber ansonsten ruft erst mal die Koje; erst am Freitag erkunden wir unsere Umgebung. Wir sind am äußersten Finger der Peloponnes (Insel des Pelops, eine Sagengestalt) gelandet. Auf dieser Halbinsel liegen so geschichtsträchtige Städte wie Olympia, Sparta und Korinth – dreitausend Jahre Geschichte liegen vor uns.

In Methoni

Wir setzen mit dem Dinghi über und finden erst mal einen einladenden – und so gar nicht überlaufenen – Badestrand, der die ganze Bucht mit ihrem blaugrünen Wasser einrahmt. Dahinter ein malerischer, kleiner Ort mit so vielen gepflegten alten Häusern – hier vornehmlich aus Naturstein gebaut und nicht verputzt oder gestrichen – wie wir es sonst kaum je gesehen haben; die zahlreichen Tavernen sind äußerst einladend, und selbst das einzige als Strandhotel erkennbare Gebäude hat ganze zwei Stockwerke und ist gut anzusehen. Sind wir etwa endlich jenseits des Massentourismus angekommen?

Wir finden eine ziemlich schicke Konditorei mit unglaublich verführerischen Auslagen – natürlich ohne Preise … in Deutschland hätten wir uns kaum hineingetraut, aber hier müssen wir das Risiko ja mal eingehen, und siehe da: das Preisniveau liegt weit unter dem, was das Ambiente vermuten lässt.

Blick über Methoni, die Ankerbucht und teile der Festung
Das Zugangstor zur inneren Festung

Einzige Attraktion Methonis – wenn man den liebenswerten Ort selbst mal bei Seite lässt – ist die ausgedehnte Festungsruine auf der Südspitze der Halbinsel. Deren Anfänge liegen in unergründlicher Vergangenheit, schließlich wird Methoni schon in der Ilias erwähnt, hier verschwimmen Geschichte und Sagen; sicher ist aber, dass der Ort 620 v. Chr. unter die Herrschaft der Spartaner kam. Viel später, während des römischen Bürgerkrieges, bastelte auch mal Markus Antonius an der Anlage herum; es folgten Zeiten byzantinischer und venezianischer Herrschaft. Vor allem die Venezianer bauten die Festung stark aus – vergeblich aber, 1498 eroberten die Ottomanen Methoni. Erst 1827 wurde die Stadt in Folge des griechischen Unabhängigkeitskrieges wieder Teil des Königreichs Griechenland.

Blick von Süden auf das Seetor

Innerhalb der Festung ist nicht viel erhalten, aber die Anlage ist sehr umfangreich, es gibt viele Wälle, Türme und Mauern zu erklettern – und vor allem erlaubt sie einen hinreißenden Ausblick über die ganze Umgebung und das leuchtend blaue Meer! Wir verbringen einen schönen ersten Tag in Griechenland und nehmen einen sehr guten ersten Eindruck mit – so kann es gerne weitergehen 🙂

Nisos Sapientza

Am Samstagmorgen warten wir erst mal auf eine angekündigte Winddrehung, die uns helfen sollte, unser nächstes Ziel zu erreichen; leider bleibt diese aus: während die aktuellen Wettermodelle behaupten, dass vor Methoni Westwind weht,  haben wir merkwürdigerweise Südost … das ist wohl mehr als knapp daneben 🙂 Irgendwann verlieren wir die Geduld und beschließen, den Motor zu Hilfe zu nehmen, schließlich sind es nur 5 Seemeilen, die wir uns vorgenommen haben.

Die Ankerbucht von Sapientza, Port Longos

Gleich südlich der Bucht von Methoni liegt nämlich die Insel Sapientza, die uns schon am Donnerstag bei unserer Ankunft in Griechenland mit ihren sanften Hängen und tiefgrünen Vegetation begrüßt hat – da müssen wir doch hin! Für den Nachmittag und Abend ist auch mal wieder Starkwind angesagt, doch die Insel bietet dafür eine hervorragend geschützte Bucht – wie wir später feststellen müssen, ist der Schutz gegen Westen fast zu gut: es kommt so wenig Wind über die Berge, dass sich unser Bug eher gegen die Windrichtung nach Osten ausrichtet, was natürlich immer dann, wenn es doch mal ein 30-Knoten-Windstoß bis zu uns schafft, für etwas Verwirrung vor Anker sorgt. Problematisch ist das aber nicht, und wir genießen die völlig einsame Umgebung.

Am nächsten Morgen hat das Wetter sich beruhigt, und wir können einen Landausflug unternehmen. Die etwa 7 Kilometer lange Insel ist unbewohnt und – bis auf einen Leuchtturm – auch völlig unbebaut. Die Hügel sind von dichtem Buschwerk überzogen, alles ist sehr, sehr grün – hier regnet es offenbar doch häufiger als an unseren letzten Aufenthaltsorten. Wir erklimmen den steinigen Pfad zum Leuchtturm mit der Gewissheit, die Insel für uns zu haben (von einer Menge wilder Bergziegen mal abgesehen) – am einzigen Bootssteg liegt nur unser Dinghi.

Blick vom Leuchtturm über Sapientza

Der Leuchtturm stellt sich als aufgegeben heraus, man kann das Gebäude betreten und die Wendeltreppe erklimmen; im letzten Stück geht diese allerdings in eine Stahlkonstruktion über, der der Rost so sehr zugesetzt hat, dass wir uns ihr doch lieber nicht anvertrauen wollen … das macht aber nichts, das Panorama über Insel, Land und See von hier ist umwerfend, die Farben überwältigend – jeder Meter Kraxelei hierher hat sich gelohnt!

Koroni
Segeln bei Traumbedingungen vor Akrotirio Akritas

Kaum zurück vom Landgang, machen wir uns gleich auf den Weg, denn über Mittag soll etwas Wind aufkommen, und heute wollen wir immerhin noch 20 Seemeilen zurücklegen. Wir können noch am Anker das Groß setzen und uns vom Wind aus der Bucht wehen lassen – so fangen Segeltage schon mal gut an! Und es geht auch bestens weiter: die Sonne strahlt, das Meer glitzert dunkelblau, und wir haben schönsten Halbwind um 4 Beaufort, die ‘Orion’ zeigt sich von ihrer besten Seite – da wird auch mal der Weg zum Ziel!

Blick vom Ankerplatz auf Koroni und die Festungsmauern

Wir runden Akrotirio Akritas, den südlichsten Punkt des westlichsten ‘Fingers’ des Peloponnes, und fahren damit in den Messenischen Golf ein. Für den morgigen Montag ist eher schlechtes Wetter mit südöstlichen Winden angesagt, wofür wir am Nachmittag Schutz hinter der Landzunge von Koroni und der Hafenmole des Ortes suchen; erst mal aber genießen wir den Abend, und das schon wieder mit Blick auf die Ruinen einer (wenigstens zuletzt) venezianischen Festung: wie schon in Methoni unterhielten die Venezianer hier einen Stützpunkt, um ihre Handelsrouten nach Konstantinopel zu schützen, bis sie diesen an die Osmanen verloren.

Die Klosterkirche innerhalb der Festung

Am Dienstag ist es wie angekündigt grau und regnerisch, der Wind hält sich aber sehr in Grenzen, und wir verbringen einen ruhigen Tag vor Anker; am Mittwochmorgen aber präsentiert sich der Himmel wieder blau und sonnig, und wir setzen mit dem Dinghi über, um den Ort und die Burg – Kastro Koronis – anzuschauen. Nach einem nicht ganz unbeschwerlichen Aufstieg finden wir im Inneren der beeindruckenden Festungsmauern ausgedehnte Olivenhaine, eine Kirche mit angeschlossenem Friedhof und eine Klosteranlage; diese steht Besuchern offen (angemessene Kleidung vorausgesetzt, d.h. bedeckte Knie und Schultern), und man wird von recht betagten orthodoxen Nonnen aufs Freundlichste begrüßt (die in ihrem schwarzen Ornat offenbar keinerlei Probleme mit den Temperaturen haben). Der Klostergarten ist schön angelegt und verströmt zeitlose Ruhe, und von der Akropolis, dem höchsten Punkt der Festung, hat man einen tollen Ausblick über Koroni, den Hafen und den ganzen Messinischen Golf.

Aussicht von der Akropolis über Koroni
Petalidi
Blick vom Ankerplatz vor Petalidi auf die Berge der Mani-Halbinsel im Abendlicht

Kurz nach unserer Rückkehr an Bord frischt der Wind auf – also schnell die Segel gesetzt und hoch mit dem Anker! Bei etwas wechselhaftem aber insgesamt frischen Wind fliegt die Küste nur so vorbei, und nach gerade zwei Stunden sind wir schon am Ende des Messenischen Golfes angekommen, wo wir vor der Kleinstadt Petalidi ankern. Eigentlich wollen wir ja nach Kalamata, aber die dortige Marina verlangt ab Oktober – also übermorgen – nur noch die Hälfte, und da können wir und doch gut noch etwas gedulden 🙂 Das Wetter ist weiter herrlich, und bei Nordwestwind der Ankerplatz so sicher und ruhig, dass wir hier einen schönen Tag verbringen, den wir mit einem köstlichen Abendessen in einer kleinen Taverne abschließen.

Kalamata

Am Donnerstag den 1. Oktober legen wir die letzen 10 Seemeilen bis Kalamata zurück; es wehen gerade mal sechs bis sieben Knoten Wind, und wir befürchten schon motoren zu müssen, aber siehe da, mit dem neuen Code 0 machen wir bei völliger Abwesenheit von Welle immer noch gut 3 Knoten Fahrt – prima! In Kalamata angekommen, machen wir in der Marina fest – keine Selbstverständlichkeit, denn anders als im westlichen Mittelmeer gibt es in Griechenland nur sehr wenige Marinas, also speziell auf Sportboote ausgelegte Häfen mit entsprechender Infrastruktur. Hier werden knapp 24 Euro Liegegeld pro Nacht fällig – auch das eine andere Größenordnung als in Spanien und Italien üblich.

Der Empfang ist freundlich und unkompliziert; da wir ja nicht nach Tunesien fahren konnten brauchen wir auch dringend Diesel, und die örtliche Bootstankstelle ist seit Jahren außer Betrieb, und so fürchten wir schon Probleme – aber die gibt es nicht, der Hafenmeister zückt sein Mobiltelefon und eine Stunde später steht ein Tanklaster auf der Pier. Mit € 1,19 pro Liter kommen wir auch noch wesentlich günstiger davon als in Spanien (€ 1,40) oder Italien (€ 1,60, jeweils Bootstankstellenpreise – Aufschläge von 50% auf den Straßenpreis sind nicht ungewöhnlich), wenn auch nicht so günstig wie es in Tunesien gewesen wäre. Aber daran ist nichts zu ändern, die ‘Orion’ hat nun wieder 400 Liter Diesel im Bauch und ist damit für viele Monate gerüstet.

Detail einer der vielen orthodoxen Kirchen

Am nächsten Tag erkunden wir Kalamata; berühmt ist die Stadt für die gleichnamigen Oliven, und natürlich decken wir uns auch mit denen sowie einem 5-Liter-Kanister Olivenöl ein, Grundzutat der griechischen Küche. Obwohl die Stadt natürlich uralt ist wie alles hier, gibt es wenig historische Gebäude zu sehen – zu viel ist wohl bei diversen Kriegen und Erdbeben zerstört worden. In der jüngeren griechischen Geschichte aber hat sich Kalamata einen zentralen Platz gesichert, hier nämlich wurde am 23. März 1821 der Beginn des Unabhängigkeitskampfes gegen die türkischen Besatzer erklärt, der schließlich zu Wiedergeburt Griechenlands als selbstständiger Staat führte.

In der Altstadt von Kalamata

Wir finden eine offene, freundliche und lebendige Stadt vor, mit großzügig angelegten Hauptachsen und kleinen, hübschen Sträßchen in der Altstadt. Mit der frischen, klaren Luft aus dem umgebenden Bergen und der sehr warmen Sonne fühlt es sich eher wie Frühling als wie Herbst an – uns gefällt es hier, auch ohne großartige Attraktionen.

In der Nähe des Hafens gibt es auch richtig große Supermärkte, so dass wir auch noch mehrere Einkaufstouren unternehmen – wer weiß, wann sich solche Möglichkeiten wieder bieten …

Am Samstag verlassen wir Kalamata wieder; es weht kaum Wind, aber irgendwo viel weiter im Süden gibt es wohl welchen, weswegen ein beachtlicher Schwell von anderthalb Metern Höhe in den Messenischen Golf rollt. Schutz gegen Süd ist in dieser Bucht kaum zu finden; die Hafenmole von Koroni, unser vorletzter Stopp vor Kalamata, ist das noch das beste Angebot, und so segeln und motoren wir in sieben Stunden die 13 Seemeilen dorthin. Den ganzen Sonntag ankern wir dort bei gutem Schutz gegen den Schwell und völliger Flaute, bevor wir am Montagmorgen zur Überquerung des Meeresarms aufbrechen.

Diros
Die ‘Orion’ in der Bucht von Diros

Gegenüber liegt die Halbinsel Mani; mit ihren bis 2400 Meter hohen Gebirgszügen ist sie sehr unzugänglich, weswegen sich Fremdherrscher seit Jahrtausenden die Zähne an ihren als streitbar bekannten Bewohnern ausgebissen haben. Wirklich geschützte Ankerbuchten gibt es auch keine, zu steil fallen die Berge ins Meer ab. Nun kommt uns aber zu Gute, dass seit Tagen kein Wind weht: die See ist fast still, die Windrichtung umlaufend bei 0-5 Knoten; es nervt zwar gehörig, dass wir den größeren Teil der 24 Seemeilen langen Überfahrt motoren müssen, aber so können wir in der nach Westen völlig offenen Bucht von Diros ankern.

Hierhin zieht uns nämlich die größte Attraktion der Mani-Halbinsel: die Höhlen von Diros. Wir brauchen nur ein paar Ruderschläge mit dem Dinghi, um das Eingangsgebäude zu erreichen; um ein Ticket zu erweben, muss man dann aber dennoch 200 Meter den Berg herauflaufen …

Der Eintritt ist mit 10 Euro nicht gerade geschenkt, die Höhlen aber wirklich spektakulär: zunächst wird man mit einem kleinen Kahn einige hundert Meter durch den überfluteten Teil der Höhle gestakt, dann steigt man wieder aufs Trockene und geht den Rückweg zu Fuß. Der Weg mit dem Boot ist toll: die kühle Luft, der Geruch des Kalksteins, das völlig unbewegte, kristallklare Wasser, die Stille … und überall die tollsten Tropfsteinformationen! Schade aber, dass wir nur eine drastisch verkürzte Version zu sehen bekommen – Corona-Auflagen … weswegen es signifikant gefährlicher ist, mit der selben Anzahl (maskentragender) Menschen 20 statt 5 Minuten in dem selben Boot zu sitzen, entzieht sich – wie so oft beim Thema Corona – der spontanen Einsicht …

Tropfsteinformationen

Selbst wenn man sich für den Fußweg viel Zeit lässt, ist man aufgrund der verkürzten Bootsroute nach 20 Minuten wieder draußen – die Höhle ist zwar mit einer Gesamtlänge von über 15 Kilometern das längste Höhlensystem Griechenlands, aber nur der geringste Teil liegt über dem Meeresspiegel. Dennoch, was man zu sehen bekommt, ist toll, und die Stimmung geradezu magisch!

Ob dies der Fluss Styx sein könnte, welcher in der griechischen Mythologie in die Unterwelt, das Reich des Hades, führt? Immerhin liegt der Eingang der Sage nach auch auf dieser Halbinsel, allerdings weiter südlich. Unser Fährmann hat sich nicht vorgestellt, aber vielleicht hieß er Charon … 😉

Gerolimenas

Nach der Höhlenbesichtigung machen wir uns gegen Mittag wieder auf den Weg; es ist nicht viel Wind angesagt, deshalb nehmen wir uns mit 15 Seemeilen auch keine lange Strecke vor, aber selbst diese stellt unsere Geduld auf die Probe … wir nutzen unter Code 0 jeden Knoten Wind, aber zwischenzeitlich treiben wir sogar rückwärts wieder auf die Bucht von Diros zu. Schließlich müssen wir gegen 18 Uhr doch für die letzten Seemeilen den Motor starten, um nicht im Dunkeln ankern zu müssen.

Gerolimenas: sympathisch am Abend …

Dies erweist sich als gute Entscheidung, den der Ankerplatz vor dem kleinen Fischerdorf Gerolimenas erweist sich als recht beengt, und natürlich kommt pünktlich zur Ankunft der erste nennenswerte Wind des Tages auf; da wir alleine sind, finden wir aber einen akzeptablen Platz, wenn auch in Rufweite der Tavenas am Pier – was den Vorteil hat, dass für (durchaus geschmackvolle) musikalische Untermalung gleich gesorgt ist.

… wie am Morgen

Überhaupt überrascht uns Gerolimenas mit der Anzahl der bewirtschafteten Gebäude (die der Gesamtanzahl der Gebäude recht nahe kommt): hier, kurz vorm Ende der Mani-Halbinsel, gibt man sich einige Mühe, den Touristen diesen doch sehr abgelegenen  Ort schmackhaft zu machen, man hat sogar Scheinwerfer installiert, welche die imposante Felswand auf der gegenüberliegenden Seite der Bucht anstrahlen – kein schlechter Platz, um hier am Wasser seinen Wein zu genießen.

Porto Kagio
Ákra Taínaron

Am nächsten Morgen besuchen wir noch kurz den kleinen Minimarkt, bevor wir unter Segeln den Anker lichten – es weht nämlich Wind aus der Bucht! Das Vergnügen hält aber nicht lange vor – und der kaum vorhandene Wind kommt auch noch (genau entgegengesetzt zur Vorhersage) von vorne! Wir kreuzen tapfer gegen die Flaute an, bis wir schließlich (nach 5 Stunden und ebensovielen Seemeilen) Ákra Taínaron, die südliche Spitze der Mani-Halbinsel und zugleich den südlichsten Punkt des griechischen Festlands sowie – nach dem spanischen Tarifa – das zweitsüdlichste Kap Europas (und, nicht zu vergessen, den vermeintlichen Eingang zum Hades) umrunden und damit vom Messenischen in den Lakonischen Golf wechseln. Normalerweise gilt die Rundung als nicht gerade einfach, weil die hohen Berge der Mani-Halbinsel für kräftige Winde sorgen – nun, heute scheint eine Ausnahme zu sein … wieder müssen wir den Motor zu Hilfe nehmen, um nicht vor dem Kap für die Nacht einzuparken.

Vor Porto Kagio

Nur wenig nördlich finden wir einen Ankerplatz in der Bucht von Porto Kagio; statt wie die anderen Boote vor dem kleinen Ort zu ankern, entscheiden wir uns aber für einen einsamen Strand an der Westseite. Im zweiten Anlauf hält auch der Anker, aber ein Tauchgang enthüllt die ganze Wahrheit: der vermeintliche Sand ist nackter Fels, und die Spitze des Ankers hat sich hinter einer faustgroßen Felsnase verhakt … nun ja, es gefällt uns hier, also hoffen wir darauf, dass sich der Zugwinkel der Kette nicht ändert und wir nicht mitten in der Nacht vom Ankeralarm unsanft geweckt werden 🙂

Elafonisos

Nach einer etwas angespannten Nacht – der Anker hat zwar gehalten, aber darauf zu warten, dass er es nicht tut, ist doch nicht so entspannend – brechen wir am Donnerstagmorgen zur Querung des Lakonischen Golfs auf; knapp 30 Seemeilen liegen vor uns, und heute soll es endlich mal Wind geben!

Die Ostseite von Elafonisos ist schon toll …

Den gibt es auch tatsächlich – je weiter wir uns von den schützenden Bergen der Mani-Halbinsel in unserem Rücken entfernen, desto mehr legt es zu, und entsprechend höher werden die Wellen. Aber dafür sind wir – nur unter Klüver – recht schnell, und schon gegen 15 Uhr liegt unser Ziel, die kleine Insel Elafonisos vor der Südspitze des dritten ‘Fingers’ der Peloponnes, vor uns. An ihrer Südseite finden sich zwei außerordentlich schöne Ankerbuchten, aber die inzwischen ein bis zwei Meter hohe Windsee läuft zu sehr hinein, so dass wir die Südostpitze der Insel noch runden und vorm Strand von Leukes an der Ostseite trotz 30 Knoten Wind einen ruhigen Ankerplatz finden.

… aber die Ankerbucht an der Südseite stellt das noch in den Schatten!

Auch hier ist es schon sehr schön, aber wir wollen doch auch die Doppelbucht im Süden erleben, und so verholen wir uns am nächsten Morgen, als der Westwind sich gelegt hat, drei Seemeilen zurück in die Bucht von Akra Elena. Diese kleine Halbinsel trennt einen viele Kilometer langen Sandstrand in zwei ungleiche Teile, und in der Tat ist es toll hier: das Wasser ist perfekt klar, und der endlose weiße Sandgrund lässt es in allen Blau- und Türkistönen leuchten. Herrliche Strände erstrecken sich so weit das Auge reicht, und gerade mal eine Handvoll Menschen bevölkern dieses kleine Paradies – keine Hotels, keine lärmende Musik, nichts! So etwas gibt es wohl nur noch in Griechenland: karibische Traumstrände, und niemand ist da … auch keine anderen Yachten, wir sind allein – und bleiben es die nächsten zwei Tage.

Hinreißend: die Doppelbucht im Süden von Elafonisos

Wir landen am Strand an und erwandern die Umgebung der Bucht; von der höchsten Erhebung der Halbinsel bietet sich ein unvergesslicher Anblick: Elafonisos hat sich spontan den Spitzenplatz unserer besten Ankerbuchten erobert!

Ormos Kamili

Am Sonntagmorgen verlassen wir schweren Herzens unsere Traumbucht, für die übernächste Nacht zeichnet sich nämlich ein Frontendurchzug mit Starkwind aus Süd ab, und da wäre es ganz schnell vorbei mit dem Paradies …

Akrotirio Maleas querab

Wir segeln mit noch sehr gemächlichem Wind unter Gennaker gen Osten; nach einigen Stunden runden wir Akrotirio Maleas, das Kap am Südende der Lakonischen Halbinsel – und damit sind wir nun nicht mehr im Ionischen Meer, sondern in der Ägäis! Ein tolles Gefühl, nach weit mehr als 5000 Seemeilen das (inoffizielle) Ziel im Mittelmeer erreicht zu haben 🙂

Wie so häufig frischt es direkt ums Kap etwas auf, aber das Schicksal von Odysseus, der hier auf der Heimreise von einem Sturm 9 Tage gen Süden vertrieben wurde, bleibt uns erspart; wir erreichen am Abend die wenig frequentierte Ankerbucht Ormos Kamili. Zunächst fragen wir uns, warum hier kaum jemand ankern mag, landschaftlich hat sie doch alles zu bieten; erst in der Nacht, als plötzlich Fallwinde aus den Bergen auftreten, erkennen wir ihre Nachteile: der ganze Grund besteht aus PKW-großen Felsplatten mit kaum mal einem Sandflecken dazwischen. Wir haben uns zwar alle Mühe gegeben den Anker in einem solchen zu platzieren, aber mit den einsetzenden Böen schrubbert die Kette über die Felsen, bleibt immer mal wieder in den Kanten hängen, löst sich dann schlagartig – was das Boot mit kleinen Bocksprüngen quittiert. Da der Wind auch stundenlang nicht nachlassen will und mit 5 bis 7 Windstärken auf uns einprügelt (die Wettervorhersage sprach von Windstärke 2 …), wird die Nacht (mal wieder) äußerst unergiebig.

Monemvasia

Dafür sind wir am nächsten Morgen in einer guten Startposition, um uns einen Liegeplatz im nur noch 10 Seemeilen entfernten Stadthafen von Monemvasia zu sichern, wir erwarten nämlich in Anbetracht des angesagten Frontendurchzugs noch einigen Andrang. Der Hafen bietet perfekten Schutz: stabile Betonpiers, teilweise sogar mit Strom- und Wasseranschlüssen, und ein freies WLAN gibt es auch noch – und das alles kostenlos! Unsere Begeisterung wird etwas gedämpft, als jemand auf einem Roller vorgefahren kommt und uns mitteilt, wir dürften hier auf keinen Fall längsseits liegen, nur vor Buganker und Heckleine – in Griechenland ja durchaus üblich, aber wenn 50 Knoten Seitenwind drohen keine allzugute Idee; selbst wenn noch andere Boote kommen, sollten die sich lieber hinter uns einreihen und schließlich Päckchen bilden. Ein anderer Segler rät uns aber, das zu ignorieren, das sei nur ein selbsternannter Ordnungshüter ohne jede Befugnis.. Um sicher zu gehen rufen wir bei der zuständigen Hafenbehörde an, und siehe da, wir können uns auf Englisch verständigen (undenkbar in Spanien!), und man hat auch überhaupt kein Problem mit unserem Ansinnen – warum auch, der Hafen ist halb leer und bleibt es auch zum Abend.

Monemvasia – das bedeutet ‘nur ein Zugang’ …

Die Nacht wird wie erwartet stürmisch, aber am nächsten Morgen ist die Welt wieder in Ordnung, und wir machen uns auf den Weg, das alte Monemvasia zu erkunden. Die byzantinische Gründung liegt am Hang und auf der Spitze einer steil aufragenden Insel, die mit dem Festland nur mit einer kleinen Brücke verbunden ist. Mehrere Befestigungsreihen halten unerwünschte Besucher ab, und das – aufgrund der besonderen Lage – so erfolgreich, dass der Ort als das ‘Gibraltar des Ostens’ bezeichnet wurde. Was nutzt es aber, eine kleine Festung zu halten, wenn alles drumherum erobert ist – und so durchlief auch Monemvasia die üblichen Phasen osmanischer und venezianischer Herrschaft.

Die Unterstadt ist heute ein wirklich sehenswertes Touristenziel …

Nach der griechischen Unabhängigkeit 1821 wurde der Ort nach und nach verlassen – was den großen Vorteil mit sich bringt, dass bis zu seiner touristischen ‘Wiederentdeckung’ praktisch nichts verändert worden ist. Die von steilen Mauern geschützte Unterstadt ist ein Gewirr winziger Gassen zwischen den völlig unregelmäßig in den steilen Hang gebauten Häusern, von denen viele liebevoll restauriert sind und Cafés, Restaurants und kleine Hotels beherbergen.

… der Weg auf die Festung beschwerlich …

Eine endlose Treppe führt ganz hinauf in die eigentliche Festung; hier ist viel mehr verfallen, aber dennoch bekommt man noch einen guten Eindruck von der ursprünglichen Anlage – und die Ausblicke von hier oben sind begeisternd! Leicht kann man sich beim Blick herab auf die steile, gewundene Treppe vorstellen, dass dieser Ort praktisch uneinnehmbar war – und die Bewohner ziemlich sportlich, denn schließlich musste ja auch alles und jedes hier heraufgeschleppt werden!

An Siziliens Südküste (03.09. – 20.09.)

Am Mittwochvormittag bleiben wir erst mal noch etwas am Ankerplatz, während eine kleine Front durchzieht, um uns dann auf deren Rückseite auf den Weg zur Überfahrt nach Sizilien zu machen, der größten Insel im Mittelmeer; gut 160 Seemeilen liegen vor uns, und laut der auf den aktuellen GRIB-Daten basierenden Berechnung soll die Reise gut 50 Stunden dauern, ganz ohne Motoreinsatz – man darf gespannt sein …

Malerischer Abendhimmel auf dem Weg nach Sizilien

Die ersten Stunden entsprechen schon einmal nicht der Wettervorhersage: während wir eigentlich wenig Wind haben sollten, sind wir zügig unterwegs, und parallel zu uns bewegt sich eine drohend-dunkle Wolkenwand. Die eigentlich durchgezogen geglaubte Front hat wohl noch mal Verstärkung geholt … es wird aber nicht unangenehm, und wir freuen uns über die unverhofft gute Fahrt. Am späten Nachmittag reißt dann auch der Himmel komplett auf, der Wind lässt deutlich nach, und am Abend bekommen wir mal wieder einen hinreißenden Sonnenuntergang – auf See ist der Himmel einfach immer am schönsten!

In der Nacht und am ganzen folgenden Donnerstag versuchen wir, die beobachteten Windrichtungen und -stärken (besser sollte man von ‘Windschwächen’ reden) mit der Wettervorhersage in Einklang zu bringen – vergeblich: eigentlich sollte der Wind eine Drehung über Südwest auf Nordwest durchlaufen und nie unter 7-8 Knoten fallen, tatsächlich bleibt er aber bei Süd, bis er sich in Nichts auflöst. Entsprechend versuchen wir unzählige Male die Segelstellung anzupassen und tauschen mehrfach die gesamte Garderobe durch, aber letztendlich muss dennoch der Motor gestartet werden, wenn wir nicht auch noch eine dritte Nacht für die eigentlich übersichtliche Passage aufwenden wollen.

Erst am Donnerstagabend setzt wieder Wind ein – aus Nordost … aber besser am Wind segeln als motoren! Nach Sonnenuntergang bietet sich uns ein besonderes Schauspiel: der östliche Horizont wird zunächst völlig schwarz, Himmel und Meer sind nicht mehr auseinanderzuhalten, als auf einmal mitten in dieser Schwärze eine blutrote Glut aufflammt, und darüber ein paar Wolkenstreifen beginnen, orangerot zu brennen! Bricht da auf Sizilien gerade ein Vulkan aus? Nein, obwohl es wirklich so aussieht: der Vollmond geht auf!

Der Wind legt immer weiter zu – auch das war nicht vorhergesagt. Wir reduzieren die Segel, bis wir schließlich mit zweitem Reff im Groß und Kuttersegel bei bis zu 25 Knoten am Wind gen Osten eilen. Im ersten Tageslicht sehen wir Land: die Sizilien vorgelagerten Ägadischen Inseln liegen vor uns.

Der Wind lässt auch etwas nach, so dass wir schon kurz nach 10 Uhr problemlos den Hafen von Marsala ansteuern können. Dort bekommen wir einen Liegeplatz in der Marina Mothia und können uns erst mal etwas von dieser Überfahrt erholen, deren Windverhältnisse höchstens im Mittelwert etwas mit der Vorhersage zu tun hatten.

Marsala
Die Kathedrale von Marsala

Die westlichste Stadt Siziliens ist eine karthagische Gründung und trug zunächst den Namen Lilybaion; als Folge des Ersten punischen Krieges wurde sie 241 v. Chr. – trotz jahrelanger Belagerung unerobert – an das Römische Reich abgetreten. Den heutigen Namen erhielt sie erst 1000 Jahre später durch die Araber (مرسى علي, ‘Marsā ʿAliyy‘), und bekannt geworden ist sie durch den gleichnamigen Likörwein, den wir in Deutschland gerne mal nach dem Essen beim Italiener ausgeschenkt bekommen.

Grüne Oase in einem Innenhof

Selbstredend decken wir uns hier mit dieser Spezialität ein, aber auch einen Rundgang durch die Stadt lassen wir uns nicht entgehen: viele prachtvoll restaurierte historische Gebäude säumen stimmungsvolle Straßen und Plätze, dazwischen finden wir Ausgrabungsstätten mit antiken Gemäuern. Auf der anderen Seite fällt aber auch auf, wie schnell sich das Stadtbild abseits der hergerichteten Straßen verändert: hier sieht es eher heruntergekommen aus, viele ehemals durchaus sehenswerte Bauten sind dem Verfall preisgegeben. Marsala ist wohl kein typisches Touristenziel, und das sieht man halt …

Spiaggia di Mazara

Am Samstagmorgen schleppen wir zunächst 80 Liter Diesel von einer nahegelegenen Straßentankstelle heran – es gibt zwar auch eine Bootstankstelle, aber die verlangt einen Aufpreis von stolzen 32 Cent pro Liter! Mit € 1,28 ist es so schon nicht gerade geschenkt – ach, wie schön wäre es doch gewesen, in Tunesien tanken zu können, dort soll der Diesel um die 50 Cent kosten …

Kurz darauf verlassen wir die Marina; mit etwa 17 Seemeilen entlang der sizilianischen Küste liegt zwar kein langer Weg vor uns, aber viel Wind gibt es auch nicht, und die Flaute kommt auch noch – wie sollte es anders sein – von vorne. Die vorbeiziehende Küste bietet einen eher unspektakulären Anblick (die hohen Vulkane Siziliens finden sich eher am gegenüberliegenden Ende der großen Insel und sind von hier natürlich nicht zu sehen), aber wir genießen das entspannte Leichtwindsegeln ohne große Streckenvorgabe bei allerschönstem Sonnenschein.

Abendhimmel überm Capo Feto

Als Übernachtungsplatz haben wir uns den Strand vor der Fischereistadt Mazara del Vallo ausgeschaut; dieser bietet zwar keinen nennenswerten Schutz, aber diese Eigenschaft teilt er sich mit dem gesamten Rest der 160 Seemeilen langen Südwestküste … wir bekommen noch einen tollen Abendhimmel geboten, der Lärm von den Strandbars hält sich auch in erträglichen Grenzen, und windmäßig ist die Nacht auch völlig ruhig – wäre da nur der Schwell nicht, der die ‘Orion’ die ganze Nacht von der einen Seite auf die andere rollen lässt 🙁

Selinunte

Entsprechend übermüdet machen wir uns am nächsten Morgen wieder auf den Weg weiter die Küste entlang; es weht wenig Wind, und der kommt uns natürlich entgegen, aber wir nehmen es sportlich und kreuzen gegen die Flaute auf, so dass doch etliche Seemeilen durchs Wasser zusammenkommen, bis wir am frühen Abend vorm Strand von Selinunte ankern. Überm Strand ragen die Ruinen alter Tempel auf: die Siedlung ist eine Gründung dorischer Griechen aus dem 7. Jahrhundert v. Chr. und wuchs sehr schnell an Größe und Bedeutung; mit dazu bei trugen die hervorragenden Bedingungen für die Landwirtschaft – bei der heutigen kargen Landschaft schwer vorstellbar, dass Sizilien bis zur Abholzung durch die Römer eine recht fruchtbare Insel war.

Ankern vor der Akropolis von Selinunte

Der Schwell am Ankerplatz ist im Vergleich zur vorhergehenden Nacht nicht besser geworden, im Gegenteil – die Nacht wird sehr unerbaulich, und am nächsten Morgen brechen sich die Wellen so hoch am Strand, dass eine Landung mit dem Dinghi kaum aussichtsreich erscheint. Da wir aber unbedingt die Ausgrabungsstätten ansehen wollen, bleiben wir erst mal den ganzen Montag vor Anker liegen und warten auf bessere Bedingungen.

Die kommen mit dem Dienstag, und wir setzen zum Strand über; nach einem kleinen Umweg durch den Ort (es kommen wohl nur wenige Besucher vom Wasser …) erreichen wir den Eingang zum  Parco Archeologico. Für 6 € Eintritt gibt es eine Menge zu sehen: allein das parkartige und äußerst ausgedehnte Gelände ist schon sehr ansprechend, aber die Vielzahl der darüber verteilten historischen Stätten begeistert uns richtig: nicht nur ein gutes Dutzend Tempel liegen darin verstreut, sondern die Reste einer sehr großen, antiken Großstadt ragen aus dem Sand. Wie umfangreich war diese Stadt, wie städtebaulich durchgeplant angelegt – und das vor mehr als zweieinhalbtausend Jahren! Das zivilisatorische Niveau zur Zeit der griechischen Kolonien von Magna Graecia ist überaus beeindruckend – und fand ein jähes Ende mit der Eroberung durch die Karthager 409 v. Chr.; danach wurde die Stadt zwar teilweise wieder aufgebaut, fand aber nie zu alter Größe zurück, bis sie im Ersten Punischen Krieg 250 v. Chr. von den Römern endgültig zerstört wurde.

Den Rest erledigten dann diverse Erdbeben und von diesen ausgelöste Flutwellen, die auch die monumentalen Tempel in sich zusammenstürzen ließen; den gewaltigen Steinblöcken und -trommeln, aus denen diese errichtet waren, konnte all dies aber nichts anhaben, sie zeugen heute noch vom Glanz längst vergangener Zeiten. Teile einiger Tempel wurden von den Wissenschaftlern im Laufe der letzten 100 Jahre wiedererrichtet, und so ist eine gelungene Mischung aus Originalfundstätten und wiederbelebter Geschichte entstanden – wirklich ein Erlebnis!

Nach der Rückkehr auf die ‘Orion’ verbringen auch den dritten Abend noch vorm Strand vor Selinunte, um noch einmal die Sonne hinter der Akropolis untergehen zu sehen – wahrlich ein besonderer Ankerplatz (wenn nur der Schwell nicht wäre …)!

Sciacca
Im Hafen von Sciacca

Am Mittwoch verlassen wir Selinunte und folgen der Küste weiter bis Sciacca; hier finden wir außerordentlich freundliche (und mit 40 € für hiesige Verhältnisse günstige) Aufnahme an der Steganlage der Lega Navale, einem landesweit operierenden Wassersportverein. Die 40.000 Einwohner zählende Kleinstadt ist – selbstredend – sehr alt, hat aber keinen herausragenden Platz in der Geschichte eingenommen (bemerkenswerte Ausnahme ist die mittelalterliche Geschichte zweier verfeindeter Familien, deren Kämpfe ein Jahrhundert lang die Geschicke der ganzen Stadt maßgeblich bestimmt haben – als hätte sich Shakespeare auf Sizilien inspirieren lassen …).

In der Altstadt von Sciacca

Dennoch – oder gerade deswegen – gefällt es uns hier wirklich gut; auch abseits der historischen Bauten wirkt die Stadt nicht so heruntergekommen wie wir es z.B. in Marsala empfanden. Lediglich der Straßenlärm – hervorgerufen durch tausende Fahrzeuge in verschiedenen Verfallszuständen  mit zwei bis vier Rädern und deren ununterbrochenes Hupkonzert – ist für den gemeinen Nordeuropäer etwas schwer zu ertragen und setzt dem Sightseeing dann doch irgendwann ein Ende.

Eigentlich wollten wir am Donnerstagmittag Sciacca wieder verlassen, aber ein kleiner Unfall beim Ablegen verhindert das erst einmal und bringt uns statt dessen die nähere Bekanntschaft des italienischen Gesundheitssystems ein – eine Erfahrung, auf die man durchaus auch verzichten kann …

Eine Woche später, am Donnerstag den 17., versuchen wir es dann erneut – und diesmal können wir den Hafen von Sciacca (der in den vergangenen 8 Tagen ein kleines Vermögen an uns verdient hat – nein, Wochenpreise gibt es leider nicht) sogar unfallfrei verlassen …

Schneeweiß leuchtet das Capo Bianco gegen die blaue See

Die Wettervorhersage für Donnerstag und Freitag ist eigentlich optimal – tagsüber jeweils frischer Westwind bei sonnigem Wetter; das Problem ist nur die Nacht dazwischen: besagter Wind sorgt für knapp zwei Meter Welle, und die verschwindet leider auch über Nacht, wenn der Wind sich legt, nicht mal eben – und geschützte Ankerplätze gibt es halt keine, ebensowenig wie passend gelegene Häfen. Wohl oder übel müssen wir also gleich eine Nacht durchfahren – und natürlich gibt es auch noch mehr Wind als angesagt … aber wenigstens machen wir gut Strecke, und die ‘Orion’ zieht – zeitweise bei fast 30 Knoten Rückenwind nur unter Kuttersegel mit dennoch 5-6 Knoten Fahrt – ihre Bahn, während die Windsteueranlage das Steuern übernimmt. So erreichen wir am Freitagmittag nach knapp 130 Seemeilen die Bucht von

Portopalo di Capo Passero

Gelegen am äußersten Südostende Siziliens, bietet diese geräumige Bucht den einzigen brauchbaren Ankerplatz an der gesamten Südküste. Sie beherbergt einen kleinen Fischereihafen, und hat wahrscheinlich deshalb noch zwei steinerne Molen spendiert bekommen, die den ohnehin schon guten Schutz noch verbessern. Landschaftlich spektakulär ist die Bucht nicht, aber außer bei Südwind hat man hier endlich mal Ruhe vorm Schwell – was wir erst mal für zwei Pausentage nutzen, während derer sich auch kaum ein Lüftchen regt.

Auf dem höchsten Punkt von Portopalo steht der schmucke Leuchtturm

Am Samstag setzen wir mit dem Dinghi an den Strand über und laufen knapp zwei Kilometer bis zum Ort Portopalo; hierhin scheint sich kaum ein Tourist zu verirren, und wir bekommen ein Stück ‘Echtes’ Sizilien zu sehen: am Strand baden Familien, und vor den (zahlreichen!) Cafés und Bars sitzen die alten Herren im Schatten und tauschen sich über die Neuigkeiten aus. Wir bekommen eine herrlich erfrischende Granita zum untouristischen Preis und können im Dorfsupermarkt nochmal Vorräte ergänzen – ganz wichtig, wir planen nämlich die Überfahrt nach Griechenland!

Mindestens 330 Seemeilen sind es übers Ionische Meer vom Ende Siziliens bis zum nächstgelegenen Punkt auf dem Peloponnes – also vergleichbar weit wie über die Nordsee von Borkum bis Utsira. Die Wettervorhersage verspricht ziemlich gute Bedingungen – nicht zu viel Wind, aber auch nicht zu wenig. Natürlich beobachten wir über das ganze Wochenende, ob und wie sich die Vorhersagen verändern: Sonntag ist es teilweise etwas mehr geworden, teilweise etwas weniger – die Spannung wird immer größer, wie es Montagmorgen aussieht …

Sardinien (29.06. – 02.09.)

 Am frühen Sonntagmorgen geht es los, nach einer letztlich dann doch eher unruhigen Nacht, da eine am späten Abend noch in die Cales Coves eingelaufene Yacht meinte, die Nacht für eine laute Party nutzen zu müssen …

Mit allzuviel Wind war ja nicht zu rechnen, so dass wir eher positiv überrascht waren, ab der Illa de l’Aire einige Stunden schön segeln zu können; dann war es aber auch vorbei damit, die nächsten 16 Stunden musste der Motor uns durch die Flaute schieben, damit wir wenigstens am nächsten Tag den weiter östlich wehenden Wind erwischen.

So kommt es tatsächlich auch: am Montag beginnt sich ein zaghafter Nordwestwind zu regen, der am Nachmittag immerhin um 15 Knoten erreicht, so dass die ‘Orion’ unter Großsegel und Code Zero gute Fahrt macht. Während der gesamten Überfahrt ist der Himmel strahlend blau, und die Sonne brennt auf uns herab – am Nachmittag wird das schon unangenehm, weil man sich nirgendwo an Deck davor verstecken kann; dafür gibt es, wie so oft auf hoher See, die traumhaftesten Sonnenuntergänge und den unglaublichsten Sternenhimmel.

Unser blinder Passagier – keine Maus weit und breit ….

Etwas verblüfft sind wir, als sich am späten Montagnachmittag ein gefiederter Besucher einfindet, der zunächst etliche unterschiedliche Ruheplätze ausprobiert und sich dann für die Dampferleuchte als Nachtquartier entscheidet – was hat der hier verloren, Mäuse gibt es im Umkreis von mehreren 100 Kilometern garantiert keine?!? Wie wir aber später durch fachkundige Beratung erfahren, handelt es sich um einen Turmfalken, der durchaus weite Strecken zurücklegen und das Mittelmeer überqueren kann; unser Exemplar jedenfalls scheint sich schon etwas übernommen zu haben und ist dankbar für die schwimmende Insel. Am nächsten Morgen – wir können noch kein Land sehen, er aber vielleicht schon – macht er sich wieder auf den Weg Richtung Osten.

Capo Caccia

Wenig später zeichnet sich dann auch die Silhouette Sardiniens am Horizont ab, wir brauchen aber noch bis zum Abend, bis wir nach 200 Seemeilen und 60 Stunden die im spektakulären Capo Caccia auslaufende Steilküste erreichen und hinter dem Kap in der ausgedehnten Bucht Porto Conte einen Übernachtungsplatz suchen. Die ganze Umgebung ist ein Meeresschutzgebiet, das Ankern auf Seegras ist verboten – was bedeutet, effektiv überall; aber es gibt ein Feld mit Muringbojen, die kostenlos (!) benutzt werden dürfen. So fällt es uns etwas leichter als auf den Balearen, daran zu glauben, dass es hier um den Naturschutz und nicht ums Geldverdienen geht …

Die Rückseite der Steilküste besteht aus dicht bewaldeten, grünen Hügeln, und die Umgebung ist ruhig und idyllisch – der ideale Ort, um sich auch am folgenden Tag noch vom Schlafmangel der ansonsten ja unproblematischen Überfahrt zu erholen. Die Temperatur stellt dabei neue Rekorde auf, knapp 40 Grad im Schatten wird es am Nachmittag, und das Wasser hat 27 Grad – es ist Juli, der Sommer ist da!

Alghero
Hinter dicken Festungsmauern blickt Alghero aufs Meer

Frisch und ausgeruht legen wir am Donnerstagmorgen die wenigen Seemeilen bis in den Hafen von Alghero zurück. Die Aufnahme in der Marina ist sehr freundlich – und sehr italienisch, Lorenzo, der unsere Leinen entgegennimmt, könnte jeder klischeebeladenen TV-Produktion über Italien entstiegen sein. Die Marina Ser-Mar ist familiengeführt und wirklich sympathisch; nur Duschen kann man uns nicht anbieten, das ist leider wegen Corona verboten … ansonsten scheint man es aber nicht so genau mit den Vorschriften zu nehmen, von den Masken, deren Gebrauch laut offiziellen Verlautbarungen schon beim Anlegevorgang verpflichtend ist (bei knapp 40 Grad im Schatten!), sieht man beim Personal nichts; auch nicht im kleinen Büro, wo es statt dessen einen kräftigen Händedruck gibt – in Spanien unvorstellbar, aber zweieinhalb Jahrtausende Zivilisation lassen sich halt auch durch einen Virus nicht mal eben auslöschen.

Auf der Stadtmauer

Alghero, die mit etwa 44.000 Einwohnern fünftgrößte Stadt Sardiniens, stellt aufgrund seiner Geschichte den idealen Übergang nach den vielen Monaten in Spanien dar: im Jahre 1354 wurde die Stadt von Katalanen erobert und die einheimische Bevölkerung fast vollständig verdrängt, wodurch Kultur und Baustil sehr stark katalanisch geprägt sind; selbst die Sprache hat sich gehalten, alle Straßenschilder sind zweisprachig, und viele alte Menschen sprechen noch einen katalanischen Dialekt. Dennoch sind wir unverkennbar in Italien: an jeder Ecke gibt es Pizza und Gelato, und die Inneneinrichtungen der Geschäfte scheinen alle zu einer Designausstellung zu gehören.

Alghero: pittoreske Gassen …

Die Häuser, Gassen und Plätze der Stadt bieten aber auch die passende Kulisse: alles ist äußerst pittoresk und strömt förmlich Geschichte aus. Zusammen mit dem Italienisch, welches so betont und melodisch wie wohl kaum eine andere Sprache ist, ergibt sich ein äußerst stimmiges Bild: ja, wir sind in Bella Italia!

… und Plätze durchziehen die Altstadt

Wir laufen Stunden durch die historische Altstadt, essen natürlich ein köstliches Eis, kaufen viel zu viel Lebensmittel ein – alles sieht so verlockend aus – und holen uns zum Abendessen eine Pizza zum Mitnehmen, die wir auf einem lauschigen Platz im Schatten verzehren. Ein kulinarisches Erlebnis, für dessen Beschreibung kaum Worte zu finden sind – mit dem in Deutschland erhältlichen, gleichnamigen Lebensmittel aus oft pakistanisch-chinesisch-türkischer Produktion hat es jedenfalls nichts gemein. Und riesengroß war der Traum mit Mozzarella di Bufala auch noch – und mit 6 € geradezu absurd günstig. Ach, könnte man diesen Künstler seines Fachs doch in die niedersächsische Provinz locken …

Bosa

Am Freitag besuchen wir noch den Markt von Alghero, gegen Mittag verlassen wir dann den Hafen und machen uns auf den Weg weiter nach Süden. Heute weht der Mistral, von dem wir auf der Überfahrt etwas mehr hätten gebrauchen können, umso kräftiger; besonders die Wellen, die sich auf den mehreren hundert Seemeilen Anlaufstrecke aufbauen, sind beeindruckend. Nur unter Vorsegel rauschen wir so mit 6 Knoten dem Tagesziel Bosa entgegen, wo wir einen Liegeplatz in der am Fluss Temo gelegenen Marina finden (im wahrsten Sinne des Wortes, denn auf den Ruf per UKW reagiert niemand, so dass wir schließlich in eine beliebige freie Box einfahren; beim Besuch beim freundlichen Hafenmeister stellt sich dann heraus, dass das Funkgerät ausgeschaltet war, was aber seinem sonnigen Gemüt keinerlei Kummer bereitet).

Bosa mit dem Castello Malaspina im Hintergrund

Erst am nächsten Vormittag besuchen wir den zwei Kilometer flussaufwärts gelegenen, kleinen Ort, der malerisch von einer Burg aus dem 12. Jahrhundert überragt wird. Hier ist es bei weitem nicht so touristisch wie in Alghero, die alte Bausubstanz ist auch nicht so herausgeputzt, aber dafür sehen wir ein Stück sardischen Alltag – und erstehen allerköstlichste Dolci Sardo, ein Oberbegriff für unzählige Arten kunstvollen Kleingebäcks, für die es eigene Geschäfte gibt, in denen der Einkauf schon zum Erlebnis wird.

Am Nachmittag verlassen wir die Marina, um gleich hinter der Mole an der Mündung des Temo wieder zu ankern – für die Weiterfahrt ist es zu spät und zu windig, aber das Liegegeld für eine weitere Nacht wollen wir uns sparen; zwar ist Bosa mit 42 € der günstigste Ort an der gesamten Küste, aber geschenkt ist es nun auch nicht gerade ….

Cala Saline

Am Sonntag hat es sich erst mal ausgeweht, so dass wir erst gegen Mittag, als sich der erste thermische Wind regt, am Anker das Großsegel setzen und dann diesen aufholen. 19 Seemeilen führt uns der Weg entlang der Küste gen Süden, und das unter idealen Bedingungen: um 10 bis zunehmend 15 Knoten Halbwind, die ‘Orion’ fühlt sich wohl und rauscht unter Vollzeug durchs Wasser – ach, könnte man den Wind doch fest auf Stärke 4 einstellen …

Vor Capo Mannu

Vorbei zieht eine windgebeutelte Küste, die sich unter dem ständigen Mistral wegzuducken scheint, mit hohen Bergzügen im Hintergrund – Sardiniens Inland verfügt über ausgedehnte Gebirge mit über 1800 Metern Höhe. Schließlich runden wir das Capo Mannu und finden dahinter, am Strand von Cala Saline, zwischen den Orten Porto Mandriola und Putzu Idu, etwas Schutz vor dem wie immer aus Nordwest anrollenden Schwell.

Hochbetrieb am Strand der Cala Saline

Am Strand und in der Bucht ist eine Menge los, und anders als in Spanien hält man hier nicht viel von Absperrungen: Schwimmer, Surfer, Segler und Motorboote tummeln sich in einem bunten Durcheinander. Geht offenbar auch, und macht es uns leicht, einen guten Ankerplatz auf Sand zu finden.

Nach Sonnenuntergang verlegt sich der Badebetrieb in mehrere Beach-Bars, doch der Abstand zu Strand ist groß genug, dass die Musik hinreichend gedämpft in die Koje dringt, um ausreichenden Schlaf zu ermöglichen.

Tharros

Auch am Montag lohnt es sich, mit dem Aufbruch etwas zu warten: erst gegen 11 Uhr regt sich der erste, zaghafte Nordwestwind. Bis zur kommenden Nacht soll dieser aber deutlich zulegen: vom Golfe du Lion weht mal wieder der Mistral mit 8 bis 9 Beaufort übers Mittelmeer; soviel Wind soll hier zwar nicht ankommen, aber genug Schwell: angesagte 3 Meter signifikante Wellenhöhe erfordern den richtigen Zufluchtsort für die Nacht. Der ist an dieser Küste gar nicht so leicht zu finden, nicht umsonst heißt es, dass die meisten Segler die Westküste Sardiniens meiden und lieber die nicht dem Mistral ausgesetzte Ostküste entlangfahren.

Vor Tharros

So sind wir auch nicht allzu zuversichtlich, als wir die hinter der Sinis-Halbinsel liegende Bucht von Tharros anlaufen, doch der Platz erweist sich als hervorragend geschützt, kein bisschen Welle kommt um die Landspitze herum. Wieder einmal zeigt es sich, dass sich die Qualitäten eines Ankerplatzes (oder dessen Mangel an solchen) kaum an der Seekarte ablesen lassen, lokale Gegebenheiten wie der Tiefenverlauf und die Beschaffenheit des Meeresbodens spielen eine zu große Rolle.

Ankern darf man hier nicht, da es sich um ein Naturschutzgebiet handelt, aber es gibt ein Feld mit Muringbojen. Diese sind zwar nicht kostenlos wie in Porto Conte, aber gegen akzeptable 15 € pro Nacht zu benutzen – wenn man erst mal dahintergekommen ist, wie man diesen Obolus zu entrichten hat, die notwendigen Informationen zum nicht unkomplizierten Prozedere (Banküberweisung und anschließende Übermittlung der Überweisungsbestätigung an eine Mailadresse) sind nämlich ausschließlich auf Italienisch in den Tiefen etlicher Untermenüebenen der Webseite zu finden – und die Guardia di Finanza (ja, in Italien gibt es eine eigene Finanzpolizei!) kommt kontrollieren und verhängt empfindliche Bußgelder gegen ahnungslose Ausländer …

Nichts als Ruinen, aber davon eine Menge …

Der hervorragende Schutz dieser Bucht hat schon in der Bronzezeit zu einer Besiedlung geführt; die Phönizier bauten diese zur Stadt aus, die zur Zeit der Punier zu einer bedeutenden Hafenstadt wuchs. Nach der Eroberung durch die Römer war diese unter dem Namen Tharros bekannt. Heute stehen hier nur noch Ruinen – wie und wann es zur Zerstörung oder Aufgabe der Stadt kam, ist nicht genau bekannt.

Das Bojenfeld liegt direkt vor den Ruinen – Baden mit Aussicht auf über 3000 Jahre Geschichte, während wenige 100 Meter entfernt, auf der anderen Seite der Halbinsel, mächtige Wellen gegen die Felsen laufen, das hat schon was!

Wir bleiben noch eine weitere Nacht an der Muringboje vor Tharros, denn auch wenn der Wind sich auf zum Segeln geeignete Stärken beruhigt hat, so steht immer noch ein Schwell von gut 2 Metern, und es gibt voraus in erreichbarer Entfernung keinen einzigen Ankerplatz oder Hafen, in dem man bei solchen Bedingungen übernachten könnte.

Spiaggia di Funtanazza

Tags drauf sieht das anders aus: weniger als 1 Meter Schwell, Tendenz weiter abnehmend – dafür natürlich kein Wind mehr. Doch wie schon zuvor lohnt es sich zu warten: gegen 11 Uhr regt sich das erste Lüftchen aus West, und dann kann man den ganzen Nachmittag herrlich segeln. Der thermische Seewind scheint sich sehr zuverlässig einzustellen, wird – ohne Überlagerung mit ‘echtem’ Mistral – nicht sehr stark, aber gerade stark genug, um zügiges und entspanntes Vorankommen unter vollem Tuch zu ermöglichen – so dürfte das immer sein!

Vorbei zieht eine Küste, an der sich Strände und felsige Abschnitte abwechseln, mit zunehmend hohen Bergen im Hintergrund, und die sehr dünn besiedelt ist – oder gar nicht, wie das umfangreiche militärische Sperrgebiet ums Capo Frasca. Hier schießt die NATO mit uran- und thoriumhaltiger Munition; die Krebsraten und Missbildungen bei Kindern in der Umgebung steigen dementsprechend, aber das ist natürlich kein Grund, dies zu unterlassen – und direkt nebenan befindet sich das Naturschutzgebiet, in dem man mit dem Anker keinen Posidonia-Halm krümmen darf! Ob da wohl mit zweierlei Maß gemessen wird?

Vor Funtanazza – die Hotelruine gerade nicht im Bild …

Aber im Sommer ruht in Italien alles, auch die so wichtige ‘Verteidigung’, und so können wir ohne großen Umweg (und ohne beschossen zu werden) durch das äußere Sperrgebiet segeln. Am Nachmittag werfen wir den Anker vorm Strand von Funtanazza – auch hier unberührte Natur, mit einer nicht zu übersehenden Ausnahme: am Ufer steht riesengroß die Ruine einer Ferienanlage, welche für die Familien von Minenarbeitern in den 1950er Jahren errichtet wurde. Das sieht regelrecht unheimlich aus, aber ansonsten ist es hier schön, und tatsächlich wird der Schwell aus Nordwest immer weniger, so dass wir eine ruhige Nacht verbringen.

Spiaggia di Portixeddu
Vor Portixeddu

Am Donnerstag verfolgen wir die gleiche Taktik: erst mal warten bis sich der erste Westwind regt, und dann das Großsegel hoch und den Anker gelichtet, ohne die Maschine zu starten. Die als so zuverlässig gelobte Thermik zeigt sich heute aber prompt launisch: nach 10 Minuten schläft der Wind wieder ein, und die nächsten 6 Stunden dümpeln wir mit einem halben Knoten Fahrt dahin. Gegen 17 Uhr geben wir auf und starten den Motor, der uns in gut einer Stunde durch den Rest der gerade mal 13 Seemeilen langen Tagesstrecke schiebt. Kaum haben wir aber das Capo Pecora gerundet und vorm Strand von Portixeddu den Anker geworfen, kommt kräftiger Wind auf – auch nur für eine Stunde, aber immerhin. Mit der Wettervorhersage hatte jedenfalls all das nicht viel zu tun …

Sonnenuntergang hinterm Capo Pecora

Der Ankerplatz jedenfalls ist sehr schön vor dem winzigen Ort mit seinem langen Strand gelegen und bietet einen tollen Abendhimmel beim Untergang der Sonne hinter den schroffen Felsen; der Grund besteht aus einer ausgedehnten Fläche reinen Sandes, hier gibt es besten Halt für den Anker und eine Menge Platz. Schutz gegen den Nordwestwind und -schwell allerdings sucht man vergebens; für uns kein Problem, denn durch die anhaltende Flaute gibt es auch kaum Schwell, aber es verdeutlicht uns, dass wir ohne diese tagelange Schwachwindphase diese Küste auch nicht so kennenlernen könnten.

Spiaggia di Masua

Für den Freitag steht eine noch kürzere Distanz auf dem Plan: kaum 9 Seemeilen sind es bis zum Ankergrund vor Masua – und das ist auch gut so, denn wieder erfordert es sehr viel Geduld, diese Strecke unter Segeln bei abwechselnden Phasen von 4-5 und 0-1 Knoten Wind  zurückzulegen …

Pan die Zucchero voraus!

Dafür erwartet uns am Ziel eines der Postkartenmotive Sardiniens: die kleine Felseninsel Pan di Zucchero, die dicht vor der nicht weniger spektakulären Steilküste 133 Meter aus dem Meer ragt. Direkt gegenüber befindet sich einer der außergewöhnlichsten ‘Häfen’ der Welt: Porto Flavia, 1924 als Erzverladehafen errichtet. Die ganze Gegend ist reich an Erzvorkommen, die Anfang des 20. Jahrhunderts so an Bedeutung gewannen, dass man eine neue Lösung für die Verschiffung des Erzes suchte – bis dahin wurde dieses von Hand in Körben am Strand auf kleine Segelschiffe verladen, die dieses dann nach Carloforte brachten, wo es – ebenso in Handarbeit – auf Dampfschiffe umgeladen werden konnte. Für den Transport von tausenden von Tonnen eine unvorstellbare Knochenarbeit – bis der Ingenieur Cesare Vecelli einen ungewöhnlichen Platz für einen Hafen fand: man sprengte hunderte Meter Tunnel und neuen riesige Silos in die Felsen der Steilküste, so dass die Erzfrachter darunter anlegen und per Förderband die Fracht übernehmen konnten; benannt wurde dieses technische Meisterwerk nach der Tochter Vecellis. Inzwischen wird die – weltweit einmalige – Anlage nicht mehr genutzt, kann aber besichtigt werden.

Toll ist auch der Ankerplatz davor: zwischen dem Pan di Zucchero und der Küste findet sich eine halbe Seemeile reinen Sandgrundes, von dem man auch auf 10 Metern Tiefe schon jedes Detail erkennen kann; bei 25 Grad Wassertemperatur wunderbar zur Abkühlung nach dem heißen, windstillen Tag, und das noch mit der Aussicht … der bislang beste Ankerplatz auf Sardinien!

San Pietro / Carloforte

Am Samstag bekommen wir etwas mehr und beständigeren Wind, so dass die Überfahrt nach San Pietro, einer der Sardinien im Südwesten vorgelagerten Inseln, mühelos gelingt; den Samstagabend ankern wir noch vor der kleinen Isola Piana, bevor wir am Sonntagmorgen in den Hafen von Caloforte einlaufen – wie immer gilt es, bei den gepflegten Marinapreisen die Aufenthaltszeit zu maximieren. Der Empfang in der Marina ist aber – wie bislang immer in Italien – ausgesprochen freundlich, und 10 Euro günstiger als im Internet ausgeschrieben ist es dann auch noch – Corona-Rabatt?!?

In Carloforte

Die Vorfahren der heute etwa 6000 Einwohner von Carloforte haben eine bewegte Geschichte hinter sich: ursprünglich aus einer Gegend an der ligurischen Küste stammend, sind sie 1542 auf die Insel Tabarca von der tunesischen Küste ausgewandert, um dort die nächsten 200 Jahre nach Korallen zu tauchen, bis dies nicht mehr einträglich genug war und praktisch die gesamte Einwohnerschaft auf die bis dahin noch unbewohnte Insel San Pietro umsiedelte und Carloforte gründete. Viel Ruhe fanden die Menschen dort aber zunächst nicht: 1798 wurden fast 1000 Einwohner von maurischen Piraten als Sklaven nach Nordafrika verschleppt, bis sie nach 5 Jahren freigekauft werden konnten.

Schöne restaurierte Häuser säumen die kleinen Straßen

So ist Carloforte kulturell gesehen eigentlich kein Teil von Sardinien: die Einwohner sprechen einen mittelalterlichen ligurischen Dialekt, und auch der Baustil mutet eher genuesisch an. Sehenswert ist es allemal: die vor 250 Jahren recht planmäßig angelegte Kleinstadt hat ihren Originalzustand weitgehend erhalten können, es macht Spaß die vielen kleinen Straßen zu erkunden und – wie sollte es anders sein – sich mit einem ausgezeichneten Gelato zu belohnen.

Allein die Versorgungslage ist eher bescheiden – es gibt zwar mehrere kleine Supermärkte, aber allzu gut bestückt sind diese nicht, und einen Wochenmarkt finden wir leider auch nicht; die Lage als Insel vor einer Insel hat wohl ihren Preis.

Punta Nera / Spiaggia di Guidi
Reichlich Ankerplatz für alle: Spiaggia di Guidi

Am Montagnachmittag verlassen wir Carloforte und segeln wenige Seemeilen bis zur Südspitze von San Pietro; wir runden die Punta Nera und finden gleich dahinter einen Ankerplatz vor Spiaggia di Guidi. Hier ist eine Menge los, aber wie immer verschwinden die meisten Boote am frühen Abend, und es kehrt Ruhe ein.

Die Bucht ist weiträumig und hat – anders als der Name andeutet (Spiaggia heißt Strand)- ein eher felsiges Ufer; vor allem fällt uns auf, wie spärlich hier alles bebaut ist; auf den Balearen stünde hier eine Luxusvilla neben der anderen …

Torre Cannai

Dienstagmorgen setzt der Wind schon früher ein, daher lichten wir schon um 10 Uhr den Anker und machen uns auf den Weg zur nächsten Insel, Sant’Antioco; diese kommt im Norden San Pietro recht nahe, erstreckt sich aber viel weiter nach Süden, so dass wir etliche Meilen an ihrer Westküste entlangsegeln, um hinter ihrem Südende Schutz für die nächste Nacht zu finden.

Das ging wohl schief – die ‘CDRY BLUE’ auf den Felsen

Dabei passieren wir das Wrack des hier am 21. Dezember vergangenen Jahres in einem Sturm auf die Felsen getriebenen Frachters ‘CDRY BLUE’; der 108 m lange Havarist war mit einer Ladung auf dem Weg von Cagliari nach Alicante (also gerade erst ausgelaufen), als er wegen zu schwerer See beidrehen und hinter Sant’Antioco Schutz suchen wollte – offenbar ist das Manöver misslungen. Dies und die im Internet zu findenden Bilder der italienischen Küstenwache vermitteln einen Eindruck davon, was an Sardiniens Westküste bei Mistral los sein kann …

Torre Cannai, eine sichere Ankerbucht in unberührter Natur

Tatsächlich erleben auch wir eine Zunahme der Windgeschwindigkeit bis auf 6 Beaufort und ansehnliche  Wellenhöhen, als wir Capo Sperone, das Südende der Insel, umrunden; gleich dahinter wird es aber wieder friedlicher, und in der Bucht vor Torre Cannai finden wir wieder einen wunderschönen Ankerplatz mit ausgedehnten Sandflächen und völlig unverbauter Natur – außer dem namensgebenden, alten Turm steht hier nichts. Nach Süden bietet sich ein hinreißender Ausblick auf die Gruppe der drei kleinen Inseln Il Toro, La Vacca und Il Vitello (Stier, Kuh und Kalb), und am Horizont zeichnet sich die bergige Südwestküste Sardiniens ab. Hier möchte man gerne länger bleiben, aber in wenigen Tagen zeichnet sich eine Windzunahme ab, und da wollen wir Sardiniens Südspitze umrundet haben – wir haben ja gerade gesehen, was Sturm hier anzurichten vermag …

Porto Tramatzu
Capo Teulada, die Südspitze Sardiniens

Knapp 20 Seemeilen liegen am Mittwoch vor uns, um die Südspitze Sardiniens, das Capo Teulada, zu runden. Eigentlich sollte schon ab dem frühen Vormittag ein recht gleichmäßiger Nordwestwind um 10 Knoten einsetzten, aber der lässt dann doch auf sich warten, so dass wir dann nach einigen Stunden Dümpelei doch den Gennaker rausholem – und, wie nicht anders zu erwarten, legt von dem Augenblick an der Wind zu. Je näher wir dem Capo Teulada kommen, gewinnen auch die Wellen an Höhe, und so gerät dann auch die Rundung des Kaps zu einer recht sportlichen Angelegenheit – bei über 20 Knoten Wind ist es gar nicht mehr so einfach, den Bergeschlauch über das Leichtwindsegel zu ziehen.

Hinterm Kap beruhigt es sich sehr schnell wieder; im Lee der Bergrücken segeln wir erstmals seit Wochen wieder auf nördlichem Kurs. Eine traumhafte Ankerbucht nach der anderen zieht vorbei, doch das gesamte Gebiet ist – mal wieder – militärisches Sperrgebiet und darf eigentlich nicht befahren werden. Dennoch sehen wir einige Boote dicht unter Land – wie man liest werden die Verbote im Juli/August nicht durchgesetzt, aber nach irgendeiner offiziellen Aussage, ob man nun dort ankern darf oder nicht, haben wir vergeblich das halbe Internet durchsucht.

Hochbetrieb am Strand, aber ansonsten Natur pur: Porto Tramatzu

Die erste ‘legale’ Ankermöglichkeit – Porto Tramatzu – ist nicht viel weniger hübsch als die vorher passierten Buchten, nur naturgemäß deutlich voller: einige Yachten ankern hier schon, und am Strand herrscht reger Badebetrieb. An kleinen Muringbojen warten rund 25 gut motorisierte RIBs auf Mieter – wir wissen durchaus zu schätzen, dass diese zur Zeit durch Abwesenheit glänzen, sonst müsste man wohl die Weingläser auf dem Cockpittisch festkleben …

Baia di Nora
Capo Spartivento, die Windscheide Südsardiniens

Am Donnerstag ist er dann wieder da, der Mistral; für den Nachmittag sind 6 Beaufort angesagt, am Vormittag weht es noch etwas verhaltener. Da Porto Tramatzu in einem tiefen Einschnitt liegt und wir daher zunächst Südostkurs segeln, freuen wir uns über 4-5 Knoten Fahrt nur unter Vorsegel, bis wir kurz nach 12 Uhr das Capo Spartivento erreichen, und feststellen müssen, dass dieses seinen Namen – ‘den Wind  teilend’ – nicht umsonst trägt: statt den Nordwest hinter dem Kap in abgeschwächter Form zu erfahren, bekommen wir wild umlaufende Windrichtungen, durchsetzt mit fast völliger Flaute. Verrückt, wenn man bedenkt, dass über hunderte Seemeilen kräftiger Mistral übers Mittelmeer heranweht, aber genau von dieser Ecke an ist man offenbar hinreichend weit ‘hinter’ den Bergen Sardiniens, um in das Wettersystem der Ostküste zu kommen.

Die Baia di Nora

 

Römisches Theater, Nora

Wenn wir damit auch windmäßig die Westküste als abgeschlossen betrachten können und auch nicht mehr weit von Cagliari entfernt sind, so bietet dieser Küstenabschnitt aber noch ein besonderes Ziel an: die Baia di Nora bei der kleinen Stadt Pula. Diese bietet nicht nur großflächige Ankergründe mit türkisfarbenem Wasser über weißem Sand vor grüner Bergkulisse – das ist ja nun wirklich nichts Besonderes mehr – sondern eine Ausgrabungsstätte mit den Ruinen der wohl ältesten Stadt Sardiniens, Nora.

Reste luxuriöser Villen …

Im Jahre 1889 wurden durch eine Springflut auf einer kleinen Halbinsel alte Überreste freigelegt; man fing an zu graben – und ist bis heute nicht fertig damit: in Schichten finden sich die Spuren von knapp 3000 Jahren Besiedlung. Die erste Stadtgründung geht auf die Phönizier im 8. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung zurück, Menschen lebten hier aber schon seit der Bronzezeit, wie im phönizischen Tempel wiederverwendete, aus Nuraghen stammende Steinblöcke beweisen. Den Phöniziern folgten die Karthager, bis im Jahre 238 v. Chr. Sardinien von den Römern erobert wurde; aus den darauf folgenden Jahrhunderten stammen die meisten der ausgegrabenen Relikte. So findet man etwa ein gut erhaltenes römisches Theater, die Überreste einer einst beeindruckend großen Therme sowie hunderte Grundmauern von Häusern, einige davon großzügige Villen, deren kunstvolle Mosaikböden zum Teil immer noch vollständig erhalten sind.

… mit teilweise hervorragend erhaltenen Mosaikböden

Man geht zum Teil auf den alten römischen Straßen – ein merkwürdiges Gefühl, die Füße auf jahrtausendealte Pflastersteine zu setzen und sich vorzustellen, wie es damals rundherum ausgesehen haben mag, wie sich der Alltag der hier lebenden Menschen gestaltete, wie belebt wohl das Forum, wie prachtvoll ausgestattet die Thermen waren. Mit dem Untergang des römischen Reiches verfiel die Stadt und versank – wie ganz Europa – in ein tausendjähriges Vergessen.

Abendstimmung überm Ankerfeld in der Baia di Nora

Da dies unser letzter Ankerplatz vor Cagliari ist und es uns gut gefällt, bleiben wir ganze drei Nächte; am Samstag füllt es sich dann auch ganz beträchtlich, sicher 20 Segler ankern mit uns und bleiben auch über Nacht, dazu noch viele kleinere Motorboote, die nur zum Baden kommen – mit so vielen Booten haben wir lange nicht mehr in einer Bucht geankert! Aber Platz ist ja hier genug; fragt sich nur, wieviel weniger in diesem Jahr los ist als üblicherweise – immerhin, die ersten Deutschen auf einem Charterboot sehen wir auch (und ausgerechnet die müssen dadurch negativ auffallen, dass sie eine Bootslänge hinter uns ankern müssen, während eine halbe Seemeile Platz zur Verfügung stünde …).

Cagliari
Cagliari liegt vor uns

Sonntag legen wir dann die letzten 15 Seemeilen bis zu unserem Sommerlager in Cagliari zurück, bei gleichmäßigen 10 Knoten Rückenwind und ruhiger See nochmal schön unter Gennaker; gegen 16 Uhr treffen wir dann in der Marina del Sole ein – hier soll die ‘Orion’ am Dienstag aus dem Wasser gekrant werden.

Bis dahin bleibt noch eine Menge zu tun: es gilt herauszubekommen wo man Farben und Material zu vernünftigen Preisen bekommen kann, das Dinghi muss gesäubert und zusammengelegt, die Aries, unsere Windsteueranlage, demontiert und gewartet, und die Einzelheiten des Kranvorgangs mit dem Marinapersonal besprochen werden – wir sind nicht wenig nervös, wie das so werden wird …

Die ‘Orion’ hängt am Haken

Am Dienstag den 21. Juli ist es dann soweit: die ‘Orion’ wird mit stehendem Mast aus dem Wasser gehoben, ein ganzes Stück durch den Hafen auf das Lagergelände gefahren und dort auf einem Lagerbock abgesetzt. Dann kann es auch schon losgehen: noch am Dienstag werden alle Anbauteile demontiert, Mittwochmorgen noch ‘eben’ Farbe besorgt (zwei Stunden mit dem Fahrrad quer durch die Stadt), und dann beginnt das große Schleifen: da die alte Lackierung so sehr gelitten hat, muss richtig viel runter, bis Samstagmittag läuft das Schleifgerät ganztägig – bei 35 Grad im Schatten kein Vergnügen … 

Mit der ersten Schicht Primer sieht es aber schon wieder viel besser aus, und am Sonntag folgt dann auch der Decklack; nur mit den blauen Streifen gibt es ein Problem: damit man bei diesen Temperaturen überhaupt lackieren kann, hat uns das Farbenfachgeschäft einen besonders hochsiedenden Verdünner empfohlen; das hat auch gut funktioniert, aber nun trocknet der Lack halt so langsam, dass er noch nicht abgeklebt werden kann – erst Stress, dann Warten 🙁

Erst am Vormittag des 29. Juli, im letzten Moment vor dem Heimflug, fühlt sich der weiße Lack halbwegs trocken an – also schnell noch die blauen Streifen lackiert, und dann mit Farbflecken auf den Händen in den Flieger …

Zurück ins Wasser

Am Dienstag den 25. August fliegen wir zurück nach Cagliari und sind gegen 21 Uhr endlich wieder an Bord – was für eine Erleichterung, die ‘Orion’ erwartet uns unversehrt (aber reichlich verdreckt). Am nächsten Morgen gibt es dann aber die erste unschöne Überraschung: vor vier Wochen sah der Lack aber wesentlich besser aus … es scheint so, dass der extra langsam trocknende Lack es geschafft hat, die alten Lackschichten etwas anzulösen, so dass die Oberfläche nun wie marmoriert aussieht! Nun ja, wenigstens hat sie keine Risse wie zuvor (bleibt nur abzuwarten, wie lange das so bleibt …).

Die Arbeit geht auch munter weiter: am Mittwoch wird neues Antifouling aufgebracht, am Donnerstag kommen alle zuvor demontierten Teile wieder an ihren Platz – und das alles bei fast 40 Grad in der Sonne, selbst in der Nacht schaffen die Temperaturen unter Deck es kaum unter 30 Grad. Aber irgendwann ist alles geschafft, und am Freitagmorgen geht es endlich wieder ins Wasser!

Die nächste böse Überraschung folgt sogleich: auf der minutenkurzen Fahrt zum Liegeplatz ertönt der Temperaturalarm des Motors … und los geht die Fehlersuche: da die ‘Orion’ eine Kielkühlung statt einer Seewasserkühlung hat, scheiden die üblichen Ursachen – defekter Impeller oder verstopfte Seewasserzufuhr – gleich aus; bleiben der Thermostat und die Kühlwasserpumpe. Um diese kontrollieren zu können, muss zunächst das Kühlwasser abgelassen werden, und dazu wiederum muss zunächst der Frischwassertank ausgebaut werden (ja, die Zugänglichkeit des Motors gehört nicht zu den Vorzügen der Feltz-Konstruktionen …). Kaum zwei Stunden später – alles im Boot ist inzwischen reines Chaos – können wir schon das Ablassventil öffnen, und es kommt … nichts! Wie sich zeigt, fehlen ca. 15 Liter Kühlwasser (bei einem Gesamtvolumen von etwa 60 Litern); kaum sind die aufgefüllt, zeigt ein Probelauf keinerlei Probleme mehr. So weit, so gut; aber wo ist das Kühlwasser geblieben? Zweifellos ist das Boot in den letzten Wochen an Land regelrecht durchgekocht worden, doch kann so eine Menge durch den kleinen Druckausgleich verdampfen?!? Ein ungutes Gefühl bleibt … 

Stadtbesichtigung

Am Samstag ist endlich Zeit, sich mal in Cagliari umzuschauen; die gut 150.000 Einwohner zählende Hauptstadt Sardiniens wurde als phönizische Kolonie unter dem Namen Karalis gegründet und durchlief in den nächsten zweieinhalb Jahrtausenden die üblichen Besitzerwechsel. Dabei sind besonders die Jahrhunderte der Unabhängigkeit hervorzuheben, in denen die Insel in vier Judikate unterteilt war; dies spiegelt die bekannte, viergeteilte sardische Flagge wieder.

Blick über Cagliari

Beim Rundgang durch die Stadt finden wir Zeugnisse aller Epochen: das in einen natürlichen Felseinschnitt gebaute römische Amphitheater, welches seinerzeit beeindruckenden 20.000 Zuschauern Platz geboten haben soll, die ab 1217 im pisanischen Stil errichtete Kathedrale Santa Maria di Castello, die zahlreichen Überreste der Stadtbefestigung, oder auch der 1866 eröffnete botanische Garten, in dem wir ein wenig Erholung von der Hitze der Stadt finden. Alles in allem eine sehenswerte Stadt, in der natürlich auch das kulinarische Angebot nicht fehlt!

Und wieder mal: Corona

Eigentlich wollten wir am Sonntag nur noch die ‘Orion’ reisefertig machen, um am frühen Montagmorgen nach Tunesien aufzubrechen. Seit Monaten verfolgen wir die Reisebestimmungen, und seit Anfang Juni ist die Einreise aus Europa uneingeschränkt möglich. Ist? Nein, ‘war’ muss es heißen: seit dem 26. August benötigen Einreisende einen negativen PCR-Test, sonst wird die Einreise verweigert. Statt uns Montagmorgen auf den Weg zu machen, laufen wir uns statt dessen stundenlang die Füße wund, um uns in Cagliari einem solchen Test zu unterziehen. Der freundliche Arzt im medizinischen Testcenter erklärt uns, dass PCR-Tests zur Diagnose der Erkrankung bei Personen angewandt werden, bei denen ein begründeter Verdacht besteht, nicht aber bei völlig Gesunden, und daher nur vom Arzt angeordnet werden können, aber nicht auf Verlangen durchgeführt werden. Außerdem äußert er sich sehr skeptisch über den Sinn einer so umfassenden Maßnahme, kann man doch so nur den recht kleinen Teil der Infizierten erfassen, bei denen noch keine Symptome vorliegen, aber bereits genug virale DNA vorhanden ist, um vom Test erfasst zu werden – eine simple ärztliche Untersuchung bei der Einreise wäre da unterm Strich ebenso effizient.

Zur Abrundung des Gesamteindrucks muss man noch wissen, dass diese Vorschrift nur für Individualreisende aus Ausgangsländern mit dem niedrigsten Risiko – so nach Einschätzung der tunesischen Behörden Italien – gilt, Reisende aus Ländern mit mittlerem Risiko – darunter Deutschland – müssen zusätzlich 7 Tage in Quarantäne. Nun könnte man ja sagen, das ergibt durchaus einen Sinn – wenn da nicht das kleine Detail wäre, dass dies alles nicht für Pauschaltouristen gilt, selbst dann nicht, wenn sie aus einem Land mit höherem Risiko einreisen! Diese brauchen keinen Test, keine Quarantäne, gar nichts …. müssen aber ihrer Reiseleitung versprechen, sich an die Hygienevorschriften zu halten! – ja, dann … 

Zusammenfassend: die jüngsten Erlasse der tunesischen Administration sind erstens von zweifelhafter Sinnhaftigkeit und stellen zweitens ein effektives Einreiseverbot dar, weil es in Italien unmöglich ist, den explizit geforderten PCR-Test auf Verlangen abzulegen –  vernünftigerweise sind den Italienern ihre Testkapazitäten zu schade für solch einen Unsinn. Aber wie wir ja schon im Frühjahr in Spanien erleben durften, genügt das Wort ‘Corona’, um die offiziellen Entscheidungsträger von jeder Rechtfertigungspflicht zu entbinden – wenn es gegen Corona ist, muss es ja richtig sein.

Spiaggia di Poetto
Endloser Strand: Spiaggia di Poetto

So ändern wir also unsere Reisepläne, was umso ärgerlicher ist, da darüber ein geeignetes Wetterfenster ungenutzt verstrichen ist; wir verlassen also Montagnachmittag frustriert die Marina del Sole, nur um fünf Seemeilen weiter vorm Strand von Poetto zu ankern. Dieser ist einer der längsten Sandstrände des ganzen Mittelmeers und bietet hervorragende, ausgedehnte Ankerflächen – der richtige Ort, um sich von einer Folge von äußerst anstrengenden und ärgerlichen Tagen zu erholen!

Der Abend schenkt uns noch wunderbare Pastelltöne am Himmel, und wir verbringen eine sehr schöne, ruhige Nacht vor Anker – nach so vielen Wochen ist es erst mal wieder ungewohnt, aber schnell erinnern wir uns wieder, dass eine schöne Ankerbucht ohne Schwell besser ist als jeder Hafen 🙂

Cava Usai

Dienstag machen wir uns auf den Weg zum Südostende der Insel; dabei nehmen wir erstmal seit dem Auskranen den elektrischen Autopiloten wieder in Betrieb, der sich prompt mit dem Auslösen der Sicherung verabschiedet – wie es aussieht, hat ausgerechnet die in Cagliari vorgenommene Reinigung einen Kurzschluss verursacht, der dem Leben der Motortreiber ein Ende gesetzt hat. Prima, also auch kein Autopilot mehr …

Der Leuchtturm auf der Isola dei Cavoli

Mit schönem Rückenwind segeln wir gen Südosten, runden wir das Capo Carbonara, passieren die kleine Isola dei Cavoli und ankern nach 20 Seemeilen vor  Cava Usai, einem längst aufgegebenen Granitsteinbruch aus dem 19. Jahrhundert. Dort erwartet uns – mal wieder – herrlich klares Wasser über feinstem Sandgrund und Natur pur: außer den beiden Leuchttürmen auf der Insel und der Landspitze sind ein paar Badende am Strand die einzigen Spuren menschlicher Anwesenheit, abgesehen von den halb abgetragenen Bergflanken, die sich die Vegetation aber größtenteils schon wieder zurückerobert hat.

Die alten Steinbrüche von Cava Usai

Hier verbringen wir eine ruhige Nacht und machen am Mittwochmorgen Pläne für die Überfahrt nach Sizilien: viel Wind ist nicht gerade angesagt, und es bleibt abzuwarten, wie viele Nächte wir uns für die mit 160 Seemeilen eigentlich nicht sehr lange Überfahrt um die Ohren schlagen dürfen … tja, das gute Wetterfenster wäre eben am Montag gewesen, aber das durften wir ja mit der vergeblichen Suche nach einem Corona-Test verstreichen lassen 🙁

Abschied von den Balearen: Menorca (06.06. – 28.06.)

Die Überfahrt nach Menorca am Samstag, den 6. Juni ähnelt in vielerlei Hinsicht dem vorherigen Segeltag: zunächst mal weht der Wind eher frischer als angesagt, wieder sind wir mit gut 20 Knoten unterwegs, und wieder fahren wir vorm Wind; da die Passage lediglich mit etwa 25 Seemeilen veranschlagt ist, fahren wir nur mit ausgebaumtem Klüver: keine Sorgen um Windzunahme und Halsengefahr, und auf den letzten Knoten Geschwindigkeit können wir dafür ganz gut verzichten.

Wieder liegt die Schwierigkeit eher in der Auswahl des Tagesziels: der südliche Wind macht alle Ankerbuchten an der Südseite der Insel unbrauchbar, und die wesentlich weitere Fahrt bis auf die Nordseite scheuen wir, denn gleich am nächsten Tag soll der Wind ja auf Nordost drehen, dann sieht es ganu umgekehrt aus. Die naheliegende Wahl wäre der Hafen von Ciutadella an der Westküste, welcher Schutz bei allen Wetterlagen bietet, aber der ist ja … gesperrt wegen Corona, da war es wieder. Nun soll es aber zwei kleine Calas in unmittelbarer Nähe geben, die auch halbwegs akzeptablen Schutz bieten könnten; die erste davon, Cala Santandria, laufen wir also zunächst einmal an. Dort erwartet uns aber eine böse Überraschung: der geschützte Teil der Cala ist vollständig mit gelben Bojen abgesperrt, man kann nur noch in der Öffnung ankern, wo sich in unmittelbarer Nähe zwei Meter hohe Wellen an den Felsen brechen. Also nichts wie weg hier, es gibt ja noch eine Alternative, die Cala Degollador, keine Seemeile entfernt.

Dort angekommen glauben wir aber ein Déjà-vu zu erleben: gelbe Sperrbojen verhindern die Einfahrt, und im Außenbereich der – sehr engen – Cala brechen sich die Wellen an schroffen Felswänden. Aus lauter Verzweiflung versuchen wir dennoch ein Ankermanöver – nach der durchwachten Nacht zuvor und einem langen, windigen Tag möchten wir endlich ankommen. Wir bringen Bug- und Heckanker aus, und dennoch liegen wir so nahe an den felsigen Klippen, dass man über das Ausbringen von Fendern nachdenken kann – während das Boot von den aus allen Richtungen reflektierten Wellen herumgeschüttelt wird. Nein, das wird nichts – unter erheblichen Mühen holen wir den Heckanker wieder auf (von Hand, während das Heck anderthalb Meter Fahrstuhl auf und ab fährt …) und machen uns auf den Weg zur Rundung der Insel, weitere 12 Seemeilen …

Solche Absperrungen sind uns grundsätzlich nicht unbekannt: eigentlich dienen sie dem Schutz von Schwimmern und werden zu Beginn der Hauptsaison ausgebracht; häufig jedoch dienen sie auch einfach nur dazu, das Ankern unmöglich zu machen und so die Yachten zu zwingen, sich für 250 Euro eine Nacht in der nahegelegenen Marina zu erkaufen. Im konkreten Fall ist dies überdeutlich: die betreffenden Calas sind extrem lang und schmal, die kurzen Badestrände liegen 100 Meter und mehr von den Absperrungen am Eingang entfernt – so weit schwimmt niemand durch den schmalen Schlauch, um sich dann vom Sog der Wellen an den Felsen zerschmettern zu lassen.

Was in normalen Jahren einfach nur unverschämte Abzocke ist, wird dieses Jahr aber zur allen seemännischen Traditionen widersprechenden Gefährdung der Segler, denn der einzige Schutz bietende Hafen ist ja gesperrt – ein Ärgernis sonder gleichen, und so völlig sinnlos in jeglicher Hinsicht, denn es spült ja noch nicht mal Geld in die Kassen der Marinas. 

Cala Algaiarens
Die Belohnung nach endlos langen anderthalb Tagen

Nach dem Runden des westlichen Endes der Insel verbessert sich der Seegang spürbar, und während wir nach Nordosten und dann Osten segeln, wird es geradezu ruhig auf dem Wasser. So finden wir endlich – nach 40 Seemeilen insgesamt – einen sicheren Ankerplatz in der Cala Algaiarens. Und einen wunderschönen noch dazu: völlig ohne Bebauung bieten sich dem Blick zwei lange Strände dar, dahinter Dünen (eine ziemliche Seltenheit hier!) und bewaldete Hügel; türkisfarben leuchtet eine endlos große Ankerfläche mit 4-5 Metern Wassertiefe – warum nicht gleich so?

Nach einem schnellen Abendessen und einem hinreißenden Abendhimmel nach dem Sonnenuntergang hinter den Klippen fallen wir in die Koje, um nach knapp 40 Stunden endlich zu schlafen ….

Cala Son Saura

Am Sonntagmorgen begrüßt uns unfreundliches Wetter: es regnet schon zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage, was wir ganz schön unverschämt finden 😉 Überhaupt scheint die mehrwöchige Periode stabilen Sommerwetters jetzt wieder unbeständigerer Witterung zu weichen, die zahlreichen Winddrehungen sprechen ja auch für sich. Wie vorhergesagt dreht der Wind denn auch auf Nordost, und wir müssen wohl oder übel unseren schönen Ankerplatz verlassen – nach den sehr anstrengenden Tagen zuvor wäre uns ein Ruhetag sehr willkommen gewesen.

Innerhalb kurzer Zeit legt der Wind auch ordentlich zu, und wir segeln den gleichen Weg, den wir am Nachmittag zuvor mit Südwest heraufgesegelt sind, vor dem frischen Nordost wieder zurück. Nach der eindrücklichen Erfahrung des Vortages lassen wir Ciutadella sprichwörtlich links liegen und steuern die Südseite der Insel an, um nach 18 Seemeilen in der Cala Son Saura den Anker zu werfen, während sich hinter uns schwarze Gewitterwolken auftürmen. Auch hier ist es schön – wenn auch nicht ganz so spektakulär wie in der Cala zuvor, allerdings gibt es einen gewichtigen Unterschied: der von drei Tagen Südwestwind aufgebaute Schwell ist natürlich nicht gleich verschwunden, und so ankern wir zwar sicher mit ablandigem Wind, aber von Süden rollen lange Wellenzüge heran, die uns nicht besonders ruhig liegen lassen. Die Gewitter ziehen glücklicherweise vorbei, und der zusätzlich ausgebrachte Heckanker verspricht etwas Besserung, aber unruhig bleibt es; natürlich wäre auch heute wieder der Hafen von Ciutadella die richtige Wahl gewesen, aber wir erinnern uns, da war ja was …

Cala Son Saura – ausnahmsweise mal mit bedecktem Himmel

In der Nacht zum Montag lässt der Schwell etwas nach, und die Wetteraussichten erlauben es auch, einen weiteren Tag in der Cala Son Saura zu verbleiben. Leider bleibt es aber bedeckt, die Sonne lässt sich kaum blicken, und wieder regnet es ein paar Tropfen – schade, denn heute gibt es etwas zu feiern: die Balearen sind in Phase 3 der Exit-Strategie eingetreten! Reisen zwischen den Inseln sind wieder erlaubt; damit ist die ‘Orion’ endlich nicht mehr illegal unterwegs, und wir müssen nicht immer nach Polizeibooten Ausschau halten 😉

Warum aber nach wie vor die Sportboothäfen gesperrt sind, entzieht sich mal wieder jeder vernünftigen Erklärung: mit der Fähre darf man (zusammen mit vielen fremden Menschen auf engem Raum) von Alcúdia nach Ciutadella reisen und dort an Land gehen, als Segler zwar im Prinzip auch, aber nur wenn man ankert und dann mit dem Dinghi anlandet … offenbar wirken sich Steganlagen positiv auf Virenvermehrung aus, wer hätte das gedacht!

Ciutadella
Vorbei zieht der Leuchtturm am Cap d’Artrutx (1859)

Den Dienstag warten wir noch in der Cala Son Saura ab, da für Mittwoch die besten Bedingungen angekündigt sind, um noch einmal einen Anlauf zu unternehmen, Ciutadella einen Besuch abzustatten. So holen wir um kurz nach 8 Uhr bei ziemlicher Flaute die Anker auf und motoren gemächlich die knapp 8 Seemeilen bis zur Cala Santandria, in der wir bereits am Samstag eine Runde gedreht haben.

Heute, praktisch ohne Wind und mit aus nördlicher Richtung laufendem Schwell, sieht es hier ganz anders aus: ohne meterhoch spritzendes Wasser trauen wir uns, in der Öffnung der Cala, gleich vor der Absperrung, die ‘Orion’ zwischen Bug- und Heckanker so auszurichten, dass der Bug Richtung Meer zeigt und einlaufenden Wellen die geringste Angriffsfläche bietet. Nachdem wir die Lage einige Zeit beobachtet und für sicher befunden haben, landen wir mit dem Dinghi an und machen uns auf den Weg in die etwa 3 Kilometer entfernte Stadt. 

Ciutadella wurde von den Karthagern gegründet und zählt heute etwa 30.000 Einwohner; neben den obligatorischen Besitzerwechseln zwischen Mauren und Christen stand die Stadt – wie der Rest der Insel – von 1708 bis 1802 unter britischer Herrschaft (mit Unterbrechungen und einem französischen Intermezzo). Am 9. Juli 1558 wurde sie bei einem Überfall osmanischer Truppen schwer zerstört, weswegen vor allem die darauf folgenden Jahrhunderte das heutige Stadtbild prägen: barocke und klassizistische Fassaden begegnen uns auf Schritt und Tritt.

Hauptattraktionen sind der sich endlos lang und schmal bis tief in die Stadt erstreckende Naturhafen, die engen Gassen der gut erhaltenen mittelalterlichen Altstadt sowie die im 14. Jahrhundert errichtete Kathedrale Santa Maria de Ciutadella. Besonders in der Altstadt gefällt es uns gut, wenn es auch wegen der vielen geschlossenen Geschäfte etwas ausgestorben wirkt.

Am Nachmittag ziehen mal wieder drohend schwarze Gewitterwolken auf, so dass wir uns – schwer mit Einkäufen bepackt – auf dem Rückweg ganz schön beeilen; völlig unnötig, wie sich herausstellt, denn kurz nach unserer Rückkehr ist der Spuk vorübergezogen, und wir können den Abend in der Cala Santandria genießen.

Cala Fontanelles
Far de Punta Nati (1913)

Weniger angenehm verläuft die Nacht: zwar bleibt der Ankerplatz sicher, aber der unerwartete Wind am Nachmittag hat doch so viel Welle aufgebaut, dass es in der engen Cala durch das Schlagen der Wellen unter die Felsüberhänge einfach unglaublich laut ist. So hält uns am Donnerstagmorgen nichts davon ab, früh aufzubrechen, was sich als ganz gut herausstellt: der erst für Mittag angekündigte kräftige Südwind ist wohl auch Frühaufsteher, so dass die ‘Orion’ mal wieder nur unter Klüver zügig vor dem Wind dahineilt, während sie auf dem Weg an die Nordküste das Cabo Nati mit seinem Leuchtfeuer rundet.

‘Blitz’ und ‘Orion’ in der Cala Fontanelles

Ziel ist eigentlich die am vergangenen Samstag bereits angelaufene Cala Algaiarens, während wir aber in diese einbiegen wollen, sehen wir in einem Seitenarm, der Cala Fontanelles, die niederländische ‘Blitz’ ankern, die wir zuletzt auf Mallorca getroffen haben. Für die für den folgenden Freitag angekündigte Winddrehung auf West  ist dieser Platz auch besser geeignet, also ändern wir kurzerhand den Plan und ankern wenige Bootslängen entfernt. Am Abend begießen wir das Wiedersehen mit einigen Flaschen Tinto und verbringen eine ruhige Nacht, da die Hügel den größten Teil der angesagten 25 bis 30 Knoten Südwind abfangen.

Am Freitag zieht es uns an Land, und wir erwandern etwas die Umgebung. Dies ist auf ganz Menorca besonders leicht möglich, da es einen durchgehenden Weg entlang der Küste gibt, den Camí de Cavalls; dieser geht auf das 14. Jahrhundert zurück, wurde zur Erschließung und Verteidigung der Insel angelegt und ist heute ein wunderbarer Wanderweg durch vielerorts noch unberührte Natur mit grandiosen Ausblicken über das Meer.

Blick über die Cala s’Escala, links im Bild der Camí de Cavalls

 

Cala Algaiarens – Strand und Ankergrund paaradiesisch

Wir folgen dem Weg ein Stück die Küste entlang bis zur westlichen Nachbarbucht, biegen dann ins Inland ab und laufen durch lichte Pinienwälder in einem großen Bogen bis zur östlicherer gelegenen Cala Algaiarens, deren weißer Strand und leuchtend türkisfarbenes Wasser auch aus der Perspektive von Land aus begeistern. Ein einmaliger Ankerplatz – den man sich allerdings in einem ‘gewöhnlichen’ Juni mit 40-50 anderen Yachten teilen müsste; jetzt liegt lediglich ein französischer Katamaran hier …

Fornells

Am Samstagmorgen fällt es uns – ebenso wie der ‘Blitz’ – recht schwer, den Ankerplatz zu verlassen, zu gut hat es uns hier gefallen; doch die Nordküste verspricht noch so viele tolle Ankerplätze, die besucht werden wollen, also rollen wir schweren Herzens den Klüver aus, während wir den Anker lichten und uns vom Wind aus der Bucht treiben lassen.

Cap de Cavalleria, der nördlichste Punkt der Balearen

Draußen weht mal wieder mehr Wind als angekündigt: West mit gut 20 Knoten, statt der angekündigten 12 Knoten; der schon bereitgestellte Gennaker bleibt also in seinem Sack, und nur unter Vorsegel fahren wir mit 5 Knoten unserem Ziel entgegen, der Bucht von Fornells. Dabei passieren wir den nördlichsten Punkt Menorcas, das Cap de Cavalleria, dessen steile Klippe fast 100 Meter über der See aufragt und einen 1857 erbauten Leuchtturm trägt.

Nach kaum drei Stunden erreichen wir Fornells, welches in einer gegen die anlaufenden Wellen gut geschützten Bucht liegt; aufgrund der eher niedrigen Landbarriere ist sie aber dennoch dem Nordwind stark ausgesetzt, was vielleicht erklärt, warum der Ort trotz der Lage sehr klein und eher jung ist – das Dorf entstand erst im 17. Jahrhundert im Zusammenhang mit der Errichtung eines Wehrturms zur Piratenabwehr.

Blick über die Bucht von Fornells

Heute lebt Fornells von der Langustenfischerei und natürlich vom Tourismus, und da dieser ja in diesem Jahr praktisch ausgefallen ist, ist recht wenig los, und der einzige Supermarkt ist noch dauerhaft geschlossen. Das Ankern in der äußerst geräumigen Bucht ist gar nicht so einfach, wie man erwarten sollte: der Grund ist praktisch lückenlos mit Seegras bewachsen, und da darauf nicht geankert werden darf, bleiben nicht viele Möglichkeiten. Eine sind die zahlreichen Muringbojen, die gegen gutes Geld gebucht werden können, eine andere ein winziges Fleckchen Sand direkt hinter der Hafenmole – und dieses nutzen wir, um hier bei wenig Wind eine ruhige Nacht zu verbringen (und außerdem im Schutze der Dunkelheit im Hafen ein paar Kanister Trinkwasser zu ‘organisieren’).

Cala ‘n Tosqueta

Am Sonntag besorgen wir noch frisches Brot und Gebäck in der kleinen Bäckerei, und dann verlassen wir Fornells auch schon wieder; gleich um die Ecke verspricht die Cala ‘n Tosqueta eine noch viel schönere Umgebung.

Die kaum 4 Seemeilen legen wir unter Maschine zurück, da kaum Wind weht; dies in Verbindung mit dem sonnigen Wochenende bewirkt, dass auch noch andere auf die gleiche Idee gekommen sind: um die 10 Boote ankern bereits in der kleinen Cala. Wir können noch einen Platz auf Sandgrund finden, müssen aber Bug- und Heckanker ausbringen, um nicht gegen die anderen Ankerlieger zu treiben; die kurz danach eintreffende ‘Blitz’ geht einfach bei uns längsseits.

Die Beliebtheit ist verständlich: die verwinkelte Bucht verfügt über mehrere Strände und eine kleine Insel, die zusätzlichen Schutz bietet; von Land ist sie unzugänglich, es gibt keine Straßenanbindung und keinerlei Bebauung. Das glitzernde Wasser, die zerklüfteten Felsen, die sensationellen Farben, der weiße Sand, und über allem der Duft von Meer und Rosmarin – ein kleines Paradies!

Cala ‘n Tosqueta, ein kleines Paradies

Das bunte Treiben hält nicht lange an, ab 19 Uhr gehört die Cala uns allein, die anderen Boote waren nur lokale Tagesausflügler; den folgenden Montag bleiben wir hier, und lediglich ein einziges Motorboot leistet uns für ein paar Stunden Gesellschaft. Der Tag vergeht mit Wandern entlang der Klippen, Schnorcheln (wir sehen viele verschiedene Fischarten, etliche auch richtig bunt gefärbt; zahlreiche Seeigel bewohnen die Felsspalten), Sonnenbaden und abendlichem Grillen wie im Fluge – und irgendwie auch völlig zeitlos. Für Orte wie diesen lohnt sich der weite Weg ins Mittelmeer!

Cala Presili
Far de Favàritx (1922)

Am Dienstag machen wir uns schweren Herzens wieder auf den Weg Richtung Südosten; eigentlich sollte etwas Wind wehen, es überschreitet aber nie 5 Knoten, womit wir mal wieder motoren müssen, Glücklicherweise ist es nicht weit, nach gut 10 Seemeilen runden wir das Cap Favàritx mit seinem auffälligen Leuchtturm und finden auf der Südseite der gleichnamigen Halbinsel einen Ankerplatz in der Cala Presili, bei der es sich nicht wirklich um eine ins Land einschneidende Ankerbucht handelt, eher eine kleine Delle im Küstenverlauf mit schönem Sandgrund davor.

Alles im blauen Bereich – Cala Presili, im Hintergrund Cap Favàritx

Viel los ist hier nicht, es gibt keinerlei Bebauung, und die Strände sind landseitig nur durch eine Wanderung zu erreichen, so dass man nur wenige Menschen sieht. Umso mehr bietet es sich an, selbst eine Wanderung über die felsige Halbinsel bis zum Leuchtturm zu unternehmen und dabei die – trotz der Trockenheit doch erstaunlich vielfältige – Natur zu bestaunen; so überraschen uns prächtig blühende Dünennarzissen mitten im kargen Gelände, und der ständige Rosmarinduft gehört ohnehin dazu.

Illa d’en Colom

Am Mittwoch geht es weiter, diesmal sogar nur 4 Seemeilen gen Süden; dort liegt die vorgelagerte Illa d’en Colom, eine unbewohnte (und ziemlich unzugängliche) kleine Insel, deren Rückseite halbwegs geschützte Ankerplätze bietet. Gleichzeitig liegt dort an Land das kleine Dorf Es Grau, welches einen Minimarkt bietet, der sogar geöffnet hat und frisches Brot führt.

Parc natural de s’Albufera des Grau
Die im Mittelmeerraum verbreitete Landschildkröte (Testudo hermanni)

Der Ort markiert den Eingang zum Nationalpark s’Albufera mit seiner ausgedehnten Lagune; dieser ist für seinen Vogelreichtum  bekannt, uns begeistern aber vor allem die dort vorkommenden – und auch tatsächlich anzutreffenden – Schildkröten: die sind ja soooo niedlich 🙂

Am Abend werden wir noch Zeugen eines Malheurs: eine französische Segelyacht fährt zu tief in die seichte Passage zwischen der Illa d’en Colom und dem Festland und kommt dort fest. Alle Versuche, die Dehler 43 wieder in tieferes Wasser zu bekommen (so durch Ausbringen des Ankers unter tatkräftiger Mithilfe des Autors), scheitern kläglich, obwohl noch nicht einmal der Wind aufs Flach drückt, lediglich der lange Schwell von etwa einem Meter Höhe hat die Yacht in eine so hoffnungslose Lage gebracht.

Leider gar nicht so stimmungsvoll wie es aussieht: die festgekommende ‘Force 7’

Ursächlich für die Havarie war das große Vertrauen des Skippers  in die Navionics-Karte auf seinem iPad – diese zeigt einen Detailreichtum, von dem auf der offiziellen spanischen Seekarte, wie sie an Bord der ‘Orion’ verwendet wird, absolut nichts zu sehen ist (dort ist einfach alles ‘weniger als 5 Meter’ tief, was Anlass zu größter Vorsicht gibt). Auch schon in anderen Ankerbuchten legte der Vergleich der online zugänglichen Navionics-Karten mit der Realität den Verdacht nahe, dass deren Detailreichtum oftmals eher der Phantasie als einer Vermessung entspringt.

Erst am nächsten Morgen kann ein PS-starkes SAR-Boot aus Mahón die Yacht freischleppen – wer weiß unter welchen Schäden am Kiel …

Cales Coves
Far de l’Illa de l’Aire (1860)

Am Donnerstag runden wir die Südostspitze Menorcas; zunächst mal gibt es dazu Gegenwind, die ersten 10 Seemeilen kreuzen wir gegen frische vier Windstärken an. Das läuft eigentlich ganz gut, dennoch ist es etwas ärgerlich, dass der Wind buchstäblich in dem Augenblick nachlässt, als wir endlich auf einen Halbwindkurs abbiegen können. Doch auch dies ist nicht von Dauer: aus vollständiger Flaute entwickelt sich innerhalb weniger als einer Minute wieder Starkwind jenseits der 20 Knoten. Ein abwechslungsreicher Segeltag …

Vor Anker in den Cales Coves

Am frühen Nachmittag biegen wir in eine kleine Öffnung der Steilküste ein, die sich zu einer zweiarmigen Cala öffnet: die Cales Coves, die Höhlenbuchten. Hier finden sich unzählige kleinere und größere Höhlen, die in der Bronzezeit als Begräbnisstätten angelegt und in den folgenden drei Jahrtausenden immer wieder als Wohnstätten genutzt wurden. Aber der Ort hat noch viel mehr zu bieten als die lange Geschichte, die er ausstrahlt: es ist einfach wunderschön zwischen den steilen Felswänden, das Wasser strahlt mit dem Himmel um die Wette, die Luft ist erfüllt von warmem Duft aromatischer Kräuter und dem Zirpen unzähliger Zikaden.

Bis Freitag liegen wir hier noch mit der ‘Blitz’ allein, am Samstag dagegen füllt sich die Cala mit unzähligen kleineren Ausflugsbooten, wie wir es am vergangenen Wochenende auch erlebt haben. Glücklicherweise verzichten diese aber auf laute Musikbeschallung, und so verbringen wir eine schöne Zeit an diesem wundervollen Flecken: wir unternehmen kleine Wanderungen in die Umgebung, schnorcheln um die Felsen und genießen die sommerlichen Temperaturen von knapp 30 Grad im Schatten am Nachmittag, während es am Abend angenehm mild ist und ein hinreißender Sternenhimmel über uns funkelt – was will man mehr?!?

Vom mühsam zu ersteigenden Felsplateau bietet sich ein überwältigender Ausblick über die Cales Coves
Maò

Sonntagmittag verlassen wir die Cales Coves und segeln zurück gen Osten, passieren erneut die Illa de l’Aire und laufen dann in die Hafenzufahrt von Maó ein, bei uns besser bekannt unter dem kastilischen Namen Mahón – der örtliche Dialekt spricht dagegen noch etwas kürzer von Mô; gemeint ist immer die Hauptstadt Menorcas (jedenfalls seit der britischen Besatzung, vorher war das Ciutadella). Heute endet nämlich der Alarmzustand in Spanien (für Madrid wohl immer noch Wochen zu früh, für die Balearen eher Monate zu spät), und die Häfen akzeptieren wieder Besucher!

Die Stadt liegt an einem volle drei Seemeilen langen Meeresarm, der durch eine relativ schmale Einfahrt geschützt wird und durchgängig regelmäßige Tiefen und gute Ankergründe aufweist. So verfügt die Stadt über einen der größten Naturhäfen der Welt (über die exakte Reihenfolge streitet man sich offenbar z.B. mit Sydney und Pearl Harbor), was schon den legendären Genueser Großadmiral Andrea Doria (1466 – 1560) zu der Aussage verleitete, es gäbe nur drei wirklich sichere Häfen im Mittelmeer: Juli, August und Mahón. Rundherum finden sich zahlreiche Befestigungen aus der Zeit, als die Bucht den verschiedenen Besitzern als Marinebasis diente; eine davon, die Festung La Mola, erlangte traurige Berühmtheit dadurch, dass sie während der Franco-Diktatur 1939-1975 als Gefängnis und Folterstätte für Regimegegner diente.

Cala Teulera, stadtnahes Naturidyll zwischen alten Seefestungsanlagen

Wir nutzen dieses Geschenk der Natur für die erste Übernachtung vor Anker in der Cala Teulera, bevor wir am nächsten Morgen – gerade noch rechtzeitig vor aufkommendem Starkwind aus Nord – die Marina Menorca anlaufen; hier hat man uns eine Übernachtung zum absoluten Schnäppchenpreis von € 50 angeboten – normalerweise wäre im Juni schon das Doppelte fällig …

die umfangreichen Anlagen der Marina Menorca – nur einer von drei Sportboothäfen in der Stadt

Was für ein besonderer Moment, nach fast 100 Tagen ohne Landstromversorgung das Stromkabel einzustecken, und kurz danach aus einem Schlauch Süßwasser in beliebigen Mengen über das salzverkrustete Deck fließen zu lassen! Und erst mal die Hafendusche – nach drei Monaten ein unvergessliches Erlebnis! Aber der teuer erkaufte Marina-Luxus bringt auch eine Menge Arbeit mit sich: Schrubben, Putzen, Saugen, Spülen, Waschen, Reparieren, und nicht zuletzt das Auffüllen der Vorräte: zum nächsten Supermarkt sind es gut 20 Minuten bergauf, und wir schleppen etliche 20-Kilo-Rucksäcke zum Boot, während uns bei wolkenlosem Himmel der 35 Grad heiße Wind wie aus dem Fön ins Gesicht bläst. Am nächsten Mittag sind wir völlig fertig mit der Welt, haben zwar die Zeit im Hafen optimal genutzt, aber noch nicht einmal etwas von der Stadt gesehen – doch das ist kein Problem, wir verlassen nach über 30 Stunden die Marina und fahren wieder zurück in die Cala Teulera, um dort zu ankern und am nächsten Tag nochmal mit dem Dinghi zurück in die Stadt zu fahren.

Blick über einen Teil des riesigen Naturhafens

Dies erweist sich als sehr lohnend: Maò hat eine sehenswerte Altstadt hoch auf den Felsen über dem Hafen aufzuweisen, viele schöne Geschäfte und Restaurants, wo man gegen kleines Geld (für deutsche Maßstäbe) hervorragende Fischgerichte essen kann, wovon wir auch Gebrauch machen – schließlich ist es voraussichtlich die letzte spanische Stadt, die wir besuchen!

Eine kleine kulinarische Anekdote sei noch angemerkt: angeblich verdankt die allseits beliebte Mayonnaise ihren Namen der Stadt Mahón, da sie während der französischen Besatzung als Abwandlung der lokalen Aioli nach Frankreich und von dort in die Welt gelangt sein soll …

Am Donnerstag den 25. Juni verlassen wir die Cala Teulera und fahren zurück in die Cales Coves, um dort auf passendes Wetter für die Überfahrt nach Sardinien zu warten – und auch einfach, um noch ein paar Tage in dieser tollen Ankerbucht zu verbringen. Am Donnerstagabend sind noch drei andere Yachten da, aber erstaunlicherweise legen diese alle am Freitag ab, so dass wir die Bucht für uns allein haben! Erst am Samstagmittag erscheinen die unvermeidlichen Wochenendausflügler in den Motorbooten, aber glücklicherweise halten diese sich beim Aufdrehen der Radios zurück.

Mit dem Wetter ist es so eine Sache: noch vor ein paar Tagen war zwischen Sonntag und Mittwoch kräftiger Nordwestwind – Mistral – angesagt, der wird aber von Tag zu Tag weniger; nun wollen wir zum einen aber auch nicht mehr wochenlang warten, und zum anderen soll es auch nicht zu viel Wind werden (der Mistral kann auch richtig zulangen, 7 bis 8 Windstärken – bei strahlend blauem Himmel – sind durchaus drin!), also beschließen wir, trotz der bescheidenen Windvorhersage am Sonntag den 28. Juni loszufahren – und uns in Geduld zu üben!